Die „Wut“ rollt gegen Putin an: Asow-Brigade stellt neuen ukrainischen Kampfroboter vor
Vier Räder, Elektronik, ein Munitionsgurt, ein Rohr – der Roboter-Krieg gegen Putins Truppen läuft. Längst könnten die Drohnen selbstbestimmt feuern.
Kiew – „Sobald wieder zusätzliche Artillerie verfügbar ist, werden die Ukrainer kommerzielle Drohnen weniger einsetzen“, sagte Torsten Reil. „Mittelfristig werden wir die Entwicklung von viel leistungsfähigeren Drohnen erleben, Angriffsdrohnen, die die Artillerie in ihrer Wirkung ergänzen und widerspiegeln werden“, ergänzte der Mitgeschäftsführer des KI-Verteidigungsunternehmens Helsing im Mai gegenüber dem Magazin Politico. Jetzt scheint die Ukraine den nächsten Schritt gegangen zu sein und schickt die nächste Maschinenkanone auf vier Rädern gegen Wladimir Putin an die Front.
„Lyut“ (zu Deutsch: „Wut“) war im vergangenen Oktober bereits an die Öffentlichkeit getreten und wird nach anscheinend erfolgreichen Feldtests jetzt unter der Bezeichnung „Rage 2.0“ seiner Feuertaufe entgegenrollen. Nutzer soll die Azow-Brigade sein; sie will sie zur Aufklärung und Feuerunterstützung nutzen. Laut der Nachrichtenagentur Ukrainian National News verfügt der Roboter über ein Maschinengewehr, über eine Reichweite von 20 Kilometern, über drei Tage autonomen Betrieb und eine hohe Schutzklasse gegen Beschuss.
Der „Rage“-Roboter der Ukraine: Nutzbar für Offensiven wie für den Rückzug
Der „Rage“-Roboter ermögliche dem Militär, feindliche Angriffe abzuwehren, während die Bediener oder die Infanterie in Deckung blieben, wie das Magazin Defense Express berichtet. Er könne auch defensiv eingesetzt werden als mobiler Feuerposten, der um Positionen herum manövriert, von mehreren Standorten aus feuert oder als Beobachtungsposten dient. Der Hersteller habe nun Investitionen gesichert, einen staatlichen Auftrag erhalten und die Produktion gesteigert, schreibt das Magazin.
„Die Frage bei der vollständigen Autonomie auf dem Schlachtfeld ist, ob man ein System will, bei dem kein Mensch im Spiel ist, der kontrolliert, wann Waffen abgefeuert werden. Daher ist das Militär sehr vorsichtig, wenn es darum geht, vollständig autonome Systeme einzusetzen, die Schaden anrichten können.“,
Die Automatisierung von Armeen läuft schon seit Jahren. Ronald Arkin ist Professor an der Georgia Tech Hochschule in Atlanta und forscht zu autonomen Waffensystemen. Entscheidend ist für ihn die dienende Funktion, die solche Roboter einnehmen sollen, wie der Deutschlandfunk berichtet: „Ich denke, die Militärs wollen Systeme mit den Truppen auf den Weg schicken, wie Hunde, oder Maultiere oder andere Dinge in der Vergangenheit, die den Soldaten halfen, ihre Mission zu erfüllen.“
Defense Express berichtet weiterhin, dass die Ukraine allein in diesem Jahr bereits „zehn Typen im Inland produzierter Robotersysteme für den Einsatz in den Streitkräften zugelassen“ habe. Dies wurde vom Pressedienst des ukrainischen Verteidigungsministeriums veröffentlicht. Oleksandr Kamyshin formuliert sogar offensiver: Der Leiter der strategischen Industrien der Ukraine erklärte das Jahr 2024 zum „Jahr der Landsysteme“, da sein Land mehr Drohnen auf das Schlachtfeld schickt, wie das Magazin Defense News berichtet.
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Drohen gegen Putin: Der Schlüssel zur Selbstverteidigung der Ukraine
Unbemannte Waffen seien bisher der Schlüssel zur Selbstverteidigung der Ukraine gewesen – beispielsweise auf der Krim. „Sie werden mehr von ihnen an der Front sehen“, sagte Kamyshin gegenüber der Presse am Rande des Nato-Gipfels in Washington im Juli. „Das ist einer der Wendepunkte, die wir in den nächsten zwölf Monaten erwarten.“ Hauptsächlich will die Ukraine ihre Kämpfer nach und nach aus der Front lösen und damit befreien von Aufgaben, die genau so gut oder sogar besser automatisiert erledigt werden können: Der Verwundeten-Transport gehört dazu, Aufklärungsmission oder eben Deckungsfeuer.
„Wir tun unser Bestes, um all diese ethischen Aspekte im Auge zu behalten, aber an diesem Punkt müssen wir eine Lösung finden, die mehr Russen aus meinem Land herausbringt“, sagte Kamyshin gegenüber Defense News. Das sei aktuell das ethische Dilemma, vor dem sein Land stehe, wie er klarstellt.
Bis zu 20 Kilometer: Roboter halten Russlands Truppen auf Distanz
Die Ukraine habe einige Erfolge erzielt, sich die Russen an einigen neuralgischen Punkten vom Leib zu halten, wie Alex Bornyakow gegenüber Politico erläutert: Drohnen hätten die Pufferzone zwischen ukrainischen und russischen Kämpfern von einigen Kilometern auf bis zu 20 Kilometer erweitert. Der stellvertretende Minister für digitale Transformation behauptet, alles was durch diese „Grauzone“ dringe, durch Drohnen zerstören zu können, wie er dem Magazin gegenüber geäußert hat. „Rage 2.0“ ist ein Mittel dazu.
Entwickelt wurde der Roboter vom staatlichen Drohnen-Hub „Brave1“ – darin werden die Entwicklungen gebündelt und zur Serienreife hin entwickelt. Oft unter Zuhilfenahme von Investoren aus der Wirtschaft oder durch Crowfunding. Ziel der Ingenieure sei, „dass Roboter und nicht Menschen auf dem Schlachtfeld kämpfen“, wie Bornyakow sagt. Wichtig für die Ukraine sei, Vorteile im Krieg gegen die russische Elektronische Kampfführung zu gewinnen, wie das Magazin Newsweek berichtet. Russland scheint da möglicherweise die Nase vorn zu haben, wie Samuel Bendett meint.
Innovation gegen Verluste: Bodendrohnen widerstandsfähig gegen Elektronische Kampfführung
Ihm zufolge verfügten einige Bodendrohnen des russischen Militärs in der Ukraine über eine Festnetzverbindung, um Signalstörungen zu verhindern, und viele von der russischen Industrie und russischen Freiwilligen entwickelte Drohnen böten sowohl eine Funkverbindung als auch eine Festnetzverbindung als Option, sagt der Analyst vom Thinktank Center for Naval Analyses (CNA).
Nach Expertenmeinung sind Bodendrohnen generell resistenter gegen Störsignale, weil die sich idealerweise zwischen Sender und Empfänger befinden müssten, also zwischen Bediener und Drohne; und Bodendrohnen würden weitestgehend in direkter Sichtlinie gesteuert, argumentiert gegenüber Newsweek Paul van Hooft, ein Forschungsleiter für Verteidigung und Sicherheit des Thinktank RAND. Fliegende Drohnen könnten dagegen ja in vielerlei Richtungen abschwirren.
In Windeseile an die Front: Ukraine schöpft bei militärischen Erfindungen aus dem Vollen
Die Ukraine arbeitet emsig daran, mit Russland mindestens Schritt zu halten, wie Politico schreibt: Etwa ein Jahr nach dem Start des Hubs seien etwa 700 Erfindungen, die das „Brave1“-Programm durchlaufen hatten, für den Einsatz durch die ukrainischen Streitkräfte zugelassen worden; etwa 40 davon hätten ihren Weg an die Front auch längst gefunden. „Sobald ein funktionierender Prototyp identifiziert ist, kann die staatliche Zertifizierung in nur 21 Tagen erteilt werden“, sagte Bornyakov, dem Magazin.
Einen dem „Rage 2.0“ ähnlichen Roboter mit einem Maschinengewehr hatte die Ukraine bereits im September vorgestellt: den „Ironclad“. Im Januar wollte das Magazin Defense Express auch einen Videobeweis für die Einsatzreife der „Ironclad“-Drohne gefunden haben; laut den Bildern soll sie erfolgreich gegen eine russische Stellung vorgegangen sein – allerdings fehlen belastbare Beweise. Wie auch belastbare Beweise für die Effizienz irgendeiner Bodendrohne fehlen; da sind die Flugdrohnen weiter entwickelt.
Hyperkrieg wird kommen: Militär ist noch vorsichtig mit dem Thema Künstliche Intelligenz
Grundsätzlich funktionieren diese Roboter wie ferngelenkte Spielzeugautos. Von einer Steuerung mittels Künstlicher Intelligenz sind beide Kriegsparteien wahrscheinlich noch weit entfernt. Allerdings ist fraglich, was wann möglich und gewünscht wird. „Die Frage bei der vollständigen Autonomie auf dem Schlachtfeld ist, ob man ein System will, bei dem kein Mensch im Spiel ist, der kontrolliert, wann Waffen abgefeuert werden. Daher ist das Militär sehr vorsichtig, wenn es darum geht, vollständig autonome Systeme einzusetzen, die Schaden anrichten können“, sagt Scott Engle im Magazin Military+Aerospace Electronics.
Der Direktor des US-Luft- und Raumfahrt-Unternehmens „Mercury Systems“ hält die Künstliche Intelligenz in Waffensystemen heute schon nutzbar für militärische Zwecke. John Allen spricht ergänzend davon, dass „der Hyperkrieg kommen wird“. In einem Interview mit dem Italian Institute for International Political Studies (ISPI) sagte der US-General und politische Analyst, dieser werde „ein Krieg mit einer Geschwindigkeit sein, die wir Menschen uns nicht mehr vorstellen können“. Der „Rage 2.0“ ist noch eher gemächlich unterwegs.
Die Ukraine allerdings braucht auch für die Beschleunigung des Drohnenkrieges die Unterstützung des Westens – vor allem die der USA, wie Oleksandr Kamyshin gegenüber Defense News zugegeben hat. Diese Notwendigkeit ist fast ein Fass ohne Boden. Bezüglich der Zahl der benötigten Artilleriegeschosse genauso wie in der Höhe der notwendigen Investitionen in Drohnen: Zwei Milliarden Dollar wollen die USA und westliche Länder in den Aufbau der ukrainischen Drohnen-Industrie stecken, wie Defense News im Mai berichtet hatte.
Viel zu wenig, wie Kamyshin findet: „Wir suchen nach weiteren 10 bis 15 Milliarden Dollar.“ (KaHin)