„Das Tempo zählt“: Der Drohnenkrieg in der Ukraine krempelt die Rüstungsindustrie um
Günstig zu bauen und en gros zu haben: Die Waffe der Zukunft ist die Drohne. Und die liefern bald nicht mehr Big player wie Boeing, sondern Start-ups.
Kiew – „Wenn uns die Ukraine etwas gelehrt hat, dann, dass wir schneller vorankommen müssen“, sagte James Hockenhull vor einem Publikum aus Militärs und Industriemanagern – die Financial Times (FT) berichtet davon, dass der Kommandeur des britischen Strategic Command auf die Tube drückt: Der kommende Krieg wird von Drohnen bestimmt, und die westlichen Länder suchen nach Lösungen für die Fragen, die kommen werden. Wladimir Putin weist der Rüstungsindustrie den Weg in die Transformation, und Start-ups zeigen, wie der Wettlauf mit der Zeit zu gewinnen ist.
Blick in die Zukunft: Drohnenkämpfe als „Revolution im Militärwesen“
„Für die Regierungen könnte das Endergebnis der heilige Gral der Verteidigungsplaner sein: eine wahre Revolution im Militärwesen“, schreibt die Financial Times. Palmer Luckey ist ein Gamer durch und durch. Erweckt den Eindruck eines pfiffigen Berufsjugendlichen – Bloomberg hat den Wirtschaftsboss jedenfalls fotografiert, als wäre er ein Pizzabote: Flipflops, locker sitzende Jeans, blaues Hawaii-Hemd – ein milliardenschwerer IT-Tüftler im selbstbewussten Casual Look. Luckey hat vorher ein Unternehmen für Virtual-Reality-Brillen geführt. Mit seiner jungen Firma Anduril Industries im südkalifornischen Costa Mesa setzt er auf Drohnen im Wasser und in der Luft – High-Tech-Militäranwendungen durch und durch.
„Anstatt ein perfektes Produkt zu entwickeln, das viele Jahre dauern kann, ist es wichtig, schnell Produkte zu bauen, die getestet, modifiziert und erneut getestet werden können. Geschwindigkeit ist entscheidend.“
Das Unternehmen ist gerade mal sechs Jahre alt, die Liste offener Stellen umfasst an die 100 Einträge über die gesamten Vereinigten Staaten hinweg. Auf dem Bloomberg-Foto lehnt Luckey lässig an einem schwarzen Etwas, das so groß ist, wie er selbst: an einer stummelflügeligen schwarzen Rakete, die auf einem vierbeinigen kurzen Stativ thront. Sie könnte der Stolz eines Hobby-Modellbauers sein. Laut dem US-Magazin Flight Global hat das Start-up Anduril Industries aber mit der „Roadrunner“ die erste wiederverwendbare Waffe der Welt vorgestellt: einen autonomen, bodengestützten Abfangjäger, der unbemannte Luftfahrzeuge (Drohnen), Marschflugkörper und einige konventionelle Flugzeuge zerstören kann.
Drohnen-Entwicklung: Start-ups laufen der Rüstungsindustrie den Rang ab
Microsoft-Betriebssysteme und die Apple-Rechner sind in einer Garage geboren – der Terminator eines kommenden Kriegsszenarios wird womöglich ebenfalls dort seinen Ursprung nehmen – wie die FT andeutet: „In einer geheimen Ziegelwerkstatt am Rande einer Frontstadt in der Ostukraine arbeiten die Soldaten Bohdan und Vlad hart an der Herstellung von Killerdrohnen. Die kleine Fabrik verfügt über einen 3D-Drucker, mit dem die Komponenten hergestellt werden können, die aus der Technik, die für den Spaß oder die Luftbildfotografie entwickelt wurde, eine tödliche Waffe machen“, schreibt das Magazin über die Anfänge des Drohnenkrieges in der Ukraine Anfang 2022.
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Heute sei diese Werkstatt „nur noch ein Rädchen in einer der wichtigsten Industrien der Ukraine“, so die Financial Times. Im März hatten drei US-Studenten des Start-ups Theseus in Kalifornien eine Nurflügler-Drohne einschließlich der Flugzeugzelle und der Scharniere für die Steuerflächen in fünf Stunden im 3D-Druckverfahren hergestellt und innerhalb von zwei Stunden montiert, wie die Aviation Week berichtet hat. Kostengünstig, einfach, hocheffizient. Diese neue Gefechtsfeldtechnologie aus kleinen Unternehmen unterminiere die Hierarchie der globalen Rüstungsindustrie, mutmaßt die FT und lässt sich das von Micael Johansson bestätigen.
Drohnen in der Ukraine: Billig, zu Tausenden schnell verfügbar und kriegsentscheidend
Die Ukraine zeige, dass „die Markteinführungszeit und eine agilere Entwicklung wichtig sind“, zitiert sie den Geschäftsführer des schwedischen Saab-Konzerns. „Anstatt ein perfektes Produkt zu entwickeln, das viele Jahre dauern kann, ist es wichtig, schnell Produkte zu bauen, die getestet, modifiziert und erneut getestet werden können. Geschwindigkeit ist entscheidend“, sagt er. Die Bundeswehr beispielsweise scheint hinterher zu hinken, wie das Reservistenmagazin loyal im vergangenen September mit Bedauern festgestellt hat: „Nach der jetzigen Dynamik dürften noch viele Jahre vergehen, bis die Bundeswehr über die Massen an Gefechtsfeld-Drohnen verfügt, die der neue Krieg verlangt“, schreibt Autor Björn Müller.
2018 hatte erstmals auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin ein Modell der deutsch-französischen Aufklärungs-Drohne „Male rpas“ (European Medium Altitude Long Endurance Remotely Piloted Aircraft System, kurz: „Eurodrohne“) gestanden, insgesamt sechs Jahre wurde das Für und Wider diskutiert, 2028 könnten Drohnen schließlich an die Truppe ausgeliefert werden – all das während Russland und die Ukraine einander an jedem Tag mit Panzern aus dem Kalten Krieg und Drohnen aus dem Baumarkt bekriegen: billig, zu Tausenden schnell verfügbar und absolut kriegsentscheidend.
„Task-Force Drohne“: Bundeswehr will jetzt schneller entscheiden und schneller handeln
Für die Bundeswehr führt die FT an, was dort seit ungefähr 2017 diskutiert wird – zu der Zeit hatte die Bundeswehr ihr Thesenpapier „Landkrieg der Zukunft“ veröffentlicht, wie loyal berichtet – die völkerrechtliche Bedeutung des Drohneneinsatzes: „Die Debatte über bewaffnete Drohnen ist stark durch die völkerrechtswidrige oder zumindest höchst umstrittene Praxis der gezielten Tötungen geprägt. Es ist anzunehmen, dass die Drohnentechnologie solche Einsätze durch die USA und andere Staaten zumindest begünstigt hat“, schrieb 2020 Anja Dahlmann für die Stiftung Wissenschaft und Politik.
Inzwischen hat die Bundeswehr umgeschwenkt, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet: Eine Projektgruppe des Verteidigungsministeriums, die Task-Force Drohne, empfehle der Bundeswehr demnach einen breit angelegten Einsatz handelsüblicher Kleindrohnen in der Truppe. „Die Nutzung von Klein- und Kleinstdrohnen soll künftig breit in der Bundeswehr ermöglicht werden“, sagte ein Sprecher des Ministeriums der dpa in Berlin.
Drohnen in der britischen Armee: Künftig wird parallel zum Dienst modifiziert
Entgegen der früheren Denkrichtung zu „Goldrandlösungen“, warnen Experten vor Eigenentwicklungen und Einlagerungen in hohen Stückzahlen, die im Einsatz dann veraltet sein könnten, weil die Klein- und Kleinstdrohnen schnellen Entwicklungszyklen unterliegen. Das zwinge zu der Lösung, dass schnell produziert werden müsse beziehungsweise die Software schnell auf den neuesten Stand zu bringen sein muss – schließlich läuft die Entwicklung von Drohnen und Störsendern parallel.
Wie die ehemalige britische Regierung im Februar angekündigt hatte, wolle sie innovativer vorgehen als bisher und ihre Beschaffung „spiralisieren“ – die britischen Streitkräfte wollen Drohnentechnologie bereits vor der Serienreife jeweils in allen Teilstreitkräften implementieren und innerhalb des Truppendienstes weiter entwickeln. Das „könnte auch bedeuten, dass wir für eine Weile mehr Risiken in unserer Truppenstruktur tragen, weil wir vielleicht nicht alles haben, was wir erwartet hatten“, sagte James Hockenhull laut der Financial Times.
Das Ende der Big player: In den USA geben Studenten die Drohnen-Entwicklung vor
Den Kalifornier Palmer Lucky macht das zum Kriegsgewinnler: Der FT zufolge hat das US-Verteidigungsministerium „Hunderte“ seiner Altius-600M-Kampfdrohnen gekauft und an die Frontlinie der Ukraine geschickt. Zusammen mit General Atomics sei das Unternehmen von der US Air Force ausgewählt worden, um Drohnenprototypen für die Zukunft zu bauen. Die innovative Schmiede soll Big player wie Boeing und Lockheed Martin dabei ausgestochen haben.
Die aktuelle Diskussion, in die Palmer Luckey mit seiner Entwicklung hineinplatzt, geht tatsächlich über die Frage des Bestands an Waffen hinaus und befeuert den Ausbau der just-in-time beziehungsweise on-demand-Poduktion von Munition. Der Web-Auftritt von Anduril Industries suggeriert, dass die Gehäuse-Komponenten beispielsweise der neu entwickelten Killerdrohne „Roadrunner“ im 3D-Druckverfahren hergestellt werden. Die Produktion von Waffen könnte vielleicht künftig sogar parallel zur Front mit verlegt werden – in mobilen Produktionsstätten mit 3D-Druckern auf Lkw.
Palmer Luckey äußert gegenüber dem Magazin Flight Global jedenfalls seine Überzeugung, dass beispielsweise das Konzept seiner „Roadrunner“ eine derzeit leere Nische in der militärischen Luftverteidigung füllen werde – die „Roadrunner“ ist, wie er sagt, „eine Plattform, die in der Lage ist, zahlenmäßig dichte Bedrohungen aus der Luft abzuwehren, die kostengünstig ist und einfach in großen Mengen hergestellt werden kann“.