Streit um Putins Milliarden entlarvt die Ukraine-Politik der Europäer

Eine Niederlage von Friedrich Merz, dem deutschen Kanzler. Eine Niederlage von Ursula von der Leyen, der Europäischen Kommissionschefin. Eine Niederlage von Wolodymyr Selenskyj, dem Regierungschef der von Russland angegriffenen Ukraine. Das ist das, von diesem Europa-Gipfel jetzt bleibt. Dies – und einige peinliche Fragen.

Putins Milliarden und drängende Fragen

Eine davon geht so: Als Merz – und von der Leyen vor drei Wochen ankündigten, die eingefrorenen russischen Milliarden für die Ukraine zu mobilisieren - war dieses Versprechen arrogant oder ignorant? Denn widersprochen haben die Belgier schon vor drei Wochen. Das sei schon riskant, so seinerzeit der belgische Regierungschef Bart de Wever, schließlich hätten europäische Firmen im großen Stil in Russland investiert. Und was passiere mit diesen Investments, wenn nun die Europäer für die Ukraine Geld einziehen von den Russen, das ihnen definitiv nicht gehört? Würden dann die Russen nicht die Gelder der Europäer in Russland konfiszieren? 

Das führt zu Frage Nummer zwei: Was ist mit den deutschen Firmen in Russland – und deren Geld? „Deutschland hat wie kein anderes Land in Russland investiert. Es hat deshalb bei der geplanten Nutzbarmachung russischer Zentralbankgelder für Waffenkäufe zugunsten der Ukraine am meisten zu verlieren“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer, Matthias Schepp, der dpa. Zusammengerechnet sei Vermögen von über 100 Milliarden Euro in Gefahr.

Die dritte Frage geht so: Weshalb wurden die belgischen Bedenken im Vorfeld des jetzigen Gipfels in Brüssel denn nicht geklärt? Sie waren doch bekannt, sie sind seit Monaten bekannt. Sie sind auch gut begründet, was schon lange so ist. Man kennt sie im Palast der Europäischen Kommission, man kennt sie im Kanzleramt. Weshalb hat niemand mal mit diesem de Wever aus Belgien gesprochen, fragen die gut informierten Reporter des europäischen Magazins "Politico". Wie ist es eigentlich bestellt um die Verhandlungsqualitäten von der Leyens und des deutschen Kanzlers?

Nur europäische Lippenbekenntnisse

Die vierte Frage schließt sich direkt an. Wenn es nur um die belgischen Sorgen ginge beim Bemühen, die in Belgien bei „Euroclear“ lagernden Milliarden freizukriegen: Weshalb hat man sich nicht auf oder direkt nach dem Gipfel zusammengesetzt, um die belgischen Bedenken auszuräumen? Man hat es nicht getan, weil man es eben nicht wollte?

Roderich Kiesewetter wirft diese Frage auf – und er liegt damit richtig. Kiesewetter ist einer der treuesten und – dies gilt mit Blick auf den Bundeskanzler – mutigsten – Unterstützer der Ukraine. Man hat es nicht getan, sich nicht um eine Lösung des belgischen Problems gekümmert. So sehe es aber aus „wie Lippenbekenntnisse“, analysiert der so erfahrene wie unabhängige CDU-Außenpolitiker. Man beschwört eine Ukraine-Treue, die aber nicht durch Handlungen unterlegt ist. Wie viel Unehrlichkeit steckt darin?

Die fünfte Frage richtet sich an Friedrich Merz, am Ende aber noch mehr an den sozialdemokratischen Bundesfinanzminister: Was passiert, wenn die Belgier bei ihrem Nein bleiben?

Der belgische Regierungschef selbst gab darauf nach dem Gipfel eine so klare wie unbequeme Antwort: Neue europäische Schulden. Von denen dann gemäß europäischem Verteilschlüssel der Löwenanteil auf Deutschland entfiele. Was das bedeutet?

Höhere Steuern in Deutschland stehen auch im Raum

Lars Klingbeil erklärt gerade landauf, landab, dass das Geld nicht reicht. Trotz der Rekordschulden, trotz der Rekord-Steuern, die deutsche Bürger und deutsche Unternehmen an den Fiskus abführen. Und deshalb müsse gespart werden. Höhere Steuern stehen auch im Raum. Am Ende droht beides.

Und obendrauf jetzt noch einmal zig frische Milliarden für die Ukraine? Das dürfte eine muntere Debatte werden in Deutschland. Zu stoppen wäre sie nicht, selbst wenn die Regierung versuchen dürfte, das abzumoderieren, was – gerade eben – schon einmal passierte. 

Darum Frage Nummer sechs: Wenn es den Belgiern um Garantien der europäischen Mächte zur Absicherung eines belgischen Milliarden-Risikos ging, weshalb wurde dann nicht diskutiert „über deutsche Garantien“? Nämlich über rund 30 bis 40 Milliarden, die dann angefallen wären – wie Kiesewetter sagt. 

Es geht um 200 Milliarden für Kiew

Sein grüner „Ukraine-Kumpel“ Anton Hofreiter sagt nach dem Gipfel, „am Ende“ werde es nicht um 140 Milliarden gehen, sondern um 200 Milliarden für die Ukraine. 40 Milliarden Euro zur Absicherung belgischer Ausfall-Risiken nach einem denkbaren Gerichtsverfahren gegen Russland – das entspricht exakt dem regulären deutschen Anteil.

Das allerdings wäre eine Debatte, die Merz, der sich so gerne als Außenkanzler inszeniert und dessen CDU-Kompagnons ständig eine deutsche „Führungsrolle“ beschwören, nun aktuell gar nicht gebrauchen kann.

Wenn aber nun Selenskyj das Geld nicht bekommt, das der deutsche Kanzler und die deutsche Europa-Chefin ihm in Aussicht stellten, was wird dann, Frage Nummer sieben, in und aus der Ukraine? Denn es gilt ein bitter-ernstes Wort von Viktor Orban, dem ungarischen Premier, für die – bellizistischen - Europäer sozusagen der Reichsverweser des – pazifistischen - Bösen: „Die Ukraine ist nicht souverän.“ Ist Geld der Maßstab, stimmt das. Ohne Geld von außen geht die Ukraine pleite. Aktuell fehlen ihr im laufenden Etat 13 Milliarden, bis Ende nächsten Jahres sollen es, wegen des Krieges, 130 Milliarden sein.

Risiken und russische Drohnenfabriken

Der Internationale Währungsfonds addiert rund 60 Milliarden, um den ukrainischen Staat in den nächsten beiden Jahren am Laufen zu halten, plus 80 Milliarden Kriegskosten für noch einmal zwei Jahre. So kommt man auf die 140 Milliarden, die gerade auf dem Brüsseler Gipfel im Feuer standen – wo sie jetzt auch weiter bleiben. Wobei man die Kriegskosten nur ungenau kalkulieren kann. Es gibt erhebliche Risiken. 

Das größte geht aus von den russischen Drohnenfabriken. Heute produzieren sie 2000 Drohnen pro Tag. Bald schon werden es 4000 sein – pro Tag. Sagt Hofreiter. Weshalb die Ukraine dringend jene weit reichenden Waffen benötige, um diese Drohnenfabriken zu zerstören. Die sie aber einstweilen nicht kriegt.

Nicht von Donald Trump, der amerikanische „Tomahawk“-Marschflugkörper erst in sein Schaufenster stellte, um sie anschließend doch nicht zu liefern. Genau wie Friedrich Merz, der die Lieferung deutscher Taurus-Mittelstreckenraketen im Kanzler-Wahlkampf versprach, um deren Lieferung in der anschließenden Kanzler-Realität zu versagen.

"Brüssel hat sich für Krieg entschieden"

Bis Jahresende kommt er finanziell über die Runden, sagt Selenskyj. Danach werde es schwierig. Sehr schwierig. „Ein Riesenproblem“, sagt Hofreiter.

Frage Nummer acht: Was treibt eigentlich das Enfant Terrible?

Viktor Orban kam – für die Brüsseler: wunschgemäß - zu spät. Er musste schließlich zum ungarischen Unabhängigkeitstag. Ergo war Orban – diesmal – an dem europäischen Kladderadatsch nicht beteiligt. Das heißt allerdings nicht, dass Orban nicht eine glasklare Meinung hätte. Die lautet: „Brüssel hat sich für Krieg entschieden. Sie haben eine Koalition der Willigen geformt – willig, andere in den Tod zu schicken. Immer mehr Waffen, immer mehr Geld für die Ukraine: Sie haben diesen Konflikt zu ihrem Konflikt gemacht. Es könnte schon längst Frieden geben – unter der Führung von Donald Trump. Wenn diese Brüsseler diesen Weg nach vorne nicht hintertreiben würden.“

Es gibt zwei Sieger

Letzte Frage: Und wer hat in all dem Polit-Salat gewonnen?

Der Sieger Nummer Eins heißt: Wladimir Putin. Einmal mehr haben sich die Europäer als Papiertiger erwiesen. Die permanent erzählen, wie stark sie eigentlich sind, um stets, wenn es darauf ankommt, schwach zu agieren. Die Europäer haben schon im Nahen Osten keine Rolle gespielt und bei einem Krieg, der sich in Europa zuträgt, spielen sie gleichfalls keine Rolle. 

Was zu Sieger Nummer Zwei führt: Donald Trump. Er ist der Einzige, den Putin respektiert – respektieren muss. Trump besitzt die militärische wie ökonomische Macht, die Russen in die Knie zu zwingen. Er besitzt auch die Macht, es nicht zu tun. Was auch zeigt, dass der Lieblingsgedanke deutscher Außenpolitiker, von Annalena Baerbock über Olaf Scholz über Johann Wadephul bis Friedrich Merz, die Welt werde jetzt „multipolar“, eine Kopfgeburt ist. Die mit der Realität wenig bis nichts zu tun hat. Die Welt ist nicht multipolar, sondern, mehr denn je: tri-polar. Die USA, China, Russland. Danach kommt lange nichts. Und danach kommt Deutschland.

Vielleicht wäre es klug, das mit der deutschen Weltpolitik mal eine Weile sein zu lassen.