„Brutal enttäuscht von Friedrich Merz“ - CDU-Basis erschüttert vom Koalitionsplan: „Die Enttäuschung über Merz ist brutal“

Simon Sopp ist einer derjenigen, die ganz auf Friedrich Merz gesetzt haben. Der 39-jährige Bankangestellte aus Schwäbisch Gmünd will nicht, dass seine beiden Kinder einmal die Zeche für die Kredite von heute zahlen – entsprechend wichtig war ihm das klare Bekenntnis seiner Partei zur Schuldenbremse. In der Jungen Union kämpfte er lange für eine konservative Erneuerung und hoffte auf Merz.

„Bin echt verbittert über Merz und meine CDU“

Nicht einmal sechs Wochen nach der Bundestagswahl äußert er sich völlig anders. „Ich habe keine Hoffnung mehr, bin echt verbittert über Friedrich Merz und meine CDU“, erzählt er am Telefon und verweist auf das, was in den Sondierungen und zuletzt aus den Arbeitsgruppen der künftigen Koalition nach außen gedrungen ist: „Für mich ist das keine Wende, sondern ein Weiter-so, wenn nur Geld in die Hand genommen wird, aber keine grundlegenden Reformen angegangen werden.“

Ein Einzelfall ist das nicht. „Die größten Merz-Unterstützer sind besonders ernüchtert, schreiben mir bittere Briefe und treten zum Teil aus“, erzählt Sopps direkt gewählte CDU-Bundestagsabgeordnete Inge Gräßle.

Landauf, landab berichten Kreischefs und gerade in ihrem Wahlkreis befindliche Abgeordnete, wie sehr der bisher so anders ausgefallene „Politikwechsel“ ihres Kanzlerkandidaten die Basis verstört. 

„Die Änderungen an der Schuldenbremse waren ein Einschnitt“, sagt selbst Niklas Frigger aus Merz’ Heimatstadtverband Brilon, „weil wir im Wahlkampf etwas Anderes erzählt haben.“ 

„Die persönliche Enttäuschung über Merz ist brutal“

„Die persönliche Enttäuschung mancher Mitglieder über Friedrich Merz ist wirklich brutal – nach dem Motto ,Jetzt haben wir schon den Merz gewählt und trotzdem ändert sich nichts’“. So ist das von Max Mörseburg, dem CDU-Kreisvorsitzenden in Stuttgart, zu hören: „Die Zahl der Parteiaustritte ist erkennbar gestiegen."

In Kühlungsborn an der Ostsee hat kürzlich sogar ein Drittel der Stadtverbands-Mitglieder das Parteibuch zurückgegeben. Georg Günther, frisch gewählter Bundestagsabgeordneter aus dem Nachbarwahlkreis Vorpommern-Rügen zeigt Verständnis für den Unmut: „Mit dem Verweis darauf, dass der Koalitionsvertrag am Ende sicher eine starke CDU-Handschrift tragen wird, lässt er sich noch bändigen.“ Er warnt, dass es andernfalls „mehr als unruhig werden“ wird.

"Sonst rechne ich fest mit weiteren Austritten aus meinem Kreisverband" Max Mörseburg über die Stuttgarter CDU im Falle zu großer Koalitions-Zugeständnisse an die SPD

Die Schwäbin Gräßle sagt, die meisten Mitglieder warteten „das wirkliche Ergebnis der Verhandlungen ab. Sie sind misstrauisch, aber noch gutwillig“. Noch!

Die Botschaft aus verschiedenen Teilen der Republik an die Parteispitze, die am Dienstag in Berlin erneut mit der SPD verhandelt hat, ist eindeutig: Noch wird die Lage vor Ort als halbwegs beherrschbar eingeschätzt. Es braucht aber inhaltliche Erfolge in der Verhandlungen, wenn es nicht noch weiter nach unten gehen soll – wie in der jüngsten Forsa-Umfrage, die für die Union nach den mauen 28,5 Prozent bei der Bundestagswahl jetzt nur noch 25 misst.

Merz und das Signal an die Basis

„Die Erwartung, dass in den Koalitionsverhandlungen von der CDU noch deutlich mehr kommen muss, haben wir auch direkt unserem Bundestagsabgeordneten gespiegelt“, erzählt Frigger aus Brilon. „Das ist in diesem Fall Friedrich Merz selbst.“

Das erklärt auch, wieso der CDU-Chef die Zwischenergebnisse aus den Arbeitsgruppen am vergangenen Freitag so harsch als „Wünsch Dir was“ kritisiert hat. Und es verdeutlicht, warum Union und SPD nun so hart um genau die beiden Streitpunkte ringen, die auch der Stuttgarter Mörseburg benennt.

Seiner Meinung nach „muss insbesondere in der Migrations- und Wirtschaftspolitik die CDU-Handschrift erkennbar werden“. Und wenn nicht? „Sonst rechne ich fest mit weiteren Austritten aus meinem Kreisverband.“

"Der Wählerwille muss sich im Vertrag widerspiegeln" Der niedersächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban über die Kräfteverhältnisse in der Koalition

In eine Lage, in der es die CDU zwischen den Koalitionskompromissen und dem Frust der Basis zerreißen könnte, hätte sie nach Ansicht eines Vorstandsmitglieds nie kommen dürfen. „Unser Migrations-Manöver hat die Linke stark gemacht, unser Wahlkampf war gegen die Grünen gerichtet, so blieb als einzig mögliche Koalitionspartnerin die SPD übrig, die nun Mondpreise verlangen kann – diese strategische Gefahr war bekannt.“ Man habe sie „nicht nur ignoriert, sondern durch das Schüren riesiger Erwartungen bei den eigenen Leuten noch verstärkt“.

Die Kritik richtet sich gegen den CDU-Vorsitzenden und gegen CDU-Chef Markus Söder und dessen Grünen-Bashing. Deshalb konnten sie nicht nur Gegenleistungen für ihr Ja zur Schuldenbremsen-Reform verlangen – sie fehlen auch als Alternative, mit der man argumentativ gegenüber den Genossen klarere Kante zeigen könnte.

Nun braucht es auf der Schlussetappe der Koalitionsgespräche ein neues Erwartungsmanagement. Der niedersächsische Abgeordnete Tilman Kuban verweist einerseits auf das 28-Prozent-Ergebnis, das eine Koalition und Kompromisse nötig mache, anderseits auf die nur 16 Prozent der SPD: „Deshalb muss der Koalitionsvertrag zwei Drittel Unions- und ein Drittel SPD-Forderungen enthalten“, so Kuban: „Der Wählerwille muss sich im Vertrag widerspiegeln.“

Käme es so, könnte sich zumindest ein Teil der CDU-Basis wieder beruhigen. Nicht aber Simon Sopp aus Schwäbisch Gmünd, der nachhaltig verärgert ist, wie er sagt, „da können auch Formelkompromisse im Koalitionsvertrag nicht mehr helfen“.

Von Christopher Ziedler

Das Original zu diesem Beitrag "Verärgerte Parteibasis besteht auf mehr CDU in künftiger Koalition" stammt von Tagesspiegel.