Katja Strauss-Köster hat Raumplanung studiert und in dem Bereich promoviert, danach war sie 16 Jahre lang Bürgermeisterin in der nordrhein-westfälischen Stadt Herdecke. Aus ihrer Erfahrung weiß sie, was Menschen in Städten wirklich Sicherheit gibt. Heute bringt sie ihr Wissen im Bundestag ein. Dort sitzt die CDU-Politikerin im Innenausschuss und im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen.
Strauss-Köster hält die von Kanzler Friedrich Merz angestoßene "Stadtbild"-Debatte für zu emotional, tendenziös und offensichtlich extra missverständlich geführt. Sie wünscht sich eine sachliche Auseinandersetzung darüber, wie Städte tatsächlich funktionieren können und wie die Politik verlorenes Vertrauen zurückgewinnen kann. Dabei geht es um mehr als Migration. Ihre Ideen schildert sie in einem Gastbeitrag.
Fragen des Stadtlebens sind politisch aufgeladen
Die aktuelle Diskussion über das Thema "Stadtbild" zeigt, wie politisch aufgeladen Fragen des Stadtlebens geworden sind. Wenn heute über Sicherheit gesprochen wird, geht es längst nicht mehr nur um Kriminalität. Es geht um ein Grundgefühl und das Vertrauen darauf, dass das eigene Leben in der Stadt verlässlich geschützt wird.
Dieses Vertrauen bröckelt. Viele Menschen sagen mir: "Ich fühle mich nicht mehr so sicher wie früher. Nicht, weil ich Angst habe, sondern weil ich das Gefühl habe, die Stadt funktioniert nicht mehr richtig."
Kaputte Gehwege, dunkle Parks, geschlossene Polizeiwachen, überforderte Behörden. Das alles sendet Signale. Wo der Eindruck entsteht, dass sich "niemand kümmert", wächst Unsicherheit. Und genau hier beginnt politische Verantwortung.
Beim "Stadtbild" geht es um mehr als Migration
Sicherheit darf nicht auf Polizeiarbeit reduziert werden. Eine sichere Stadt ist eine funktionierende Stadt mit beleuchteten Wegen, gepflegten Grünflächen, verlässlichem Nahverkehr und einer Verwaltung, die erreichbar ist.
Als langjährige Bürgermeisterin der Stadt Herdecke habe ich erlebt, wie sehr das Sicherheitsgefühl davon abhängt, ob Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen haben: Meine Bürgermeisterin, die verschiedenen Parteien und die Stadtverwaltung kümmern sich.
Wenn Müll abgeholt, Anträge bearbeitet und Probleme ernst genommen werden, wächst dieses Vertrauen. Und wenn Menschen frühzeitig in Planungen einbezogen werden, entsteht Identifikation. Wer mitreden darf, fühlt sich auch für das Ergebnis verantwortlich.
Der Staat muss präsent sein – nicht nur mit Polizei
Viele wünschen sich mehr staatliche Präsenz. Doch die knappen kommunalen Haushalte führen häufig zu weniger Personal, gerade dort, wo Präsenz am wichtigsten wäre.
Sicherheit entsteht dort, wo Menschen sichtbar sind: Polizistinnen auf Streife, Streetworker im Park, Mitarbeitende der Stadt im Quartier. Städte, die Polizei, Ordnungsamt und Sozialdienste eng vernetzen, schaffen spürbar mehr Vertrauen und genau das zählt.
Ein sicherer Platz ist trotzdem ein Angstraum, wenn er verwahrlost ist
Als Raumplanerin weiß ich, wie stark Gestaltung auf das Sicherheitsgefühl wirkt. Dunkle Unterführungen, verwahrloste Plätze oder unübersichtliche Haltestellen sind klassische Angsträume – selbst dann, wenn dort statistisch wenig passiert.
Das Konzept "Crime Prevention Through Environmental Design" (CPTED) zeigt: Gute Gestaltung kann Kriminalität erschweren und Wahrnehmung verändern. Sichtachsen, Licht, klare Wege und gepflegte Materialien fördern soziale Kontrolle. Sicherheit sollte also direkt mitgeplant werden und nicht immer nur nachgerüstet werden.
Das Sondervermögen fließt auch ins "Stadtbild"
Erfreulich ist, dass der Bund die Städtebauförderung, derzeit rund 790 Millionen Euro, in den kommenden Jahren deutlich aufstocken will. Hinzu kommen Mittel aus dem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen, von dem ein Fünftel direkt an Länder und Kommunen fließt für Sanierungen maroder Infrastruktur.
Maßnahmen wie der "Wohnungsbau-Turbo" und die "Sportmilliarde" wurden bereits beschlossen. Das wird helfen, Städte nicht nur schöner, sondern auch sicherer zu machen.
Wo Menschen sind, dort ist Sicherheit
Unsicherheit entsteht dort, wo Menschen sich zurückziehen. Wenn Innenstädte, Plätze oder Parks veröden, verlieren sie ihre soziale Kontrolle. Stadtpolitik kann dem entgegenwirken, indem sie Orte schafft, an denen Menschen sich gerne aufhalten: mit Cafés, Kultur, Spiel- und Bewegungsangeboten, mit Licht und Leben.
Gerade Leerstände können dabei zur Chance werden. Ich plädiere dafür, mutig zu experimentieren: Pop-up-Stores, Ateliers, Repair-Cafés, Jugendprojekte oder Start-up-Hubs bringen wieder Dynamik in die Stadtmitte. Wo Menschen sind, dort ist Sicherheit.
Die einfachste Form der Sicherheitspolitik: Schnell reinigen und reparieren
Vernachlässigte Orte wirken wie eine Einladung zum Rückzug. Das sogenannte "Broken-Windows"-Prinzip beschreibt, wie kleine Zeichen der Verwahrlosung – Müll, Graffiti, defekte Lampen – Unsicherheit verstärken können.
Deshalb ist Pflege keine Nebensache, sondern sichtbare Verantwortung. Eine Stadt, die schnell repariert, regelmäßig reinigt und ihre Grünflächen pflegt, vermittelt: Wir kümmern uns. Das ist die einfachste und oft wirkungsvollste Form von Sicherheitspolitik.
Wer um seinen Job fürchtet, erlebt die Umgebung bedrohlicher
Sicherheit ist immer auch sozial. Wer um seine Wohnung oder seinen Arbeitsplatz fürchtet, erlebt die Umgebung oft als bedrohlicher.
Eine Stadt mit stabilen sozialen Strukturen, mit bezahlbarem Wohnen, lebendigem Vereinsleben, guter Bildung und funktionierender Integration ist automatisch eine sicherere Stadt. Prävention bedeutet: Ursachen bekämpfen, bevor Symptome sichtbar werden.
Bürgerbeteiligung ist Sicherheitsfaktor
Ich bin überzeugt: Bürgerbeteiligung ist kein lästiger Zusatz, sondern ein Sicherheitsfaktor. Wenn Menschen bei der Planung von Straßen, Plätzen oder Verkehrswegen mitreden können, identifizieren sie sich stärker mit ihrem Umfeld. Wer sich einbringt, achtet auch darauf.
Verschiedenste Beteiligungsformen und regelmäßige Stadtteilgespräche sind keine Symbolpolitik, sondern echte Werkzeuge, um Vertrauen zurückzugewinnen. Wo Bürgerinnen und Bürger ernst genommen werden, sinkt das Gefühl des Kontrollverlusts.
Kleine Dinge mit großer Wirkung: Licht und Mobilität
Manchmal sind es die kleinen Dinge, die große Wirkung zeigen. Licht ist einer davon. Warmes, gleichmäßiges Licht schafft Übersicht und Orientierung.
Auch Mobilität spielt eine zentrale Rolle: Sich im Bus, an der Haltestelle oder auf dem Radweg sicher zu fühlen, ist Grundvoraussetzung für Lebensqualität. Barrierefreie Übergänge, gut gestaltete Bahnhöfe und klare Wegeführungen sind Teil einer modernen Sicherheitsarchitektur, ebenso wie die Gewissheit, dass man überall gesehen werden kann.
Ehrliche und offene Kommunikation stärkt Vertrauen
Ein oft unterschätzter Teil der Sicherheitspolitik ist Kommunikation. Wenn Probleme beschönigt werden, entsteht Misstrauen. Wenn sie dramatisiert werden, entsteht Angst.
Was hilft, ist Ehrlichkeit. Menschen wollen wissen: Was passiert? Was wird dagegen getan? Wie kann ich selbst beitragen? Offene Kommunikation über Polizeiberichte, Stadtentwicklungsprojekte oder anstehende Maßnahmen stärkt das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik.
Jeder reparierte Laternenmast schafft Vertrauen
Die entscheidende Frage lautet: Vertraue ich darauf, dass meine Stadt funktioniert – und dass sie mich schützt, wenn etwas passiert? Dieses Vertrauen entsteht nicht vorrangig durch mehr Überwachung, sondern durch sichtbare Fürsorge. Es wächst mit jedem reparierten Laternenmast, jeder geordneten Grünfläche und jedem Gespräch.
Eine Stadt, die ihren Menschen das Gefühl gibt, gesehen und ernst genommen zu werden, ist automatisch eine sicherere Stadt. Und genau das sollte unser Maßstab sein.