Wer ein altes Haus kauft, erwirbt nicht nur eine Immobilie, sondern auch die Verantwortung für eine lange Geschichte. Die Familie Fleissner war sich dessen wohl bewusst und fügte der Historie ein spannendes neues Kapitel hinzu.
1588 wurde das Bauernhaus errichtet; 1975 bezog es die Familie Fleissner, bestehend aus Vater Bernd, Mutter Monika und den drei- und vierjährigen Töchtern Christiane und Almut. „Wir lebten jahrelang auf einer Baustelle, zogen immer von einem Zimmer ins andere“, erinnert sich Monika Fleissner. Christiane ergänzt: „Für uns Kinder war das herrlich! Immer war was los, immer waren viele Leute da.“ Denn obwohl der studierte Holzingenieur Bernd Fleissner vieles selber machen konnte, war er natürlich auf die Unterstützung zahlreicher Handwerker angewiesen, um aus dem Haus, das sich „in einem verwahrlosten Zustand“ befand, in zehnjähriger Arbeit ein behagliches Zuhause für die Familie zu machen.
Die Eltern richteten ein Künstleratelier ein
Ein Künstleratelier wurde ebenfalls eingerichtet, denn beide Ehepartner waren kunstschaffend tätig. Bernd als Maler und Illustrator, Monika machte Holzschnitte und Kupferstiche. Im Jahr 1961, genau einen Monat nach dem Mauerbau mit gefälschtem Pass aus der DDR geflohen, besuchte sie in Berlin die Kunstschule für Zeichentrickfilm und arbeitete viele Jahre in Trickfilmstudios, unter anderem in London. Hier machte sie Trickfilme von den Beatles, die regelmäßig zu ihr ins Studio kamen, um die Arbeiten abzunehmen.
Später lebte sie drei Jahre in Griechenland. „Eine Arbeit habe ich dort allerdings nicht gefunden, sondern von meinem Ersparten gelebt“, erzählt sie. Und dann nahm sie zum Glück eine Stelle in einem Trickfilmstudio in München an, denn hier lernte sie Bernd kennen, der sich ausbedungen hatte, vor dem Eintritt als Spielwarendesigner in den väterlichen Betrieb in Geretsried ein Jahr im Trickfilmstudio arbeiten zu dürfen. „Und dann haben wir sehr schnell geheiratet“, erzählt Monika Fleissner.
„Wir sind mit Musik aufgewachsen“
Das war 1970; 1971 und 1972 wurden die Töchter geboren. Kurz darauf entdeckte der Schwiegervater in Antdorf ein uraltes Haus in jämmerlichem Zustand, das er gleichwohl sofort kaufte, und übergab es dem Sohn. In diesem neuen, ländlichen Familiendomizil wurde nun nicht nur künstlerisch gearbeitet, sondern Monika Fleissner erteilte auch Flötenunterricht. Denn sie entstammt einer Musikerfamilie, ihre Eltern begründeten die renommierten Greifswalder Bachwochen. „Wir sind mit Musik aufgewachsen“, erzählt sie. Und da ihr so etwas in Antdorf fehlte, bot sie den Musikunterricht kurzerhand selbst an. Die Nachfrage war immens: „Hier saß jeden Nachmittag eine ganze Runde Kinder im Wohnzimmer!“
Während sich Christiane mit gemischten Gefühlen daran erinnert, dass dies auch mit immerwährendem Gepiepse verbunden war, kam ihre Schwester Almut auf den Geschmack: „Sie studierte Bockflöte in Holland und hat dann noch ein Aufbaustudium in Weimar angeschlossen“, berichtet die Mutter.
Rückkehr nach dem Tod des Vaters
Während Almut in Thüringen blieb, machte Christiane erst eine Ausbildung als Holzbildhauerin in München, um dann an der dortigen Kunstakademie freie Bildhauerei zu studieren. Viele Jahre hat sie in München gelebt und gearbeitet. Nach dem Tod ihres Vaters 2020 ist sie mit ihrem Lebensgefährten zurück nach Antdorf gezogen und hat sich hier ein helles, luftiges Atelier eingerichtet.
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Hier hängen zwei großformatige Bilder an der Wand, die den Blick des Betrachters magisch anziehen. „Das sind Fotocollagen“, erklärt die Künstlerin. „Beim Klettern mache ich Fotos, von einer Tour bringe ich um die 200 Bilder mit nach Hause.“ Die schaut sie sich immer wieder an, bis die Idee zur künstlerischen Umsetzung gereift ist. „Dieses Foto ist beim Klettern im Zillertal entstanden. Ich habe eine geschliffene Folie auf schwarzes Papier gesetzt. Durch den Schliff wird sie matt und wirkt vor dem schwarzen Hintergrund dann silbrig-grau.“ Dann werden Elemente aus dem zerschnittenen Foto eingefügt. So entsteht etwas ganz Eigenes, Besonderes, das den Betrachter staunen lässt.
Künftig mehr Ausstellungen
Neulich fand nach längerer Zeit wieder einmal eine Ausstellung im Atelier der Fleissners statt. Künftig sollen es zwei pro Jahr sein, in denen auch die Arbeiten befreundeter Künstler gezeigt werden sollen. Darüber hinaus kann sich Christiane Fleissner auch vorstellen, Lesungen und Konzerte miteinzubeziehen. Im 437 Jahre alten Antdorfer Haus ist neues künstlerisches Leben eingezogen.