Kempten: Wie geht es weiter mit der Rottachsiedlung?
Die Zukunft der Rottachsiedlung ist ungewiss. Um zuverlässige Informationen zu bekommen, fragte der Kreisbote bei Sozialbau-Geschäftsführer Martin Langenmaier nach.
Kempten – Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte auch in Kempten eine große Wohnungsnot. Um diese zu lindern, wurde Anfang der 1950-er Jahre unkompliziert und schnell die Rottachsiedlung erbaut. Viele Heimatvertriebene fanden dort eine Bleibe. 2023 übernahm die Sozialbau einen Teil des Areals von der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) und schrieb im Februar 2025 die Mieter an, dass Veränderungen bevorstehen. Einige wandten sich an unsere Redaktion. Gleichzeitig macht sich der Heimatverein Gedanken um das historische Erbe, das beim Abreißen der Gebäude verloren gehen könnte. Um zuverlässige Informationen zu bekommen, fragte der Kreisbote beim Sozialbau-Geschäftsführer Martin Langenmaier nach.
Herr Langenmaier, Sie sagten über die Rottach-Siedlung: „Die Gebäude im Areal nähern sich langsam, aber sicher ihrem Lebensende.“ Ist damit eine Sanierung oder ein kompletter Neubau gemeint?
Martin Langenmaier: Die Sozialbau hat 170 der insgesamt 290 Wohnungen erworben, 120 im Süden des Areals bleiben weiterhin im Besitz der BImA. Für das gesamte Gebiet ist eine städtebauliche Entwicklung geplant. Um das Areal bestmöglich zu nutzen, ist eine Neubebauung vorgesehen.
Was bedeutet das für die Mieter? Müssten sie während der Bauphase aus ihren Wohnungen übergangsweise heraus?
Die Wohnungen werden in mehreren Bauabschnitten zurückgebaut, das heißt, die jeweils betroffenen Mieter benötigen neuen Wohnraum. Es ist vorgesehen, dass zunächst das Grundstück der BImA in die bauliche Umsetzung geführt wird. Zug um Zug wird anschließend auch das Sozialbau-Grundstück bebaut, jedoch voraussichtlich nicht vor 2030.
Wie wird das organisiert?
Der Übergang wird seitens der Sozialbau sozialverträglich geschehen. Unser Ziel ist, die Mieter der Rottachsiedlung mit Wohnraum in anderen Wohnquartieren zu versorgen. Hierbei sind wir auf die Mitarbeit der kompletten Mieterschaft angewiesen, damit in den rund fünf Jahren alle eine neue Wohnung finden. Vor Ort gibt es aktuell keine Alternative!
In der Siedlung leben auch ältere Menschen, die den Umzug ohne fremde Hilfe nicht schaffen, die Änderung der sozialen Umgebung schlecht verkraften und eine höhere Miete nicht bezahlen können. Wie gehen Sie mit diesen Menschen um?
Wichtig ist auch hier: Die betroffenen Mieter müssen sich bei uns melden. Wenn dies rechtzeitig geschieht, können unsere Mitarbeitenden zielgerichtet unterstützen. Hier geht es neben der Umzugshilfe, sollte diese nicht über Freunde oder in der Familie abgedeckt werden können, auch um Sozialmanagement, um die Klärung, welche Unterstützungsleistungen möglich sind.
Von einem „städtebaulichen Wettbewerb“ ist die Rede. Hat die Sozialbau hier schon konkrete Überlegungen bzw. Wünsche?
Noch gibt es keine konkreten Überlegungen. Im Rahmen einer städtebaulichen Studie werden bis Ende 2025 die Rahmenbedingungen für einen städtebaulichen Wettbewerb geschaffen. Das Vorgehen erfolgt in enger Abstimmung mit der Stadt Kempten und der BImA.
Es existiert bereits ein Kooperationsvertrag mit der BImA. Gibt es denn schon Absprachen mit der Bundesanstalt, wie eine gemeinsame Entwicklung des Areals aussehen soll?
Der Kooperationsvertrag zwischen Sozialbau und BImA regelt die gemeinsame Entwicklung des Areals. Wir stimmen uns über das Vorgehen regelmäßig ab, so dass alle Interessen gewahrt bleiben. Konkrete Planungsvorgaben werden im Rahmen des Wettbewerbsverfahrens gemeinsam entwickelt.
Haben Sie bereits einen konkreten Fahrplan für die Weiterentwicklung der Rottachsiedlung? Das muss mit Sicherheit ebenfalls in Absprache mit Stadt und BImA erfolgen.
Die städtebaulichen Grundlagen für die Auslobung des Wettbewerbs sollen bis Ende 2025 durch ein Planungsbüro festgelegt werden. In Absprache mit der Stadt und der BImA könnte der städtebauliche Wettbewerb ab 2026 stattfinden. Der Weg bis zur Erteilung des Baurechts ist im Anschluss mit der Stadt Kempten zu erörtern.
Wie gehen Sie mit Meinungen um, nach denen die Gebäude aufgrund ihrer Geschichte erhalten werden sollten?
Die Geschichte hat auch eine Geschichte. Nach dem Weltkrieg wurde Wohnraum benötigt. Da hat man angepackt und ohne lange Genehmigungsverfahren gebaut. Heute benötigen wir auch wieder dringend Wohnraum! Die Gebäude sind „abrissreif“. Die Wohnungen haben zum Teil keine Bäder, keine Heizung. Die Substanz wurde mit einfachen, nach dem zweiten Weltkrieg verfügbaren Baumaterialien erstellt. Die Versorgungsleitungen, die Kanäle, die Stromversorgung, alles ist komplett veraltet. Die Wohnungsgrößen und Grundrisse sind für eine Neuvermietung unbrauchbar. Der CO2-Fussabdruck ist verheerend. Es gibt keine Barrierefreiheit. Nach 75 Jahren ist dieser Gebäudebestand ohne Zukunftsperspektive. Wir brauchen guten bezahlbaren und neuen Wohnraum. Mit einem Neubau könnte die Wohnfläche nahezu verdoppelt werden. Die Sozialbau müsste bei Erhalt abbruchreife Gebäude kostenintensiv für die gleiche Anzahl an Wohnungen sanieren. Dies würden wir nicht tun und könnten wir der Bevölkerung, die dringend neuen Wohnraum benötigt, nicht vermitteln.
Wir haben rund 2.000 wohnungssuchende im System. Hier zeigt sich: Es fehlt bezahlbarer Wohnraum für alle Gesellschafts- und Einkommensschichten. Deshalb kann nur eine Güterabwägung zugunsten des Neubaus erfolgen, wenn wir alle zusammen die Forderung nach benötigtem Wohnraum ernst meinen. Der Platz für Neubau in der Stadt ist begrenzt. Kempten zählt zu den Städten mit angespanntem Mietwohnungsmarkt, was eine gesetzliche Mietpreisbremse nach sich zieht. Somit kann die logische Antwort nur eine Privilegierung von Wohnungsbau sein. Sogar Windräder gelten nach BauGB als privilegierte Vorhaben im Außenbereich und haben bei der Güterabwägung Vorrang. Wir hoffen auf die neue Regierung, dass auch der Wohnungsbau endlich privilegiert wird.
Können Sie sich vorstellen, bestimmte Elemente im Interesse der Erinnerungskultur (Kuschel-Brunnen, Sgraffiti) in das Neubaugebiet zu integrieren?
Selbstverständlich stehen wir hier im Sinne der Erinnerungskultur für Gespräche zur Verfügung. Die Sozialbau hat in der Vergangenheit bei zahlreichen Denkmalprojekten gezeigt, dass wir Erinnerungskultur leben. Hierfür steht plakativ das Großprojekt „Alte Spinnerei und Weberei“ oder die gesamte Bebauung am Calgeerpark, dem ehemaligen Bundeswehrlazarett, bei dem wir die Substanz erhalten haben, obwohl kein Denkmalschutz bestand. Dies gelang dort aber nur, weil die Bausubstanz gut war. Die Bundeswehr, als ehemaliger Eigentümer, hat hier regelmäßig in den Erhalt investiert. In der Rottachsiedlung wäre unser Wunsch, die historische Entwicklung festzuhalten, zu erklären und für die nächsten Generationen sichtbar zu machen, beispielsweise in Form von Stelen. Aber auch den Mut zu haben, die Geschichte bei dringend benötigtem Wohnraum weiterzuschreiben. Was wäre dafür besser geeignet, als dieser Ort, wo die Geschichte genauso begann.
Herr Langenmaier, vielen Dank für das Gespräch!
Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.
Mit dem Kreisbote-Newsletter täglich zum Feierabend oder mit der neuen „Kreisbote“-App immer aktuell über die wichtigsten Geschichten informiert.