„Man wundert sich“: Ukraine zerstört weitere Brücke in Kursk – und Putin lässt sich das gefallen

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„Man wundert sich“: Ukraine zerstört weitere Brücke in Kursk – und Putin lässt sich das gefallen

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Die Ukraine durchtrennt Russlands Nachschubwege in Kursk. Reaktionen bleiben aus. Lässt sich Kreml-Chef Putin vorführen?

Glushkowo – „Das Kursk-Manöver könnte das militärische Ende der Ukraine einleiten“, hat Gustav Gressel gesagt. Der Militärexperte gab sich gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel skeptisch, dass das Manöver der Verteidiger gegen den übermächtigen Aggressor Russland in der Region Kursk von Erfolg gekrönt sein könnte.

Hat sich Gressel getäuscht und das Blatt gewendet? Die Ukraine hat aktuell eine zweite Brücke im Bezirk Kursk neutralisiert. Die Invasions-Truppen sind dadurch von ihrem Nachschub weitestgehend abgeschnitten. Gegen Wladimir Putin erzielt die Ukraine einen weiteren Punkt, was ein Video in den Sozialen Medien bewiesen haben soll. Den Kremlchef scheint das wenig zu interessieren.

Die erste Brücke, die die Ukraine zerstört hat, liegt im Bezirk Kursk in der Nähe der Stadt Glushkowo und führt über den Fluss Seym, wie die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP) berichtet. Die Lokalisierung der zweiten Brücke steht noch aus, aber russische Militärblogger behaupten, dass wieder der Fluss Seym betroffen sein soll, dieses Mal eine Brücke im Dorf Zvannoe, einen Steinwurf entfernt von Glushkowo.

Das Momentum nutzen: Selenskyj geht in die Offensive und bitte um westliche Unterstützung

Glushkowo liegt nach Angaben von AP etwa zwölf Kilometer nördlich der ukrainischen Grenze und etwa 16 Kilometer nordwestlich des Hauptkampfgebiets in Kursk. Zvannoe liegt weitere acht Kilometer nordwestlich. Die Nachrichtenagentur geht davon aus, dass die Evakuierung von Zivilisten und das Nachführen von Truppen dadurch enorm erschwert würde, obwohl Militärblogger davon sprechen, dass die Invasionstruppen sicher auf Ponton-Brücken und kleinere Überführungen ausweichen würden.

Allerdings warnt die AP auch davor, dass die Ukraine durch ihre Offensive ihre eigenen Nachschubwege überdehnen könnte. „Die Einnahme einiger Dutzend russischer Grenzdörfer unter Verlust vieler Menschenleben und Ausrüstungsgegenstände wird nicht helfen“, sagt Emil Kastehelmi. Gegenüber Newsweek äußerte sich der Analyst des in Finnland ansässigen Thinktank Black Bird Group skeptisch, was der Ukraine ihre Offensive nützen sollte. „Im Allgemeinen wird der Krieg in Kursk nicht gelöst, die strategisch wichtigsten Regionen sind nach wie vor die Ost- und Südukraine“, zitiert ihn das Magazin.

Ein nachdenklicher Wladimir Putin in Großaufnahme
Bis zur letzten „roten Linie“: Aktuell führt die Ukraine den russischen Diktator in dessen eigenem Reich vor. Die Welt fragt sich, wie der russische Diktator auf die ukrainische Offensive reagieren wird. © Ozan Kose / AFP

Nach Angaben von AP sieht das der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj etwas differenziert und versucht, jenseits der eigenen Staatsgrenze das Momentum zu nutzen. Wie AP berichtet, forderte der ukrainische Präsident die Verbündeten Kiews dazu auf, die verbleibenden Beschränkungen für den Einsatz westlicher Waffen für Angriffe auf Ziele tiefer in Russland, darunter Kursk, aufzuheben. Er sagte, seine Truppen könnten Moskau „jede Möglichkeit nehmen, vorzudringen und Zerstörung zu verursachen“, wenn man ihnen ausreichende Langstreckenfähigkeiten zugesteht.

„Überbewertet“: Putins Drohungen von „roten Linien“ verlieren ihren Schrecken

In den USA mehren sich indes die Stimmen, die Putins „rote Linien“ für einen ausgemachten Bluff halten: Als einer der prominentesten Kritiker der westlichen Hinhalte-Taktik hat sich jetzt John Sullivan geoutet: „Die Vereinigten Staaten haben es versäumt, den Ukrainern das zu liefern, was sie über ihren heroischen Widerstand hinaus brauchten“, sagte der ehemalige US-Botschafter gegenüber dem Magazin Newsweek. „Ob M1A1-Panzer, F-16 oder Raketen, es gab immer nur Verzögerungen.“

Als „überbewertet“ bezeichnet Sullivan die ständigen Drohungen Moskaus, Polen einzuäschern, Atomwaffen zu starten oder das Baltikum anzugreifen. John J. Sullivan, war von 2020 bis 2022 unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump und dem jetzigen US-Präsidenten Joe Biden Washingtons Gesandter in Moskau. Unter dem Titel „Midnight in Moscow“ hat er jetzt eine Abrechnung veröffentlicht mit dem diplomatischen Hickhack vor und nach der russischen Invasion in die Ukraine im Februar 2022.

Spannende Behauptung: Joe Biden hat vom Ukraine-Krieg frühzeitig gewusst

Interessant ist, dass der deutsche Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Universität Potsdam im Juni vergangenen Jahres erklärt hat, die USA müssen lange vor der Invasion über Putins nächste Schritte im Bilde gewesen sein. „Meines Wissens nach haben die Amerikaner doch sehr genau gewusst, und auch sehr frühzeitig gewusst, dass Russland die Ukraine angreifen wird. Und sie können das nicht nur geschlossen haben aufgrund des Aufmarsches auf indirekter Seite, sondern sie müssen interne Quellen gehabt haben.“ Auf dem Youtube-Kanal des Journalisten Ralf Schuler äußerte Neitzel die vage Vermutung, dass die Geheimdienste unter dem US-Präsidenten Joe Biden schon länger als bisher vermutet den Ukraine-Krieg haben kommen sehen.

Sullivan geht jedenfalls davon aus, dass bereits die Unterstützung ukrainischer Aktivitäten auf der Krim Putin zu einer Reaktion hätte zwingen müssen – angesichts dessen, was er immer angedroht hatte. Peter Dickinson sieht den russischen Diktator Wladimir Putin ebenfalls inzwischen völlig desavouiert – vor allem weil der Analyst des Thinktank Atlantic Council Belege kennen will, nach denen die Ukraine die Kursk-Operation wohl über Monate vorbereitet habe; unbemerkt auch von den russischen Geheimdiensten. Dickinson wiederum sieht durch die Einnahme russischen Territoriums die drohende Pattsituation ausgeräumt und hält einen länger dauernden Zermürbungskrieg durch die ukrainische Maßnahme mittlerweile für unwahrscheinlich.

Auch Kursk zeigt: Russland muss auch im eigenen Reich Verluste einstecken

Die Zerstörung der Brücken beweist offenbar, dass die Ukraine ihre Gegner auf deren eigenem Territorium operativ unter Druck setzen kann. Dickinson dagegen erscheint vielmehr eine Verhandlungslösung näher gerückt – er sieht Putin vor aller Welt bloßgestellt. Wenn Russland jetzt nicht zu einer entscheidenden Gegenoffensive antrete, könne Putin künftig keine „roten Linien“ mehr markieren, behauptet Dickinson. Dies gelte nicht nur gegenüber der Ukraine, sondern auch gegenüber der Nato. „Der Vormarsch der ukrainischen Armee nach Russland hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Krieges.“

Anfang August hatte sich Newsweek bezogen auf einen Bericht der Kyiv Post, wonach Moskau die Anzahl der „roten Linien“ laut Aussagen russischer Offizieller von 24 im ersten Kriegsjahr 2022 auf 15 zum Ende des zweiten Kriegsjahres reduziert hatte – ohne erkennbare Konsequenzen. Selbst die Ankunft der ersten wenigen F-16-Kampfjets in der Ukraine hat offenbar noch keinen Atomschlag ausgelöst, was der russische Außenminister Sergej Lawrow großspurig angekündigt hatte.

„Man wundert sich“: Ukraine kann unbehelligt Waffen nachschieben – und Putin schaut zu

Gegenüber dem russischen Online-Magazin lenta.ru hatte Lawrow geäußert, die ankommenden F-16 als nukleare Bedrohung anzusehen, unabhängig davon, ob sie das seien oder nicht. „Nur ein Beispiel für eine äußerst gefährliche Wendung der Ereignisse sind die Pläne der USA, dem Kiewer Regime F-16-Kampfflugzeuge zu übergeben“, erklärte Lawrow gegenüber lenta.ru. „Wir haben die Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich darüber informiert, dass Russland die Fähigkeit dieser Flugzeuge, Atomwaffen zu tragen, nicht ignorieren kann. Da helfen keine Zusicherungen.“

Der deutsche Militärhistoriker Neitzel wiederum bleibt vorsichtig. Er warnt vor allzu überbordenden Spekulationen: Wie weit Putin den Krieg eskalieren lassen würde, unter welchen Umständen er in Verhandlungen einwilligen würde – all das seien für ihn „Eine-Million-Dollar-Fragen“, auf die niemand eine Antwort geben könne. „Man wundert sich immer nur“, sagt er zu dem ständigen Fluss der westlichen Waffenlieferungen in die Ukraine – die unbehelligt bleiben.

Neitzel mutmaßt, dass Putin die Umschlage-Bahnhöfe in der westlichen Ukraine mit Marschflugkörpern technisch längst hätte neutralisieren können und das aus gutem Grund unterlassen hat; dass er Bahnstrecken hätte beschädigen lassen können, um auch Besuche westlicher Politiker in der Ukraine zu unterbinden; und auch in die Richtung keine Anstalten gemacht hat oder macht. „Auch darüber gibt es in der Nachrichtendienst-Community wilde Spekulationen – ich würde sagen, wir wissen es nicht. Das ist auch das Problem bei Putin, dass es unwahrscheinlich schwer ist nachzuvollziehen, mit wem er wie redet, was er konkret tut.“

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