Putins Zermürbungskrieg: Warum Russland trotz hoher Verluste weitermacht

Die Sommeroffensive Moskaus in der Ostukraine bringt laut "Telegraph" nur wenige Quadratkilometer Fortschritt bei täglichen Verlusten von bis zu tausend Soldaten. Was veranlasst Putin dazu, den Krieg dem Frieden vorzuziehen? Die wahrscheinlichste Antwort ist laut "Telegraph" die Informationsblase, in der Putin und seine engsten Vertrauten leben. Seine Generäle und Sicherheitschefs haben ihm immer wieder versichert, dass er den Krieg gewinnen kann – oder zumindest strategisch wichtige Ziele erreicht werden können.  

Beobachter fürchten verstärkte Sommeroffensive

Ein solches Ziel wäre die Einnahme der Stadt Sumy, die im Nordosten der Ukraine liegt, nur 15 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg sagte Putin letzte Woche: "Wir haben nicht die Absicht, Sumy einzunehmen, aber ich schließe es nicht aus". Im Mai schien ein russischer Vormarsch auf die Stadt Fahrt aufzunehmen, doch aktuell sagen die Ukrainer, dass der Angriff Russlands zum Stillstand gebracht wurde – zumindest vorübergehend

Beobachter befürchten dennoch, dass die Offensive erst richtig beginnt. Im westlichen Oblast Donezk eroberten russische Truppen kürzlich eine wertvolle Lithium-Mine – ein schwerer Schlag für Kiews langfristige Entwicklungspläne, die auf westliche Investitionen in den Wiederaufbau nach dem Krieg setzen. Russlands nächster großer Vorstoß könnte im Donbass erfolgen, was die Ukraine zwingt, ihre ohnehin knappen Ressourcen entlang einer 1200 Kilometer langen Frontlinie neu zu verteilen. 

Putin sprach auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg
Putin auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg. AP

Putins Kriegsmaschinerie läuft weiter

Laut "Telegraph" ist es ein Rätsel, wie Putins Kriegsmaschinerie weiter funktionieren kann, wenn die russischen Streitkräfte so brutal dezimiert und schlecht geführt sind. Russische Militärblogger posten täglich Horrorgeschichten von Kommandanten, die Truppen in blutige "Fleischwolf-Angriffe" schicken und Bestechungsgelder von Untergebenen annehmen, damit sie nicht in den Tod geschickt werden. Soldaten werden laut "Telegraph" schon für kleinere Verstöße öffentlich geschlagen, in Gruben geworfen oder tagelang an Bäume gebunden. Wer sich beschwert, wird entweder ermordet oder auf Selbstmordmissionen geschickt. 

Trotzdem sind die meisten Russen nach wie vor pro Krieg und vermeiden es, Putin zu kritisieren. Während Verzweiflung und Drogenmissbrauch an den Frontlinien weit verbreitet sein mögen, bleibt laut "Telegraph" die Moral der Bevölkerung zu Hause hoch. 

"Spezielle Militäroperation ist wie das Wetter geworden"

"Die spezielle Militäroperation ist wie das Wetter geworden – etwas Entferntes, gegen das man nichts tun kann", sagt Alexandra Kuptsowa, eine Software-Ingenieurin aus St. Petersburg, deren Mann sich letztes Jahr für die russische Armee gemeldet hat. "Ja, die Preise sind hoch. Ein Kaffee in einem schicken Café kostet 800 Rubel. Die Hypothekenzinsen sind verrückt. Aber jeder sagt, das wird bald vorbei sein. Wir müssen nur noch den Ukrainern eine Abreibung verpassen, Trump wird einen Frieden unterschreiben, und wir können diesen dummen Krieg vergessen."