Angelika Richter widerfuhr an Heiligabend 1970 ein kleines Weihnachtswunder. Bis heute rätselt die 80-Jährige, wer seinerzeit dahintersteckte.
Wolfratshausen – Das kleine Weihnachtswunder, das Angelika Richter widerfuhr und dessen Hintergründe sie bis auf den Tag nicht aufklären konnte, liegt mehr als 50 Jahre zurück. Doch nun war es der 80-jährigen Wolfratshauserin eine Herzensangelegenheit, ihre persönliche Weihnachtsgeschichte zu erzählen. Und sie betont mit Nachdruck, dass es „eine wahre Weihnachtsgeschichte ist“.
Quartett verfügt in der neuen Heimat nur über das Nötigste
Vor 54 Jahren, 1970, kommt es zwischen Angelika Richter und ihrem Ehemann zum Zerwürfnis. Mit ihren drei damals sechseinhalb sowie viereinhalb Jahre und sechs Monate alten Kindern kehrt die 26-Jährige Elsendorf in Niederbayern den Rücken. Verwandte haben ihr eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung in einem alten Bauernhaus in Dorfen in der Gemeinde Icking vermittelt. Das Quartett, die Mutter ist gelernte Frisörin, verfügt in der neuen Heimat zunächst nur über das Allernötigste. Die Dorfener („die haben mich gleich geduzt“) nehmen sie zwar herzlich in ihrer Gemeinschaft auf und Angelika Richter bekommt für Näharbeiten, die sie beherrscht, Naturalien in Form von Eiern, Milch und Schinken. Doch kurz vor dem ersten Weihnachtsfest im neuen Zuhause lautet die bittere Erkenntnis: Für winzige Präsente, selbst für ein paar besondere Plätzchen ist kein Geld übrig. Eines ihrer Kinder ist schwer behindert, die Medikamente sind kostspielig.
Auf keinen Fall will die alleinerziehende Mutter aber auf einen Christbaum verzichten. Not macht erfinderisch: Aus Tannenzweigen, die die Nachbarn nicht gebrauchen können, bastelt Angelika Richter einen Weihnachtsbaum für die Wohnstube. Den Kindern näht sie Umhänge, „die sahen darin wie kleine Wichtelmänner aus“, erinnert sie sich und lacht. Ein üppiges Mahl zum Fest der Feste? Fehlanzeige. Ein Hähnchen für alle vier gibt die karge Haushaltskasse her, dazu Kartoffeln als Sättigungsbeilage und Salat.
Für das Christkind ist Dorfen „zu weit ab vom Schuss“
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Angesichts des bevorstehenden Heiligabends „war mein Herz schwer, denn ich konnte meinen Lieben nichts schenken“. Für ihre Kinder erfindet Angelika Richter eine Ausrede: Im kleinen oberbayerischen Dorfen sei man so weit ab vom Schuss, „dass uns das Christkind hier nicht findet“.
Im menschenleeren Flur steht eine große Holzkiste
Kurz vor acht am Heiligen Abend klingelt es an der Wohnungstür. Die Kinder ermahnt die Mutter, leise zu sein, geht zur Tür, öffnet sie vorsichtig und blickt in den Flur – er ist menschenleer. „Doch auf Boden vor unserer Tür stand eine große Obstkiste, voll gepackt mit Mehl, Zucker, Milch, Butter, Knödelteig, Grieß, Marmelade, Honig, Obst – und drei Schokoladen-Nikoläusen für meine Kinder!“ An der Holzkiste hängt ein Zettel: „Ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest, liebe Familie Richter, wünschen Ihre Nachbarn!“
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Ich vermute, dass jeder der Nachbarn damals sein Scherflein zum Inhalt beigetragen hat.
Trotz aller Bemühungen hat Angelika Richter, die 1974 aus dem Isartal nach Wolfratshausen zog, nie erfahren, wer vor 54 Jahren den Geschenkkorb, über den sie sich wahnsinnig gefreut hat, vor ihrer Wohnungstür platziert hat. „Ich vermute“, so die Seniorin im Gespräch mit unserer Zeitung, „dass jeder der Nachbarn damals sein Scherflein zum Inhalt beigetragen hat“.
Wer weiß? Vielleicht fasst sich ja in diesen Adventstagen jemand von den seinerzeit Beteiligten ein Herz und löst nach einem guten halben Jahrhundert das Rätsel hinter der wahren Weihnachtsgeschichte von Angelika Richter, ihren zwei Söhnen und ihrer Tochter auf. cce