Die französische Patisserie nach Freising zu bringen, den Traum hat sich Andreas Muschler vor zehn Jahren erfüllt. Heute blickt er auf große Freuden und Herausforderungen zurück.
Freising - Es ist sein Lebenstraum, den er seit zehn Jahren lebt. Dafür hat er die Heimatstadt Freising verlassen, ging nach Wien, nach Paris, später ins Elsass, um von den Besten zu lernen und später in seine Heimatstadt zurückzukehren. 2014 hat Andreas Muschler an der Oberen Hauptstraße seine Chocolaterie Patisserie eröffnet und seitdem viele Erfolge gefeiert, aber auch große Herausforderungen meistern müssen. Im FT-Interview berichtet er über all das, den Ärger mit der Preiselbeere, die Glückshormone der Schokolade und vieles mehr.
Zuerst aber hat der Meister selbst eine Frage an den Reporter, der gerade den ersten Schluck von seinem Cappuccino getrunken hat. Muschler will nicht derlei Simples wissen wie, ob das Getränk denn schmeckt, das weiß er ja selbst am besten. Den Tüftler und Perfektionisten interessiert: „Sind Sie mit der Temperatur zufrieden?“ Schließlich soll der Inhalt der Tasse weder zu heiß noch zu kalt beim Gast ankommen – eine Kunst für sich. Und was soll der Reporter sagen: Alles ist formvollendet. Zufrieden kümmert sich der Arbeitgeber von inzwischen 28 Mitarbeitern nun um den Wissensdurst des Gesprächspartners.
Herr Muschler, Sie haben vor zehn Jahren die Chocolaterie Patisserie eröffnet. Wie groß war das Wagnis?
Für mich war der Wunsch und der Antrieb so groß, ein kleines Café im französischen Stil zu führen, dass das Wagnis für mich nicht an erster Stelle stand. Es war aber mit Sicherheit auch keine Luftikus-Idee. Ich habe mich über Jahre darauf vorbereitet, habe ein Jahr lang meine Meisterschule in München gemacht und in Top-Betrieben arbeiten dürfen.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und Frankreich.
In Wien habe ich zum ersten Mal diese feinen Törtchen im deutschsprachigen Raum in der Auslage stehen sehen. Das war an der Kärntner Straße beim Gerstner. Dann bin ich vom Gerstner zum Café Demel, eine altehrwürdige, traditionelle Patisserie. Das war mein Türöffner nach Paris. Ich bin schon lange ein großer Fan von Pierre Hermé, der die französische Patisserie in den 90er und 00er Jahren revolutioniert hat. Bei ihm zu arbeiten, war das Nonplusultra.
Sie hätten in Freising auch die elterliche Traditionsbäckerei übernehmen können, anstatt ein neues Geschäft zu gründen.
Den Familienbetrieb nicht weiterzuführen, war eine schwere Entscheidung. Aber beides zu machen, wäre nicht gegangen, da hätte alles darunter gelitten. Ich finde die deutsche Bäckerei/Konditorei superlecker, aber ich habe mich eben in die französische Patisserie verliebt. Und mein Traum war es, die französische Patisserie nach Freising zu bringen. Mein Nachname hat mir dabei sicher geholfen, weil Muschler in Freising eben über Generationen ein Begriff ist.
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Was ist Ihre Zutat, die Sie einbringen in die Französisch-Freisinger Patisserie?
Grundsätzlich ist es mir wichtig, dass wir nicht zu viel Süße drin haben. Bei den Pralinen sind wir sehr klar von der Formgebung und im Geschmack. Bei den Macarons ist das ähnlich. Es geht um einen Hauptgeschmack, um den sich alles aufbaut. Die große Kunst kommt bei den Törtchen zum Vorschein. Wir verwenden ganz wenige Formen, sondern dressieren sehr viel mit der Hand und dem Spritzbeutel. Hier sollen sich viele spannende Geschmackskombinationen entfalten. Für mich muss der Genuss eines Törtchens eine Reise sein, die sich von der ersten zur letzten Gabel verändert.
Sehen Sie sich als Künstler oder als Handwerker?
Beides. Mousse herzustellen, Böden, Füllungen und Glasuren – dafür benötige ich technisches Knowhow und handwerkliches Können. Das Künstlerische besteht dann in der Ästhetik, der Dekoration, auch der Namensgebung. Das ist dann auch Chefsache. Vielen Pralinen habe ich Frauennamen gegeben, weil ich finde, dass sie mit den verschiedenen Geschmäckern sehr schön harmonieren.
Wo entstehen die Ideen?
Manchmal bei der Autofahrt. Social Media inspiriert mich, am meisten passiert aber kurz vorm Einschlafen. Um Ideen umsetzen zu können, brauchst du aber auch ein tolles Team, und das habe ich mit meinen fünf gelernten Konditoren und Konditorinnen. Wir haben ein schönes Zusammenspiel.
Hand aufs Herz – wie oft scheitern Ideen auch?
Es ist immer ein Prozess. Nehmen wir unser Korbininanstörtchen, das wir für das Jubiläumsjahr kreiert haben. Die Idee war, Brandteig mit Bier zu kombinieren. Wir haben das dann mit verschiedenen Zutaten durchprobiert, und es hat einfach nicht gepasst, bis wir herausgefunden haben: Die Preiselbeere passt nicht zu dem Bier, die crasht alles. Wir wollten aber wegen Korbinian die Kardinalsfarbe Purpurrot in dem Törtchen haben, also haben wir es mit Johannisbeere probiert. Zum Glück hat es funktioniert.
Wie oft probiert man, bis das fertige Produkt in die Auslage kommt?
Ganz unterschiedlich. Manche Rezepte probieren wir einmal, und es passt. Manchmal sind Kreationen dabei, die drei, vier Durchgänge benötigen. Manchmal kommt etwas Neues hinzu. Im Übrigen sind es oft auch vermeintliche Fehler, die dazu führen, ein Produkt zu verbessern. Das etwa jemand die Glasur zwei Grad wärmer gießt als gewöhnlich, und dadurch wird sie sogar noch feiner. Das Zulassen von Fehlern birgt sehr viel Potential.
Sie haben in den zehn Jahren das Geschäft durch stürmische Zeiten geführt mit Innenstadtsanierung, Corona, den krassen Preisanstiegen in Folge des Kriegs in der Ukraine. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Menschen, die sich mit dem Produkt identifizieren. Wir bringen Leidenschaft und hohen persönlichen Einsatz. Wir haben auch nie damit angefangen, an Herstellungsmethoden oder an der Qualität der Rohstoffe zu sparen oder das Maximum an Haltbarkeit herauszuholen. Es geht immer darum, seiner Philosophie und der eigenen Qualität treu zu bleiben. Dazu gehören das richtige Knowhow und die richtige Rohstoffqualität. Die ist natürlich teurer als B-Ware.
Es ist schön, durch schwere Zeiten durchzugehen und noch da zu sein.
Was war die größte Herausforderung?
Egal wie groß die Krise ist – es geht immer darum, sich zu fokussieren, zu funktionieren und seine Nischen zu erhalten. Während Corona konnten wir aufgrund der Abstandsregeln nur noch zwei statt sechs Tische im Laden aufstellen. Während der Baustellenphase an der Oberen Hauptstraße, die ebenfalls in diese Zeit gefallen ist und länger gedauert hat als prognostiziert, konnten wir die Außengastro vor unserer Haustür nicht mehr aufrechterhalten. Wir mussten also in beiden Fällen Alternativflächen schaffen. Nach vielen Überlegungen sind wir dann darauf gekommen, dass ja das Nachbargebäude seit Jahren leersteht. Die Hausbesitzer und die Stadt waren uns sehr wohlgesonnen, und so konnten wir ein Pop-up-Café eröffnen, unser Café Nebenan und Café Hinterhof. Es ist schön, durch schwere Zeiten durchzugehen und noch da zu sein.
Auf was sind Sie besonders stolz?
Wir hatten sehr schöne Erfolge. Am offensichtlichsten sind die 45 Auszeichnungen für unsere Pralinen, die wir über die Jahre bekommen haben – angefangen 2016, wo wir unsere Pralinen zum Weltfinale nach London geschickt haben. Da waren Franzosen dabei, Belgier, Skandinavier und die Asiaten, die die Patisserie in Frankreich lernen und dann in ihren Heimatländern alles noch mal mehr in Perfektion machen – da hätte ich nie gedacht, dass wir etwas gewinnen. Und dann bekomme ich den Anruf: Ihr habt zweimal Weltgold bekommen und einmal Broze. Das hat mich unbändig gefreut. Aber wissen Sie, was im Rückblick das Schönste ist? Dass wir unsere Theke in all den Jahren immer weiterentwickelt haben, immer wieder ein Mehr an Qualität und Vielfalt geschaffen haben.
Kürzlich hatten Sie auch Fernsehkameras in Ihrem Laden.
Ja, ein Team des ProSieben-Magazins Galileo war hier, die Episode wird im September gezeigt. Ich darf noch keine Details verraten, nur so viel: Es geht um Mousse au chocolat – einmal industriell hergestellt, einmal handwerklich von uns.
Was ist aktuell Ihre größte Herausforderung?
Wir wollten dieses Jahr eigentlich neue Pralinen entwickeln. Jetzt ist uns aber die Kakao-Krise dazwischengekommen. Im Augenblick bekommen wir nicht mal die Hälfte der Kakaobutter, die wir bräuchten. Aufgrund von Parasitenbefall bei den Monokulturen in Westafrika, aber auch dem Versäumnis, rechtzeitig nachzupflanzen, kommen aktuell nur bis zu 35 Prozent der üblichen Menge an Rohkakao in den Häfen an. Mit der Kosmetikindustrie haben wir eine mächtige Konkurrenz, die Kakaobutter hortet, und jetzt mischen auch noch die Rohstoffspekulanten mit. Die Folge: In den letzten eineinhalb Jahren ist der Rohkakao-Preis um 30 bis 70 Prozent gestiegen. Das ist schon Wahnsinn. Dabei verarbeiten wir von jeher nur fair gehandelten Rohkakao aus Südamerika.
Sie machen dennoch einen entspannten Eindruck. Liegt wohl daran, dass Schokolade glücklich macht. Warum ist das eigentlich so?
(lacht) Es gibt tatsächlich eine wissenschaftliche Antwort: Dem Theobromin in der Schokolade wird eine stimmungsaufhellende Wirkung nachgesagt. Ich habe aber noch einen anderen Ansatz: Ich denke das bewusste Genießen, einen Schritt zurückzutreten aus dem Schnell-Schnell, sich etwas zu gönnen, natürlich in Maßen, und sich Zeit zu nehmen für ein Törtchen – das macht glücklich. Ich liebe es, mit Schokolade zu arbeiten – ein Riesenfeld, ähnlich wie Wein oder Whiskey.
Was würde Sie in Zukunft glücklich machen?
Ich habe das Gefühl, nach langer Reise angekommen zu sein. Diese Patisserie genau hier in Freising zu führen, war und ist mir wichtig. Meine Großeltern waren hier, meine Eltern sind es, meine Freunde. Was sich hier in den letzten Jahren getan hat mit der Innenstadtsanierung, dem neuen Diözesanmuseum, dem Asam, das ist herrlich. So hat man sich Freising doch immer vorgestellt.
Sie sind hier auch Vater geworden.
Auch das genieße ich und will es weiter genießen. Daher bin ich mit der Größe meines Ladens auch zufrieden. Ich bin mir sicher, dass eine Filiale in München funktionieren würde, aber mit welchem Ziel? Ich wollte immer diesen kleinen handwerklichen Betrieb, den Gästen zeigen, wie viele Schritte, wie viele Details dahinter stecken, auch wie viel Leidenschaft, bis so eine kleine Kreation vorne in der Theke steht. Das sehen unsere Gäste, und wir bekommen es zurück.
Was war das schönste Feedback, dass Sie in den vergangenen zehn Jahren bekommen haben?
Andreas, du bringst die Welt nach Freising.
Meister und Goldgewinner
Andreas Muschler stammt aus einer Freisinger Bäckerfamilie. Seine Großeltern haben in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Bäckerei/Konditorei Muschler gegründet. Er selbst blieb dem Handwerk ebenfalls treu. 2008 erhielt der den Meisterpreis der Bayerischen Staatsregierung für die beste Meisterprüfung im Konditorenhandwerk Oberbayerns. Danach arbeitete er erst beim Hofzuckerbäcker Gerstner und dem Café Demel in Wien, ehe er 2009 eine Anstellung beim großen Pierre Hermé erhielt. Für den Reformator der Patisserie war Muschler sowohl in Paris als auch im Elsass tätig. 2013 kehrte er nach Freising zurück, eröffnete 2014 die Chocolaterie Patisserie mit der gläsernen Manufaktur in Freising. Im Lauf der Jahre wurde aus drei Mitarbeitern ein Team aus 28 Arbeitskräften. 2016 erhielt er Weltgold für seiner Pralinen Emelie und Mogador sowie Bronze für Caramal y sel bei den International Chocolate Awards (ICA). Im selben Jahr entstand im BR auch ein Film über die Chocolaterie, der auf seiner Website zu sehen ist. 2021 wiederholte er den Weltgold-Erfolg. Muschler ist auch gesellschaftlich engagiert. Aktuell hängen Bilder des Freisinger Malers Pepito Anumu in seinem Laden – auch ein Statement gegen den Rechtsruck bei den vergangenen Wahlen.