Es ist manchmal nur ein Gefühl. Ein Gefühl dafür, dass in der Wohnung nebenan irgendwas nicht stimmt. Manchmal sind es laute Geräusche wie knallende Türen oder Schreie. Oder nicht zu übersehende blaue Flecken im Gesicht der Nachbarin. All das können Anzeichen für Häusliche Gewalt sein.
Der erste Implus bei einem solchen Verdacht ist Sorge – häufig gefolgt von Hilflosigkeit. Als Nachbar können Sie helfen. Allerdings ist es wichtig, dass Sie sich dabei nicht selbst in Gefahr bringen.
Wachsam sein: Diese Handzeichen und Codewörter sollten Sie kennen
Notieren Sie Zeit und Dauer, wenn Sie diese Signale wahrnehmen. Auch später können diese Aufzeichnungen wichtig sein. Manche Betroffene nutzen Hilfscodes wie das internationale Handzeichen für häusliche Gewalt oder das Codewort "Maske 19", das eingeführt wurde, damit Betroffene in Apotheken, bei Ärzten und Kliniken um Hilfe bitten können. Prävention beginnt beim bewussten Hinschauen.
Wenn Sie sich Sorgen machen, vertrauen Sie ihrer Wahrnehmung. Seien Sie aufmerksam. Bewahren Sie Ruhe und bedenken Sie Ihre verantwortliche Reaktion. Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sondern strafbar und Betroffene haben ein Recht auf Schutz.
Häusliche Gewalt hat viele Facetten. Auch finanzielle Gewalt spielt oft dabei eine Rolle. Das Haushaltsgeld wird dabei verwendet, um den anderen Menschen zu kontrollieren, zu dominieren, abhängig zu halten oder zu entwerten.
Als Nachbar sprechen Sie mit der Betroffenen über ihre Gefühle. Fühlt sich die Betroffene frei oder abhängig? Führen Sie empathische Nachbarschaftsgespräche, um die Situation der Betroffenen zu erkennen. Erkennen Sie Angst, bieten Sie Unterstützung an.
Ein harmloses Klingeln kann eine akute Bedrohung unterbrechen
Nachbarn können Brücken durch direkte Unterstützung bauen. Bei akuten Bedrohungen für Leib und Leben sollten Sie sofort die Notrufe, wie 110 oder Notruf-Apps, aktivieren und als Zeuge zur Verfügung stehen. Wichtig ist es in diesem Fall, die Situation sofort zu unterbrechen: lieber einmal zu viel die Polizei rufen als einmal zu wenig.
Unter einem Vorwand an der Haustür zu klingeln, kann die Situation kreativ unterbrechen. Zum Beispiel mit der harmlosen Frage, ob ein Paket abgegeben wurde. Seien Sie erfinderisch. Aber hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, denn alleine tätig bei Gewalttaten aktiv zu werden, kann gefährlich werden.
Wer sich nicht alleine traut, kann sich mit anderen Nachbarinnen und Nachbarn zusammenschließen. Holen Sie sich dafür Unterstützung bei vertrauenswürdigen Personen. Das Klingeln und ein kurzes Gespräch können der Betroffenen das Gefühl geben, nicht alleine zu sein. Sollten Sie weiterhin Schreie oder Geräusche wahrnehmen, die auf eine akute Gewalttat hinweisen, rufen Sie sofort die Polizei.
Betroffene brauchen Hilfsangebote – aber ohne Druck
Sollte die Betroffene die Haustür öffnen, hören Sie offen und unvoreingenommen zu. Setzen Sie die Betroffene nicht unter Druck, nehmen Sie die Erzählungen ernst und signalisieren Sie Hilfsbereitschaft. Tauschen Sie sich mit den anderen Nachbarn aus und stimmen Sie weitere Maßnahmen ab.
Sprechen Sie die Betroffene später alleine in einer sicheren Umgebung an und fragen Sie behutsam nach, ob alles in Ordnung ist. Auch wenn Betroffene äußern, dass alles in Ordnung sei, sollten Sie anbieten, dass die Betroffene jederzeit bei Ihnen Hilfe holen darf. Bei sichtbaren Verletzungen bieten Sie freundlich an, gemeinsam zu einem Arzt zu gehen, auch wenn die Betroffene betont, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat. Stellen Sie die Aussage der Betroffenen nicht in Frage. Es kann sein, dass die Betroffene keine Anzeige erstatten möchte. Das sollten Sie akzeptieren.
Frauenhäuser und Hilfsorganisationen helfen betroffenen Frauen
Wenn es an ihrer Haustür klingelt und nach Hilfe gefragt wird, bitten Sie die Betroffene in ihre Wohnung oder ihr Haus, verschließen die Tür und überlegen Sie gemeinsam mit der Betroffenen in einer ruhigen und sicheren Atmosphäre, welche Unterstützungsangebote, wie zum Beispiel Frauenhäuser, (Frauenhaus-suche.de), in Frage kommen können. Helfen Sie bei der Kontaktaufnahme.
Flyer und Plakate von Hilfsorganisationen können in Treppenhäusern aufgehängt werden oder an Betroffene ausgehändigt werden. Einige der wichtigsten Hilfetelefone und Anlaufstellen finden Sie im Infokasten.
In jedem Bundesland arbeiten außerdem Frauennotrufe, die sich für das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung einsetzen und das Ziel verfolgen, sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Frauen entgegenzuwirken. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Beratung und Unterstützung betroffener Mädchen und Frauen, ihrer Angehörigen und professioneller Unterstützerinnen und Unterstützer.
Hilfe bei Häuslicher Gewalt und Femizidgefahr
Sollten Sie selbst oder jemand den Sie kennen von Häuslicher Gewalt betroffen sein, finden Sie hier Hilfe und Beratungsangebote:
- Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: anonym und kostenlos rund um die Uhr erreichbar, berät telefonisch unter 116 016 oder online per Mail oder Chat, mehr Infos unter www.hilfetelefon.de
- Hilfetelefon bei sexualisierter Gewalt: anonym und kostenlos, Telefon-Sprechzeiten Montag, Mittwoch, Freitag 9-14 Uhr und Dienstag, Donnerstag 15-20 Uhr unter 0800 22 55 530, Beratung und Information online unter https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/online-beratung
- Frauenhäuser und lokale Beratungsstellen bieten Betroffenen Schutz und Unterstützung, regionale Anlaufstellen finden Sie beim Verein Frauenhauskoordinierung und auf https://www.frauenhaus-suche.de/
- Weißer Ring: Eine Opferschutzorganisation, die Beratung für Betroffene anbietet, berät mit Hilfe von Dolmetscherinnen auch in vielen verschiedenen Sprachen, telefonisch (0116 006, täglich 7 bis 22 Uhr), vor Ort und online erreichbar, siehe https://www.weisser-ring.de/
- Telefonseelsorge: anonym, kostenfrei und 24/7 erreichbar unter 0800/1110111, 0800/1110222 und 116123
- Notruf: In akuten Gefahrenlagen und Notsituationen ist die Polizei unter 110 erreichbar.
Mit Zivilcourage: Handeln Sie bei ersten Anzeichen von Gewalt
Hilfe holen, ist ein Zeichen von Stärke. Jeder Nachbar kann durch seine Haltung und sein Handeln etwas bewirken.
Gewalt passiert oft im direkten Umfeld. Als Mann trage ich hier eine besondere Verantwortung. Nicht selten kennen Männer andere Männer in ihrer Nachbarschaft, wo es Gewalt in Beziehungen gibt. Es spielt dabei keine Rolle, ob körperlich oder psychisch.
Bei dem Wissen von Gewalt in der Nachbarschaft lauten die zentralen Fragen: Was tun Sie mit diesem Wissen? Schweigen? Wegsehen? Oder handeln?
Für mich kann es nur eine Antwort geben: Denn wer nichts tut, macht mit!
-
Bildquelle: Jens Mollenhauer
Buchempfehlung (Anzeige)
"Herzgewalt: Warum wir kriminelle Jugendliche nicht alleinlassen dürfen | Im Einsatz für Jugendschutz und Gewaltprävention" von Jens Mollenhauer.
Jens Mollenhauer ist ein Zivilcouragetrainer mit über 30 Jahren Erfahrung in der Gewaltprävention und Autor des Buches „Herzgewalt“. Der pensionierte Polizist arbeitete fast vier Jahrzehnte im Polizeidienst, zuletzt leitete er die Jugendschutzeinheit der Hamburger Polizei. Als Sprecherrat des Bundesnetzwerks für Zivilcourage engagiert er sich ehrenamtlich. Mollenhauer setzt sich dafür ein, dass Zivilcourage im Alltag gelebt wird, um Gewalt, Ausgrenzung und Fremdenhass zu bekämpfen. Seine Arbeit und sein Buch zeigen die menschlichen Schicksale hinter der Gewalt und betonen die gesellschaftliche Verantwortung.