Landratsamt übt Druck auf Fehlbeleger in Asylunterkünften aus: „Das ist zynisch“

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Nach Abschluss ihres Asylverfahrens müssen Geflüchtete die staatlichen Asylunterkünfte verlassen. Das gilt zumindest in der Theorie. © Felix Kästle

Geflüchtete sollen dokumentieren, dass sie sich um eine eigene Wohnung bemühen – obwohl das so gut wie aussichtslos ist. Eine Asylhelferin in der Jachenau kritisiert das Vorgehen des Landratsamts.

Jachenau - Das Landratsamt macht regelmäßig Druck auf die aktuell 465 Fehlbeleger im Landkreis, die staatlichen Asylunterkünfte zu verlassen und sich eine eigene Wohnung zu suchen. Würden sie ja herzlich gerne, entgegnet Asylhelferin Claudia Gudelius aus der Jachenau und wirft der Behörde Zynismus vor.

465 Fehlbeleger in staatlichen Asylunterkünften

Claudia Gudelius ist stinksauer über die Bürokratie. „Hier werden nur Zeit, Energie und Geld verschwendet für nichts und wieder nichts“, schimpft die Jachenauerin in einem Brief ans Landratsamt. Ein Schreiben der Behörde, das nun vielen von ihr betreuten Geflüchteten zugestellt wurde, ist nach ihrem Empfinden „zynisch, voll mit bitterstem Hohn und Spott“ und beinhalte „eine saftige Drohung“.

Zum Hintergrund: In den Asylunterkünften im Landkreis wohnen weiterhin auch Menschen, die dazu eigentlich gar nicht mehr berechtigt sind, weil ihr Asylverfahren abgeschlossen ist. Sie sind bleibeberechtigt beziehungsweise unterliegen einem Abschiebeverbot. Von diesen sogenannten Fehlbelegern gibt es im Landkreis momentan 465. Das Landratsamt duldet sie in den Unterkünften, da ihnen sonst Obdachlosigkeit droht – und in diesem Fall die Gemeinden eine Wohnung für sie finden müssten. „Sie müssen aber nachweisen können, dass sie sich um eine Wohnung bemühen“, erklärt Landratsamts-Sprecherin Marlis Peischer.

Wer in Jachenau untergebracht ist, muss den ersten Taxi-Bus um 6 Uhr nehmen, um vielleicht pünktlich zu einer Arbeit nach Lenggries oder Tölz zu kommen, hat aber so gut wie keine Chance, abends heimzukommen.

Genau zu diesem Nachweis werden die Betroffenen immer wieder aufgefordert. Laut Peischer sind gerade wieder Briefe an etwa 200 Haushaltsvorstände hinausgegangen. Darin werden die Fehlbeleger daran erinnert, dass sie vierteljährlich anhand einer Liste ihre „aktiven Bemühungen“ bei der Wohnungssuche dokumentieren müssen. Das Schreiben endet mit dem Satz: „Wir machen Sie noch mal darauf aufmerksam, dass die vorliegende Nutzung widerrufen werden kann.“

Keine Jobs und schlechte Verkehrsverbindungen

Asylhelferin Claudia Gudelius empfindet dieses Vorgehen als Hohn. Ihre Argumentation: „Ausnahmslos alle hier untergebrachten Asylbewerber wollen lieber heute als morgen aus Jachenau weg.“ Schließlich gebe es in der Gemeinde für sie keine Arbeit, die Verkehrsverbindungen seien schlecht, es gebe weder eine anerkannte Sprachschule noch Einkaufsmöglichkeiten für Kleidung oder einen Discounter für Lebensmittel. Auch Arzt oder Apotheker seien von hier aus nur schwer zu erreichen.

„Wer in Jachenau untergebracht ist, muss den ersten Taxi-Bus um 6 Uhr nehmen, um vielleicht pünktlich zu einer Arbeit nach Lenggries oder Tölz zu kommen, hat aber so gut wie keine Chance, abends heimzukommen“, schildert Claudia Gudelius. „Denn der letzte Bus geht bereits um 18.12 Uhr.“ Jede Arbeit beispielsweise im Bauwesen, in einer Bäckerei, im Reinigungswesen oder in der Gastronomie bedeute, dass der Arbeitstag nicht erst um 8 Uhr anfängt und um 17 Uhr endet.

Zudem werde in diesen Branchen Arbeit an den Wochenenden erwartet. „Wie soll das ein Jachenauer Asylbewerber ohne eigenes Auto schaffen?“ Die Geflüchteten würden deswegen mehr oder weniger verzweifelt versuchen, eine andere Unterkunft zu finden – allerdings ohne Aussicht auf Erfolg.

Welcher Vermieter nimmt einen alleinstehenden Mann aus Afghanistan oder der Türkei, der fremdländisch aussieht, schwarze Haare hat, ohne Schulbildung und Beruf ist und kaum Deutsch spricht, als Mieter auf?

Gudelius nennt Fallbeispiele: Ein Afghane, der schon seit 2016 ungekündigt beim selben Arbeitgeber in der Jachenau tätig sei, mit dem Fahrrad im Sommer wie im Winter zur Arbeit fahre und in der Gemeinde als „anständiger Mensch“ bekannt sei, suche seit mittlerweile acht Jahren vergeblich eine Wohnung. Ganz abgesehen vom allseits bekannten Mangel an Wohnraum in der gesamten Region: „Welcher Vermieter nimmt einen alleinstehenden Mann aus Afghanistan oder der Türkei, der fremdländisch aussieht, schwarze Haare hat, ohne Schulbildung und Beruf ist und kaum Deutsch spricht, als Mieter auf? Welcher Vermieter nimmt eine türkische Familie ohne Arbeit auf?“

Und wie lasse sich die schier aussichtslose Wohnungssuche dokumentieren, fragt Gudelius. „Wollen Sie wirklich die Begründung schriftlich mit Namensnennung der Vermieter im Wortlaut haben? Oder soll ich Ihnen das Klicken des Telefons mit Namensnennung der Vermieter auf Tonband aufnehmen, wenn die Vermieter den Hörer hinknallen, wenn sie die Nationalität Afghanistan oder Türkei hören?“

Nur wenigen Fehlbelegern gelingt es, Wohnraum zu finden

Die Wohnungsnot sei doch seit Jahren bekannt. „Sie hat sich durch die Asylsuchenden verschärft“, räumt Claudia Gudelius ein. „Aber: Die Regierungen haben auch ohne Asylbewerber die Abschaffung dieser Not seit Jahrzehnten verschlampt. Das ist nicht allein die Schuld der Bürger und Asylsuchenden.“

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Das Schreiben aus dem Landratsamt empfindet sie als „Spott“. Und den Adressaten mache es Angst, ihre Unterkunft – für die sie als Fehlbeleger Miete zahlen – zu verlieren.

Droht ihnen tatsächlich der Rauswurf? „Ausgeschlossen werden kann es nicht, dass ein Fehlbeleger nicht mehr in einer staatlichen Unterkunft bleiben kann“, erklärt dazu Marlis Peischer. Und haben Fehlbeleger aus Sicht der Behörde überhaupt eine Chance, etwas anderes zu finden? Dazu Peischer: „Vereinzelt gelingt es Fehlbelegern, Wohnraum zu finden. Aber leider nicht der Masse.“

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