Rentenstreit spitzt sich zu – SPD erhöht den Druck auf Kanzler Merz

Die Politik liebt ihre alte Schlachten. Über die Rente zu debattieren als Generationenproblem, wie jetzt die Jungen in der Union, gibt Sicherheit: Die Jungen zahlen halt die Zeche für den Luxus der Alten, das ist deren Erzählung. Sie hat den Vorteil, dass man sie kennt. Und: Sie stimmt auch, was ein Trost ist.

Über die Rente zu diskutieren als Verteilungsproblem, wie von den Sozialdemokraten praktiziert (oder den Linken und der AfD), gibt ebenfalls Sicherheit. Zuletzt holte sich Lars Klingbeil im Talkshow-Studie Beifall, als er sagte, er verstehe überhaupt nicht, weshalb Bundestagsabgeordnete nicht Mitglied der Gesetzlichen Rentenversicherung wären. Stefan Brandtner von der AfD ist ganz Klingbeils Meinung.

Bei der Rente könnte Künstliche Intelligenz helfen

Vielleicht, weil es nichts bringt, wäre eine mögliche Antwort gewesen. Im Einklang übrigens mit der Wissenschaft, die längst diagnostiziert hat, dass die simple Ausweitung der Zahl der Beitragszahler nicht unbedingt zu einer Sanierung der Rentenkassen führt. Beamte sind eben nicht nur – willkommene – Beitragszahler, sondern: später dann auch – teure - Rentenbezieher. Schlagen Sie es nach bei Veronika Grimm, Jens Haucap, Stefan Kolev oder Volker Wienand, den Experten-Beratern der Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche. Aber: Man kann auf seinen alten Gleisen eben bequem Zug fahren.

Womöglich sieht die Zukunft der Rente aber auch ganz anders aus. Vielleicht wird sie auf eine Weise gerecht, die gerade weder die Generationenpolitiker noch die Gerechtigkeitspolitiker auf der Rechnung haben.

Man könnte doch auch, anstatt darüber zu streiten, ob alle länger arbeiten müssen oder alle weniger Rente kriegen (Friedrich Merz) oder sehr viele mehr Rente (Heidi Reichinnek), über diese Idee hier reden: Jeder bekommt die Rente, die er verdient. Wohlgemerkt: jeder Einzelne. Man müsste nur festlegen, für wie viele Jahre die Rente reichen soll (sagen wir versuchshalber: zehn Jahre) und dann herausfinden, wie alt ein Rentenanwärter wird, und schon hätte man: sein ganz persönliches Renteneintrittsalter.

Wäre das nicht gerecht?

Was, wenn KI die Lebenserwartung ausrechnet?

Markus Brunnermeier wollte Dachdecker werden, ist aber Finanzwissenschaftler geworden und lehrt Volkswirtschaft in Princeton, einer US-Spitzenuni. Der Mann ist ein gefragter Berater – etwa des Internationalen Währungsfonds oder auch der amerikanischen Fed, der US-Zentralbank.

„Ich schätze, kein Ökonom hat so viele Dächer gedeckt wie ich“, sagte Brunnermeier dem Handelsblatt.

Vielleicht guckt man von Amerika aus auch distanzierter auf die deutsche Rentendebatte. Kühler und – technologieaffiner.„Wir müssen einen Weg finden, die Lebenserwartung individuell zu berechnen, von der das Renteneintrittsalter dann abhängt“, sagt der Wissenschaftler. Und wie? Brunnermeier: „Vielleicht müssen die Leute zu einer Art Musterung beim Amtsarzt, der mit Hilfe von KI (Künstlicher Intelligenz) die Lebenserwartung bestimmt.“

Wäre der Rückgriff auf eine immer bessere, immer exakter werdende KI nicht klüger und gerechter, als sich damit zu beschäftigen, ob ein heute junger Mensch bis 67, 70 oder 73 Jahre arbeiten muss, um eine auskömmliche Rente zu bekommen?

Vielleicht sollte die Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas Brunnermeier – oder einen anderen KI-Experten – in ihre Rentenkommission einladen. Wer weiß – womöglich kann die KI-Technologie das Rentenproblem lösen. Besser sogar als die SPD oder die Union. Manchmal muss man auch groß denken.

Aber: Zurück aufs aktuelle politische Spielfeld.

Das neue Problem des Kanzlers erinnert an ein altes

Die Jungen in der Union definieren sich als „pressure group“. Die „Junge Gruppe“ zählt 18 Mitglieder und hat damit – theoretisch – die Macht, die Regierung in ihrem Sinne zu lenken, denn die Regierung hat nur zwölf Stimmen über der Mehrheit im Bundestag. Und darum hat Kanzler Friedrich Merz jetzt ein Problem mehr.

Denn seine Koalition hat sich auf eine Rentenreform geeinigt. Diesen Konsens gießt gerade die Arbeitsministerin in Gesetzesform. Und hat dort, so stellen es Unionsleute dar, hineingemogelt, was nicht im Koalitionsvertrag steht. Und zwar sollen Rentenerhöhungen von 2032 an von einem Rentenniveau von 48 statt 47 Prozent berechnet werden. Was zu einer "118-Milliarden-Euro-Bombe" führen würde, wie es der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, nennt. Zehn bis 15 Milliarden mehr für die Rente in den Jahren von 2023 an, macht bis 2040 eben rund 118 Milliarden.

Darum dreht sich jetzt der Streit.

Die Jungen aus CDU und CSU sagen, das, was Bärbel Bas wolle, stehe nicht im Koalitionsvertrag. So argumentiert inzwischen auch die Führung der Unionsfraktion. Geschäftsführer Steffen Bilger „kann die Kritik nachvollziehen“. Womit das Problem auch beim Kanzler auf dem Tisch liegt: Stoppt Merz die Arbeitsministerin, die auch Parteivorsitzende der SPD ist? Kann er das? Will er das?

Oder müssen die Jungen „bluten“ für den Koalitionsfrieden?

Die SPD legt der Union die Leine um den Hals

Es ist 14.40 Uhr an diesem Dienstag, und die SPD beantwortet diese Frage – klipp und klar. Die Jungen werden „bluten“ müssen. Denn, so SPD-Fraktionschef Mathias Miersch: Es gebe jetzt einen Gesetzentwurf. Der komme noch in dieser Woche in den Bundestag. Und den habe „der Bundeskanzler mitgetragen“ – per Kabinettsbeschluss unter seiner Leitung.

Neben Miersch steht seine Stellvertreterin Dagmar Schmidt, und die zieht die Leine noch einmal ein Stück straffer um den Hals des Koalitionspartners: Die SPD gehe davon aus, dass CDU und CSU dazu stünden, was das Kabinett beschlossen habe. „Wir bestehen darauf, dass dieser Gesetzentwurf so bleibt, wie er ist.“ Denn alles andere, ergo auch, was die Jungen der Union im Sinn hätten, laufe auf eine „schleichende Entwertung der Rente“ hinaus.

Was bedeutet das?

Die SPD schiebt das Problem eine Tür weiter – zur Union. Wenn ein Teil der Unionsfraktion mit dem Gesetzentwurf von Bärbel Bas ein Problem hat, soll das die Union selbst lösen. Das kann man verstehen.

Es ist eine Polit-Aufstellung, die erinnert an den jüngsten Megakrach in der Koalition um die geplante Bestellung von Frauke Brosius Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin. Auch hier hatte die Unionsführung schon deren Installierung zugestimmt, als hinterher Unionsparlamentarier klarmachten, die SPD-Kandidatin nicht wählen zu wollen. Die SPD habe der Union ein faules Ei ins Nest gelegt, hieß es seinerzeit. Die Parallele ist frappierend. Wiederholt sich nun – bei der Rente – das Brosius-Gersdorf-Desaster?

Weshalb gibt es keine Rentenproteste?

Die Wissenschaftlerin Veronika Grimm, eine so kompetente wie streitbare Frau, ermuntert die Jungen zum Widerstand: „Den jungen Leuten wird (durch die Hintertür) immer mehr der Teppich unter den Füßen weggezogen.“ Wenn einige nun nicht mehr dabei mitmachen wollten – „richtig so“.

Es wundere sie ohnehin, „warum die Straßen nicht schon längst voll sind mit jungen Protestierenden“. Das ist in der Tat eine sehr interessante Frage. „Follow the Science“ war der Schlachtruf von Fridays for future, von Greta Thunberg, bevor sie ins antisemitische Fach abglitt. Millionen junger Menschen zogen fürs Klima auf die Straße - weltweit.

Bei der Rente hätten sie ganz klar allen Anlass zum Protest. Und auch noch wesentliche Teile der Wissenschaft auf ihrer Seite. Aber bei dem Thema passiert auf Deutschlands Straßen: Nichts.

Wahrscheinlich ist es cooler, für eine abstrakte Verbesserung der Welt auf die Straße zu ziehen als für das eigene Portmonee – noch dazu in vielleicht 45 Jahren.

Bis dahin hat womöglich ohnehin die Künstliche Intelligenz übernommen.