Großbritannien-Wahl: Was Starmers Pläne auch für Deutschland bedeuten würden
Während Premier Sunak vor der Großbritannien-Wahl noch Hoffnung simuliert, steht Labour-Chef Starmer in den Startlöchern. Was plant er?
London/München – Fußball-Metaphern sind etwas Grässliches, aber diese hier sagt so viel, dass man sie nicht verschweigen darf. Als England am Sonntagabend im EM-Achtelfinale buchstäblich in letzter Minute der Ausgleich gelingt, postet Rishi Sunak ein Jubel-Bild von sich in den Sozialen Netzwerken. Dazu der Satz: „It‘s not over until it‘s over“, was so viel heißt wie: Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.
Was soll man sagen: Parallelen zwischen Politik und Fußball sind ja durchaus sichtbar. Sunaks Regierung agierte zuletzt ähnlich planlos und chaotisch wie das Nationalteam. Dass seine konservativen Tories bei den morgigen Wahlen einen vergleichbaren Dusel haben könnten, wie der Noch-Premier offenbar glaubt – oder zu glauben vorgibt –, ist aber nahezu ausgeschlossen. Die Frage ist nicht mehr, ob sie verlieren, sondern nur: wie dramatisch.
Starmer hat Labour vor Großbritannien-Wahl wieder vorzeigbar gemacht
Die Wahl ist im Grunde gelaufen. Umfragen sehen die Labour-Partei seit Monaten mit Riesenabstand vorne – nach 14 Jahren in der Opposition könnten sie künftig mit absoluter Mehrheit regieren. Parteichef Keir Starmer hat seinen Anteil daran: Er hat Labour, das unter Vorgänger Jeremy Corbyn zu einer Schmuddeltruppe mit Antisemitismus-Problem geworden war, wieder vorzeigbar gemacht. Der ruhige Mitte-Kurs nutzt ihm auch deshalb, weil er sich vom Chaos und den Skandalen der letzten Torie-Jahre abhebt. Alles in allem ist es sicher keine Leidenschaft, die die Wähler zu Labour treibt, sondern der Wille, die Konservativen loszuwerden.
Dass der designierte Premier Starmer selbst als langweilig gilt, von jedem Glanz befreit, ist dieser Tage eine echte Qualität. Mit Ambitionslosigkeit sollte man das aber nicht verwechseln. Innenpolitisch kann er sich die auch gar nicht leisten, das Land steckt in einem quasi depressiven Zustand fest. Die Lebenshaltungskosten steigen, die Wirtschaft lahmt, das Gesundheitswesen ist förmlich im Eimer, die Einwanderungszahlen liegen auf Rekordniveau. Es gibt unzählige Baustellen, aber nur wenig Geld. Wo das herkommen soll, hat Starmer bisher nicht erklärt.
Großbritannien-Wahl 2024: Labour-Chef Keir Starmer ist EU-Freund
Für Europa könnte seine Wahl indes eine gute Nachricht sein, zumindest aber keine schlechte. Anders als in Frankreich, wo erstarkte Nationalisten sich von Brüssel entfernen wollen, tendiert Starmer zur Annäherung. Mit der Wahl biete sich eine „Chance, die Beziehungen zwischen der EU und London zu revitalisieren“, meint der Berliner EU-Experte Nicolai von Ondarza.
Starmer gilt als EU-freundlich, war gegen den Brexit und trat für ein zweites Referendum ein. Eine Rückabwicklung steht im Falle einer Labour-Regierung zwar nicht zur Debatte, auch eine Rückkehr in Binnenmarkt oder Zollunion schließt Starmer aus. Brüssel ist für ihn aber trotzdem eine Chance. Ein Ziel: die Handelsbeziehungen intensivieren. Das noch von Boris Johnson ausgehandelte Abkommen bezeichnet der Labour-Chef als „viel zu dünn“. Bis 2025 wolle er „ein viel besseres“ erreichen.
Großbritannien-Wahl: Sunak-Herausforderer Starmer bekennt sich zur Nato
Außerdem strebt Labour einen europäisch-britischen Sicherheitspakt an. Schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz soll Starmer den Vorschlag gemacht haben. Auch aufseiten der EU sei das Interesse besonders hoch, bei Außen- und Sicherheitspolitik mit London zusammenzuarbeiten, betont von Ondarza. Das Feld werde immer wichtiger. Mit seiner „leistungsfähigen Rüstungsindustrie und seinen militärischen wie diplomatischen Ressourcen“ könne Großbritannien ein wichtiger Partner sein. Alles im Rahmen der Nato natürlich, zu der Starmer sich klar bekennt.
Meine news
Ob es dazu kommt, ist offen. Aus Sicht der westlichen Partner dürfte es aber schon beruhigend sein, dass Starmer in zentralen Bereichen Kontinuität verspricht: etwa in der Ukraine-Politik. Schon im Mai schickte er zwei designierte Minister nach Kiew, um klarzustellen, dass sich an der Unterstützung aus London nichts ändern werde. In der ganzen Labour-Partei gebe es „totale Unterstützung für die Ukraine“, sagte der wahrscheinlich nächste Verteidigungsminister John Healey. Beim D-Day-Gedenken in der Normandie traf sich Starmer dann selbst mit dem ukrainischen Präsidenten zum Gespräch. Kiew, so die Botschaft, muss sich nicht sorgen.
Prognosen sehen Tories bei Parlamentswahl in Großbritannien deutlich verlieren
Wenn es einen Bruch in der Außenpolitik des Landes geben könnte, dann mit Blick auf den Krieg in Gaza. Starmer hat seiner Partei zwar erfolgreich jenen Antisemitismus ausgetrieben, der sich unter seinem Vorgänger Corbyn breitgemacht hatte. Schon im Februar forderte die Partei aber einen „sofortigen Waffenstillstand“, auch aus der Angst heraus, muslimische Wähler zu verprellen. Was genau Starmer als Premier am Israel-Kurs des Landes ändern würde, ist unklar.
Aus Sicht der Tories sind das Luxusprobleme. Manche Prognosen sehen sie auf unter 100 Parlamentssitze fallen, von derzeit 348. Selbst Minister müssen zittern. Läuft es ganz übel für Sunak, wird auch er in seinem Wahlkreis abgewählt – als erster amtierende Premier. Dann ist es, um auf das Fußball-Bild zurückzukommen, wirklich vorbei. (Marcus Mäckler)