Kempten: Klimaschutzbeirat appelliert an die Stadtgesellschaft, erneuerbare Energiequellen auszubauen

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Nur 16 Prozent aller geeigneten Dächer in Kempten sind derzeit mit einer PV-Anlage ausgestattet. Der Klimaschutzbeirat appelliert daher an Bürger und Unternehmen, dies nachzuholen. © Anatol Kraus

Zahlen und Prognosen zeigen deutlich, dass Kempten noch einen weiten Weg zur Klimaneutralität vor sich hat. Der Klimaschutzbeirat der Stadt zeigte aber zuletzt auf, dass es auch Lösungen gibt und jeder Einzelne einen Beitrag leisten kann.

Kempten – Der 2022 vom Stadtrat beschlossene „Klimaplan 2035“ verfolgt das ehrgeizige Ziel, die Emission von Treibhausgasen derart zu reduzieren, dass diese von natürlichen Systemen wieder aufgenommen werden können. Das bedeutet, dass die Energieversorgung, die noch zu rund zwei Dritteln auf fossilen Energieträgern basiert, zunehmend elektrifiziert werden muss. „Und damit ist natürlich der Strom aus erneuerbaren Energien der Knackpunkt für die gesamte Energiewende“, betonte Antje Schlüter, Projektleiterin für Energie- und Wärmeplanung in der jüngsten Sitzung des Klimaschutzbeirats. Bis 2035 soll in Kempten 100 Prozent des Stroms und 95 Prozent der Wärme aus erneuerbaren Energiequellen bezogen werden.

Strombedarf 2035: Eine gewaltige Lücke

Eine Prognose des Energie- und Umweltzentrums Allgäu in Zusammenarbeit mit dem Allgäuer Überlandwerk (AÜW) und AllgäuNetz aus dem Jahr 2023 zeigte, dass der Strombedarf in Kempten bis 2035 um 76 Prozent steigen wird – von 361 Gigawattstunden (GWh) im Jahr 2021 auf 636 GWh im Jahr 2035.

Dieser Berechnung liegen drei optimistische Annahmen zugrunde: 1. Infolge von Effizienzsteigerungen nimmt der Strombedarf ab (Haushalte -20 Prozent, Wirtschaft -25 Prozent). 2. 2035 werden 90 Prozent aller Fahrzeuge elektrisch betrieben, gleichzeitig geht die Gesamtzahl zurück (Pkws -25 Prozent, Lkws -20 Prozent). 3. Ein immer größerer Teil des Wärmebedarfs wird durch Umweltwärme gedeckt (Haushalte 50 Prozent, Wirtschaft 38 Prozent), gleichzeitig nimmt der Wärmebedarf aufgrund von Sanierungen und Effizienzsteigerungen ab (Haushalte -35 Prozent, Wirtschaft -25 Prozent).

Von den genannten 361 GWh im Jahr 2021 wurden aber nur 138 GWh aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt. Wenn dieser Anteil bis 2035 auf 100 Prozent steigen soll, ergibt sich eine Lücke von rund 500 GWh.

Stromgewinnung im Stadtgebiet

Der Ausbau der regenerativen Stromerzeugung kann im Stadtgebiet unter den aktuellen Voraussetzungen fast ausschließlich durch Photovoltaik (PV) realisiert werden. Von 2022 bis 2024 wurden daher PV-Anlagen in der Größenordnung von drei bis neun Megawattpeak (MWp) jährlich zugebaut, Tendenz steigend. „Aber immer noch ist es relativ wenig“, betonte Schlüter. „Wenn wird so weitermachen, dann würden wir bis zum Jahr 2068 brauchen, bis wir unsere 636 GWh erreichen. Das bedeutet, dass wir ab sofort jedes Jahr 45 MWp an PV zubauen müssten“, erklärte Schlüter weiter, „auf der Stadtfläche von Kempten wird das nicht realisierbar sein.“ Denn die genannte Prognose aus dem Jahr 2023 geht lediglich von 450 GWh aus, die ab 2035 jährlich mittels PV auf Freiflächen und Dächern gewonnen werden können. Das errechnete Gesamtpotenzial für Kempten von 563 GWh schließt die Stromgewinnung mittels Abfall/Klärgas, Wasserkraft und Biomasse ein, deren Potenzial ist aber bereits ausgeschöpft. Die Nutzung von Windkraft hat im Stadtgebiet kein realisierbares Potenzial.

Jede Kilowattstunde Strom zählt

Aus dem für 2035 prognostizierten Stromverbrauch (636 GWh) und dem im Stadtgebiet verfügbaren Gesamtpotenzial (563 GWh) ergibt sich ein Stromdefizit von 73 GWh pro Jahr, das aus dem Umland importiert werden muss. Da aktuelle Stromspeicher Strom nur kurzfristig speichern können, wird diese Versorgungslücke aber wohl größer ausfallen. Zudem könnten wirtschaftliche Interessen oder die von Eigentümern den Zubau der PV-Anlagen ausbremsen.

„Und daher ist auch wirklich jede Kilowattstunde Strom aus erneuerbaren Energien notwendig und dringend“, betont Schlüter weiter. Es gebe einen hohen Handlungsbedarf – auch im Hinblick auf die zunehmende Elektrifizierung in verschiedenen Bereichen – erneuerbare Energien nicht nur zu importieren, sondern auch vor Ort zu erzeugen.

Was die Stadt tun kann ...

Schlüter schlägt eine Reihe von Maßnahmen vor, um den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. So soll etwa die Solar-Offensive wiederbelebt werden, idealerweise mit Fokus auf bereits versiegelten Flächen, wie Dach- und Parkplatz-PV. Zudem sind Dächer von städtischen Gebäuden verstärkt mit PV-Anlagen auszustatten, inklusive Ausbau- und Finanzierungsplan. Mit einem langfristigen Sanierungsfahrplan könnten Energieeffizienz und Wärmedämmung im städtischen Gebäudebestand verbessert werden. Für PV- und Agri-PV-Anlagen sollten städtische Flächen im Außenbereich zur Verfügung gestellt werden. Erwogen werden sollte auch eine Beteiligung an Windparks außerhalb des Stadtgebiets über das AÜW. An den Sanierungsberatungen für Bürgerinnen und Bürger, insbesondere im Kontext der kommunalen Wärmeplanung, ist festzuhalten.

... und die Stadtgesellschaft

Der Weg zur Klimaneutralität, sagte Schlüter, sei aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher bittet sie den Klimaschutzbeirat, einen dringenden Appell an alle Akteure der Stadtgesellschaft zu richten, also gleichermaßen an Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, „möglichst viele Dächer mit PV zu belegen, und auch wirklich kleine Möglichkeiten regenerativer Stromerzeugung zu nutzen, wie Balkonkraftwerke.“ Nur rund 16 Prozent aller geeigneten Dächer hätten derzeit eine PV-Anlage. Auch sollten Freiflächen-PV-Anlagen zügig ausgebaut werden, ebenso Kleinstwindkraftanlagen oder die Verstromung von Biogas und Klärgasen. Hier seien insbesondere Unternehmen und Landwirte angesprochen. Auch auf die erforderliche Einsparung von Energie durch Sanierungen und Effizienzsteigerungen wird verwiesen. Eigentümer älterer, schlecht gedämmter Gebäude seien hier besonders in der Pflicht.

Speicher, Sparen und Kommunikation

Thomas Hartmann (Grüne), wies auf die Notwendigkeit von Speicherlösungen im Zusammenhang mit PV hin, um den Tag-Nacht-Shift und den jahreszeitlichen Shift ausgleichen zu können. „Ohne geeignete Speicher nützt uns der ganze PV-Strom nichts, wir produzieren den ins Leere.“ Und weiter: „Wir brauchen eine massive Investitionsbereitschaft für dieses Thema.“

Prof. Dr. Martin Steyer von der Hochschule Kempten betonte die Bedeutung einer positiven Kommunikation. „Wir sollten den Bürgern vermitteln, dass wir einen Plan haben, wir es aber nicht ohne ihre Hilfe schaffen. Wenn wir es zu disruptiv machen, dann macht vielleicht keiner mehr mit.“

Andrea Gengenbach, Leiterin des Amtes für Umwelt- und Naturschutz, wies darauf hin, dass man auch den gesamtgesellschaftlichen Appell des Stromsparens nicht vergessen dürfe. „Je weniger man braucht, desto weniger muss auch ein reingepumpt werden.“ Es müsse ein Bewusstsein entstehen, dass jeder an seinen eigenen Bedürfnissen schraubt.

Der Klimaschutzbeirat beschloss schließlich einstimmig den Appell an alle Akteure der Stadtgesellschaft, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben.

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