Die Überraschung war groß am Donnerstag: Israel und Hamas hatten sich auf einen womöglich historischen Friedensplan für Gaza geeinigt und das sogar noch schneller als ursprünglich anvisiert. Doch jetzt scheint klarzuwerden, dass das Abkommen auch deshalb so zügig zustande kam, weil es bewusst lückenhaft ist. Das hat gleich mehrere Gründe.
Der eine ist Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner. Er war zusammen mit dem US-Sondergesandten Steve Witkoff bei den Gesprächen in Ägypten als Vermittler aufgetreten. Die "New York Times" berichtet, dass er unbedingt zu einem Deal kommen wollte. Seine Strategie sei deshalb gewesen, zuerst sowohl von Hamas als auch von Israel ein grundsätzliches Ja zum Abkommen zu erhalten und erst später dann die Details auszuarbeiten.
"Deal-Typ": Trump-Schwiegersohn Kushner wollte ein Ja zum Gaza-Deal
Sein ungewöhnliches Vorgehen begründet Kushner selbst mit seiner Berufserfahrung. "Im New Yorker Immobiliengeschäft verhandelt man ständig hin und her", zitiert die "New York Times" den Trump-Schwiegersohn. "Ich glaube, wir sind einfach an komplexe Geschäfte gewöhnt, die sehr dynamisch sind und bei denen auch komplexe Charaktere eine Rolle spielen."
"Die Erfahrung, die Steve und ich als Geschäftsleute gemacht haben, ist, dass man Menschen verstehen muss", sagte Kushner. "Man muss in der Lage sein, ihnen auf den Grund zu gehen, um dann zu erkennen, wer Spielchen spielt und wie viel Spielraum man hat, um Dinge voranzutreiben." Er selbst bezeichnet sich als "Deal-Typ".
Allzu detaillierte Ausführungen in dem Gaza-Deal hätten diesen platzen lassen können. Deshalb gab Trumps Verhandlungsteam sich damit zufrieden, dass Israel und die Hamas nur die erste Phase des ursprünglich geplanten 20-Punkte-Plans vereinbart haben. So ist das Abkommen derzeit Erfolg und Gefahr zugleich. Es sieht nur die Freilassung von israelischen Geiseln und palästinensischen Gefangenen sowie eine teilweise Umgruppierung der israelischen Streitkräfte in Gaza vor – keinen genauen Weg zu langfristigen Frieden.
Israels rechte Minister wollen Fortsetzung des Kriegs nach Geisel-Freilassung
Genau das kommt auch Israels Premierminister Benjamin Netanjahu recht – und dürfte der zweite Grund für die Lücken im Abkommen sein. Denn der Regierungschef steht unter politischem Druck: Teile seiner Regierung lehnen es ab, das Militär aus dem Gazastreifen abzuziehen, bevor die Hamas gänzlich besiegt ist.
Vor allem die extrem rechten Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich sperren sich dagegen. Sie stimmten am Freitagmorgen im Kabinett erfolglos gegen das Abkommen – zurückgetreten sind sie aber nicht. Wie die "Financial Times" analysiert, könnte ihre Zurückhaltung darauf zurückgehen, dass sie auf eine Fortsetzung des Gaza-Kriegs nach der Freilassung der Geiseln hoffen.

In dem US-Magazin erklärt ein israelischer Oppositioneller, dass der Deal in Wirklichkeit keinen langfristigen Frieden vorsehe. "Solange Netanjahu mit der Aussicht auf eine Rückkehr zum Krieg lockt, macht es für Smotrich und Ben-Gvir keinen Sinn, die Regierung zu stürzen", sagte er.
Wem nutzen Neuwahlen in Israel?
Das dürfte auch dem Premierminister bewusst sein – und ihn dazu veranlassen, bei den Detailverhandlungen über das Abkommen zu bremsen oder zumindest die Fortschritte öffentlich zu verschleiern. Denn sobald seine rechten Minister wittern, dass eine vollständige Eliminierung der Hamas und eine Besiedlung des Gazastreifens in weite Ferne rückt, könnten sie die Koalition mit Netanjahu aufkündigen und ihn damit stürzen.
Allerdings ist auch für Smotrich und Ben-Gvir die Situation kompliziert: Denn in Umfragen ist eine große Mehrheit der Israelis für ein Ende des Kriegs. Bei Neuwahlen bestünde die Wahrscheinlichkeit, für die Hardliner-Position abgestraft zu werden. Zugleich stehen die nächsten regulären Wahlen ohnehin schon spätestens in einem Jahr an.
Für Netanjahu könnten vorgezogene Neuwahlen also verkraftbar sein – zumal er von der Unterstützung Trumps profitieren könnte. Er wird in Israel so sehr gefeiert, dass die „Financial Times“ ihn als beliebtesten Politiker des Landes bezeichnet. "Es gibt keinen besseren Wahlkämpfer für Netanjahu als Trump. Seine Rede vor dem Parlament am Sonntag wird den Startschuss für den Wahlkampf geben", sagte Politikberater Nadav Shtrauchler dem US-Magazin.
"Es gibt keinen besseren Wahlkämpfer für Netanjahu als Trump"
Er empfiehlt Netanjahu daher, auf Trump zu setzen, statt sich von seinen extrem rechten Ministern abhängig zu machen – also das Friedensabkommen in eine zweite Phase zu überführen. "Man muss nutzen, was man hat", erklärt Shtrauchler. "Es gibt keinen besseren Wahlkämpfer für Netanjahu als Trump. Seine Rede vor dem Parlament am Sonntag wird den Startschuss für den Wahlkampf geben."