Wer darauf verzichten sollte - Heilende Hände oder riskante Behandlung? Was Sie über Chiropraktiker wissen sollten

Im Netz kursieren unzählige Videos, die eine Behandlung beim Chiropraktiker demonstrieren, teils in kuriosen Posen, mit spektakulären Knack-Geräuschen und anschließend beseelten Kunden. Erst hatten sie Rückenschmerzen, Nackenschmerzen, Gelenkbeschwerden – im Anschluss fühlen sie sich wie neu geboren.

Chiropraktiker arbeiten ausschließlich mit ihren Händen, setzen bestimmte Handgriffe ein, um Blockaden im Körper zu lösen. Das Problem: Chiropraktiker ist nicht gleich Chiropraktiker. Bei der Suche nach einem in Ihrer Nähe, könnten Sie sowohl auf einen Arzt mit abgeschlossenem Medizinstudium stoßen, der zusätzlich mehrere Jahre in eine Weiterbildung zum Chiropraktiker investiert hat – als auch auf einen Heilpraktiker, der ein paar Tage ein Seminar besucht hat. Der Begriff „Chiropraktiker" ist in Deutschland nicht geschützt, die Ausbildung nicht gesetzlich geregelt. Es gibt keine staatlich anerkannte Chiropraktiker-Ausbildung.

Es kann sich also lohnen, genau nachzufragen, welche Ausbildung Ihr Chiropraktiker genossen hat und welchen medizinischen Hintergrund er hat.

Chiropraktik: Sinnvoll, wirkungslos oder gefährlich?

Und wie steht es um die Wirksamkeit der sogenannten Manuellen Therapie beim Chiropraktiker? Wissenschaftliche Untersuchungen gibt es vor allem zur kurzfristigen Schmerzlinderung. Hier schneidet die Chiropraktik oft ähnlich gut ab wie vergleichbare Methoden, etwa Physiotherapie oder Bewegungstherapie. Untersucht wurde die Wirkung in den meisten Studien an Probanden mit Nacken- oder Rückenschmerzen.

Ob Chiropraktik auch langfristig oder sogar dauerhaft Schmerzen lindern kann, geht aus den meisten Studien allerdings nicht hervor. Hierfür liegen noch zu wenig Daten über einen entsprechend langen Zeitraum vor. Wissenschaftler empfehlen Chiropraktik daher vor allem als ergänzende Behandlung, nicht als einzige Maßnahme. 

Wann Chiropraktik nicht infrage kommt

Unter bestimmten Umständen raten Experten allerdings explizit von einer Behandlung ab. Es gibt besonders sensible Bereiche im Körper, beispielsweise an der Halswirbelsäule, an denen man manuelle Techniken „vorsichtig und mit Bedacht“ einsetzen muss, warnt Tobias Renkawitz, Ärztlicher Direktor an der Klinik für Orthopädie der Universität Regensburg: „Da gibt es tatsächlich in der Literatur Fallberichte, wonach es teilweise zu Problemen kommen kann.“

Chiropraktik sollte nicht durchgeführt werden bei

  • Bandscheibenvorfällen
  • frische Verletzungen
  • Brüchen
  • Osteoporose
  • Entzündungen an den Gelenken
  • Tumoren
  • Nervenreizungen

„Grundsätzlich sehen Experten die chiropraktische Behandlung von Beschwerden im Halsbereich kritisch, denn insbesondere dort darf man nicht mit Kraft vorgehen“, sagt Johannes Beckmann vom Krankenhaus Barmherzige Brüder in München gegenüber der „Apotheken Umschau“.

Bei einem Patienten mit entsprechenden Vorschäden könnten die Maßnahmen eines Chiropraktikers, sofern kraftvoll angewandt, einen Bandscheibenvorfall bis hin zu Lähmungserscheinungen auslösen. „Dafür bräuchte es aber schon Kraft und Vorschäden“, betont Beckmann. Mit einer korrekten Technik sei das unwahrscheinlich.

Gelähmt nach Behandlung durch Chiropraktiker

Doch solche Einzelfälle gibt es: So suchte im Juni 2022 die US-Amerkanerin Caitlin Jensen eine Praxis für Chiropraktik auf, weil sie Schmerzen im unteren Rücken hatte. Dort hantierte der Chiropraktiker an ihrem Hals. Die Behandlung löste bei der jungen Biochemikerin einen Schlaganfall aus. Es kam zu einer Hirnblutung und im weiteren Verlauf zu einem Herzinfarkt.

Caitlin Jensen vor und nach dem Besuch beim Chiropraktiker.
Caitlin Jensen vor und nach dem Besuch beim Chiropraktiker. Facebook/Caitlin Jensen/Darlene Jensen

Caitlins Herz stand zehn Minuten still. Die Ärzte konnten Jensen zwar wiederbeleben. Sie ist seit dem Vorfall jedoch beinahe vollständig gelähmt, sitzt im Rollstuhl.

Zuerst zum Hausarzt oder Orthopäden

Orthopäde und Unfallchirurg Tobias Renkawitz rät Schmerzpatienten, immer zuerst den Hausarzt oder die Orthopädie-Praxis zu kontaktieren: „Dort können Warnsignale untersucht werden, die eine Manuelle Therapie gegebenenfalls ausschließen.“

Auch er empfiehlt: Chiropraktik sollte nicht als einzige Maßnahme zum Einsatz kommen. „Chiropraktik ist eine passive Maßnahme. Bei Rückenschmerzen ist vor allem ein tägliches, aktives Bewegungsprogramm von entscheidender Bedeutung.“

Richtig mit Rückenschmerzen umgehen

Halten Rückenschmerzen über mindestens drei Monate an, ist die Rede von chronischen Schmerzen. „Spätestens dann ist es an der Zeit, konsequent Maßnahmen zur Stärkung der Rückengesundheit zu ergreifen", erklärt Christian Maihöfner. Er ist Schmerz-Experte der Deutschen Hirnstiftung.

Der Mediziner warnt davor, die Rückenschmerzen einfach „auszusitzen“. Stattdessen müssten Betroffene das Zeitfenster nutzen, bevor die Schmerzen chronisch werden. Er rät deshalb dazu, in Bewegung zu bleiben – auch bei akuten Rückenschmerzen. Es sei ein „häufiger Fehler“, dass sich Betroffene nicht ausreichend bewegen. Dabei bewirke das oft das Gegenteil. Der Schmerz würde durch Ruhe stärker „und am Ende chronisch“. Der Neurologe stellt klar: „Liegen keine Ursachen wie ein Bruch, eine Tumorerkrankung oder eine vorausgegangene OP vor, sollten Betroffene sich nicht schonen, sondern bewegen.“

Dazu rät der Experte sogar zur Einnahme von Schmerzmitteln: „Wir Ärztinnen und Ärzte raten grundsätzlich immer dazu, möglichst wenig freiverkäufliche Schmerzmittel einzunehmen. Doch bei akuten Rückenschmerzen, ist es besser, ein paar Tage lang Schmerztabletten einzunehmen und in Bewegung zu bleiben, als wegen der Schmerzen jede Bewegung zu meiden. Denn Bewegung ist die wirksamste Therapie gegen Rückenschmerzen.“