Trump, der alleinige Friedensbringer? Wer so denkt, übersieht die Inszenierung

Der Waffenstillstand vom 9. Oktober 2025 ist real – und er ist das Ergebnis zäher, vielhändiger Diplomatie. Öffentlich dominiert ein anderes Bild: Donald Trump als alleiniger Friedensbringer. 

Diese Diskrepanz ist kein Zufall. Sie entsteht durch eine konsequent inszenierte Erzählung – religiös aufgeladen, maximalistisch formuliert und politisch nützlich. 

Die Frage ist nicht, ob Trump Anteil hat. Hat er. Die Frage ist: Wessen Arbeit wird sichtbar gemacht? Und wessen unsichtbar gehalten?

Wer leistete harte Arbeit auf dem Weg zum Waffenstillstand?

  • Ägypten: Viel Arbeit in Backchannels, Shuttle-Diplomatie, Logistik des Geiselaustauschs und Sicherheitszusagen an Israel. Ägypten war Gastgeber der finalen Verhandlungen in Sharm el-Sheikh.
  • Katar: Zugriff auf die Hamas-Entscheider, Garantien und Formulierung tragfähiger „Wenn–Dann“-Pakete.
  • Türkei: Politischer Druck, Absicherung einer vollständigen Feuerpause und Koordination mit Doha und Kairo.
  • Israelische Sicherheitsstäbe: Festlegung roter Linien, Kontrollmechanismen und realistische Rückzugspläne. Der Deal sieht einen stufenweisen Rückzug der IDF vor.
  • US-Außenminister Marco Rubio und Trumps Nahost-Beauftragte: Kommunikativ entscheidende Rolle in der finalen Phase. Sie hielten Kontakt zu den Delegationen, sorgten für Abstimmung und öffentliche Wirkung.
  • UNO und humanitäre Organisationen: Organisation der Hilfslieferungen, Listenabgleich und technische Umsetzung. Der Plan betont UN-Hilfe und offene Grenzübergänge.
  • Zusätzlich: Regionale Mächte wie Iran beobachten den Prozess aufmerksam – bislang ohne direkte Beteiligung. Die USA entsandten zudem Beobachter zur Überwachung der Feuerpause.

Wer nutzt das Ergebnis medial für sich?

  1. Donald Trump: Verkündung, Framing („historic“, „blessed peacemakers“), religiöses Pathos und Self-Marketing. Er nannte das Ergebnis: „Ewiger Frieden“.
  2. Benjamin Netanyahu: Heilige Mission, nationale Sicherheit und moralische Überhöhung. Er lobte Trump öffentlich; in seinem Umfeld wurden sogar Nobelpreisforderungen laut.
  3. Konservative Medien: Personalisierung des Friedens und Zuweisung des Ruhms an den US-Präsidenten.

Die Mechanik des Waffenstillstands entstand in Kairo, Doha und Ankara. Das Momentum entstand in Washington und Jerusalem. Dort wurde die Arbeit in ein erzählbares Bild übersetzt.

Wie wurde der Waffenstillstand weltweit erzählt?

Der Gaza-Frieden folgt einer klaren Mechanik:

1. Aufladung: „Warum das größer als Politik ist“

Trumps Sprache wählt religiöse und heroische Bilder: „Selig sind die Friedensstifter“ oder „starker, dauerhafter, ewiger Frieden“. 

Diese Sakralisierung verleiht nüchternen Verhandlungsergebnissen moralische Wucht. Sie signalisiert: Hier wird Geschichte geschrieben, nicht nur ein Vertrag unterzeichnet.

2. Personalisierung: „Wem schreibe ich den Erfolg zu?“

Ein kollektiver Prozess wird auf eine Figur verdichtet. Das Publikum braucht ein Gesicht, kein Gremium. Trump liefert es. 

Aus einem multilateralen Kraftakt wird eine Heldengeschichte. Das Prinzip: Wer verkündet, gewinnt.

3. Ritual & Bild: „Was bleibt auf der Retinaspur?“

Ein Briefing, ein Satz, ein Ort: Außenminister Rubio briefte Trump während einer Veranstaltung über den Deal, was zu einer spontanen Ankündigung auf Truth Social führte. Der Moment wurde symbolisch – und fotografiert. Solche Szenen verdichten komplexe Prozesse in einer Geste.

Der Auftritt in der Knesset, die Handreichung an Netanyahu, die Worte „Blessed are the peacemakers“ – sie schaffen Bilder, die Erinnerung produzieren, bevor der Inhalt verhandelt ist.

Warum das funktioniert: Menschen verstehen Geschichten besser als Abläufe. Die Pathos-Mechanik verwandelt mühsame Diplomatie in eine emotional verständliche Erzählung. Sie ersetzt keine Substanz, sie überblendet sie – bis die Umsetzung zeigt, ob das Versprechen hält.

Michael Ehlers ist Rhetoriktrainer, Bestsellerautor und Geschäftsführer der Institut Michael Ehlers GmbH. Er coacht Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Sport und Medien. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Autorität, Kredit und die Rolle der Anderen

Trumps Team war sichtbar – in Sharm el-Sheikh, in Ankündigungen und Statements. Aber die echte Glaubwürdigkeit ruht auf anderen Schultern: 

  • Ägypten als logistischer Architekt.
  • Katar als Garant.
  • Die Türkei als politischer Verstärker.
  • Israelische Sicherheitsberater als Realisten. 

Ohne sie wäre der „Trump-Plan“ eine PR-Übung geblieben. Die Rhetorik überblendet diese Arbeitsteilung. Wer das Bild bestimmt, bestimmt die Erzählung. Der „Deal-Maker“ wird zur Marke; die stillen Arbeiter bleiben Randnotiz – obwohl sie die Umsetzung tragen, wenn die Kameras weiterziehen.

Die Sollbruchstellen des Plans – und wie darüber gesprochen wird

Die offenen Flanken sind bekannt: Wer regiert Gaza nach der Übergangsphase? Wie wird die Entwaffnung überprüft? Wie sieht der Pfad zur palästinensischen Staatlichkeit aus? 

Kritiker warnen vor einem Frieden ohne Gerechtigkeit – humanitäre Erleichterung ja, politische Lösung unklar. Einige sehen es als temporäre Pause für weitere Konflikte.

Die Rhetorik überdeckt das mit Worten wie „ewig“ und „historisch“. Doch je größer das Versprechen, desto tiefer der Fall, wenn Realität und Erzählung auseinanderlaufen.

Was Führungskräfte aus diesem Moment lernen können

Sechs rhetorische Lektionen aus dem Gaza-Frieden 2025:

  1. Timing ist Macht: Wer in der Schlusskurve sichtbar wird, schreibt die Geschichte – vorausgesetzt, andere haben sie vorbereitet.
  2. Sakrale Metaphern verstärken Zustimmung: Sie schaffen Bedeutung, wo Fakten komplex sind.
  3. Ein Bild ersetzt 20 Seiten Briefing: Symbolik ist das Vehikel der Erinnerung.
  4. Kredit fair verteilen: Wer Partner als Staffage behandelt, verliert Vertrauen, wenn die Kameras aus sind.
  5. Bedingungen klar benennen: Glaubwürdigkeit wächst, wenn man Risiken offenlegt.
  6. Narrativ ist nie Realität: Die Bühne macht Momentum – die Büros machen Frieden.

Fazit zum Waffenstillstand von Gaza und seiner Erzählung

Donald Trump hat entscheidend mitgewirkt – als Katalysator und Kommunikator. Sein Beitrag lag weniger in der Textarbeit des Abkommens als in der Fähigkeit, Momentum und Sichtbarkeit zu erzeugen. 

Aber der Frieden ist ein Werk vieler. Die mediale Gleichung „Frieden ist gleich Person“ ist nur PR, nicht Wirklichkeit.

Wenn dieser Frieden hält, liegt es nicht an der Seligpreisung, sondern an den Mechanismen, Garantien und Kontrollen, die jetzt greifen müssen. Führung zeigt sich erst, wenn die Kameras aus sind.