Die Schwarzerle: Venedig steht auf ihrem Holz
Schwarzerlen wachsen auf nassen Böden besonders gut. Ein sehenswertes Exemplar steht am Ostufer des Starnberger Sees in St. Heinrich.
St. Heinrich – Ist die Erle „a Staud‘n“, also ein Unkraut, oder eine wertvolle Baumart? Für Förster Robert Nörr von der Bayerischen Forstverwaltung ist die Antwort eindeutig. „Sie ist ein Wertbaum, wenn man sie konsequent pflegt“, sagt der Wolfratshauser. Viel Pflege angedeihen lässt den Erlen – und natürlich auch den anderen Bäumen – in seinem Wald Georg van Bebber. Unweit des Badegeländes am Starnberger See bei St. Heinrich zeigt uns der Revierförster von den Bayerischen Staatsforsten in der Nähe des Radwegs, der den See umspannt, ein besonders schönes, wenn nicht sogar einzigartiges Exemplar einer Schwarzerle.
Die Dämonin unter den Bäumen
Woher rührt ihr Name? „Der Name Schwarzerle beruht zunächst wohl auf der alten Verwendung ihrer Rinde zum Schwarzfärben von Leder sowie der Herstellung schwarzer Tinte aus ihren Fruchtzapfen“, erklärt Nörr. Mancherorts sei der Baum auch als Roterle bekannt, was sich auf die rötliche Verfärbung des frisch geschlagenen Holzes beziehe. „Die Farbe Rot galt den Germanen als Sinnbild des Teufels, der Hexen und des Bösen schlechthin.“
Selbst der Boden, auf dem die Erlen wachsen, schien verflucht zu sein. „Rotes Haar und Erlenloden wachsen nicht auf gutem Boden“ rezitiert Nörr ein altes Sprichwort. „So wagte man sich nur ungern in diese moorigen Auen, wo einem die Moorhexe auflauern und in den Grund ziehen könnte.“ Die Erle selbst schien die Verkörperung dieser Dämonin zu sein. Immerhin sollen auch die keltischen Druiden ihre Menschenopfer im erlenumsäumten Moor versenkt haben. Nörr: „Bezeichnenderweise spielt die Erle in der griechischen Mythologie eine ähnliche Rolle.“ So hielten an erlenbewachsenen Orten sowohl die Nymphe Kalypso als auch die Zauberin Kirke den Helden Odysseus jeweils mehrere Jahre in ihrem Bann, weiß der Förster.
Im Landkreis kommt die Schwarzerle auf Nassböden entlang von Bächen, in den Isar- und Loisachauen sowie in gut nährstoffversorgten Niedermooren vor. Der Baum, den Revierförster van Bebber unserer Zeitung an diesem schönen Sommertag zeigt, ist am Ostufer des Starnberger Sees zu finden. „Das ist eine absolut gigantische Erle“, sagt der gebürtige Westfale (60), als wir vor ihr stehen und den Kopf in den Nacken legen. Kerzengerade ist sie in die Höhe gewachsen, bevor sich ihr Stamm in zwei etwa gleich starke Äste teilt und aus ihr einen Zwiesel macht. Die Rinde ist grob und von Furchen durchzogen. In Dimension und Alter sei diese Erle ein völliger Ausnahmebaum, sagt van Bebber. „Das ist die größte, die ich kenne“, bestätigt sein Kollege Nörr, während er beeindruckt noch oben schaut.
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Für gewöhnlich werden Erlen maximal 32 Meter hoch. Bebber schätzt diese Erle auf 35 Meter. Auch das Alter sei mit geschätzten 140 Jahren rekordverdächtig hoch. Der Experte führt die Ausmaße des Baumes auf die optimalen Standortbedingungen am Ostufer des Starnberger Sees zurück. „Erlen fühlen sich in unserem Grundmoränenklima sehr wohl“, sagt van Bebber. In dem sumpfigen Gebiet hat das Prachtexemplar Brettwurzeln ausgebildet. Das ist laut Nörr eigentlich untypisch für die Baumart. Er erklärt sich das damit, dass der Baum sie ausgebildet hat, um auf dem nassen Boden stabiler stehen zu können. Weil es in van Bebbers Wald so viele Erlen gibt, gewinnt der Förster zusammen mit seinem Team auch Saatgut für die Nachzucht.
Schwarzerle wirft Blätter grün ab
In vielerlei Hinsicht sei sie eine einzigartige Baumart, ergänzt Nörr. „Sie atmet auch über die Rinde und kann selbst längere Hochwasser unbeschadet überleben.“ Ihr ausgeprägtes inneres Belüftungssystem ermögliche den Wurzeln eine ausreichende Luftzufuhr. „Sie ist von der Stickstoffversorgung aus dem Boden weitgehend unabhängig“, erklärt der Experte. „Die Erle besitzt sogenannte Wurzelknöllchen, in denen Bakterien Stickstoff aus der Luft binden.“ Bis zu 200 Kilo je Hektar und Jahr können Erlen so speichern. „Das entspricht einer landwirtschaftlichen Volldüngung“, veranschaulicht der Wolfratshauser. Daher habe es die Erle auch nicht nötig, vor dem Laubfall die Inhaltsstoffe aus den Blättern abzuziehen. Sie wirft – wie die Esche – ihre Blätter grün ab.
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Baum bildet Zapfen aus
Bereits ab dem Frühsommer verliere die Erle die ersten Blätter. Das betreffe vor allem die untersten Blätter. Förster erklären sich den frühen Laubfall mit dem extrem hohen Lichtbedarf der Schwarzerle. Ebenfalls ungewöhnlich für einen Laubbaum sind die Früchte: Die Erle bildet wie ein Nadelbaum Zapfen aus.
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Jahrzehntelang war Erlenholz kaum abzusetzen. Die Wende brachte unter anderem die Wertholzversteigerungen der vergangenen 26 Jahre. Organisiert von den Waldbesitzervereinigungen und dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Holzkirchen, konnten hochwertige Stämme an Spezialkunden wie Furnierwerke, Kunst- oder Möbeltischler zu Preisen bis 1000 Euro pro Festmeter verkauft werden. „Dieser Aufschwung wäre ohne den damaligen Trend nach hellen Möbeln nicht möglich gewesen“, berichtet Nörr. „Plötzlich entstand ein Markt für das Erlenholz, dessen Furnier eine sehr feine Zeichnung aufweist und sich zudem leicht färben und beizen lässt.“ Gute Holzpreise lassen sich Nörr zufolge ausschließlich mit guter Qualität erzielen. Eine konsequente Pflege sei unerlässlich, damit aus ihr ein „Wertbaum“ wird.
Steckbrief
Nadel: rund gesägt, eiförmig;
Rinde: dunkel;
Früchte: kleine Zapfen;
Wurzel: starke Herz- bis Senkwurzeln bis zu zwei Metern Tiefe, auch auf nassen Böden;
Höhe: maximal 32 Meter;
Altersgrenze: 120 Jahre;
Vorkommen im Landkreis: typisch für feuchte bis nasse Grundmoräne;
Holzeigenschaften: gut zu trocknen, arbeitet und reißt wenig, leicht bis mittelschwer, im Außenbereich wenig beständig, unter Wasser sehr dauerhaft;
Holzpreis: Schreinerware ab 90 Euro pro Festmeter, Furnierqualität über 200 Euro pro Festmeter.