Ifo-Institut entwirft große Steuerreform - Ökonomen machen radikale Reformvorschläge – auch Mehrwertsteuer soll steigen

Seit zwei Jahren schrumpft die deutsche Wirtschaft, und auch in diesem Jahr wird es keine glorreiche Trendwende geben. Wie die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs gebracht werden kann, ist daher eines der zentralen Themen im aktuellen Bundestagswahlkampf.

Während jede Partei dabei auch ihr eigenes Klientel bedienen möchte, versucht sich das Münchner Ifo-Institut in einer neuen Studie jetzt an einem umfassenden Ansatz.  Drei Ökonomen inklusive Institutspräsident Clemens Fuest haben dazu Vorschläge entwickelt, die nur schwer verdaulich sind - selbst, wenn sie tatsächlich wirken würden.

Die Grundidee: Direkte Steuern runter, indirekte Steuern rauf

Verglichen mit anderen Ländern auf der Welt hat Deutschlands Steuersystem eine Schieflage. Arbeitseinkommen und Unternehmensgewinne werden bei uns relativ hoch besteuert. Ein Single mit einem Durchschnittsverdienst musste nach einer Auswertung der OECD von 2023 rund 47,9 Prozent seines Einkommens an den Staat abtreten. Darin sind auch die Beiträge zu Sozialversicherungen enthalten. Nur in Belgien liegt diese Quote noch ein bisschen höher. Bei der Unternehmensbesteuerung liegt Deutschland mit 29,9 Prozent laut Bundesfinanzministerium auf dem dritten Platz unter entwickelten Ländern hinter Malta und Japan.

Anders sieht es bei den indirekten Steuern aus. Das sind die, die Sie nicht zwangsläufig zahlen, sondern nur im Rahmen anderer Tätigkeiten. Die wichtigste ist die Umsatzsteuer, trivial auch Mehrwertsteuer genannt. Die Ausnahmen mit verringertem Steuersatz außer Acht gelassen, liegt der Steuersatz hier bei 19 Prozent in Deutschland. Das ist international wenig. 

Indirekte Steuern sind in Deutschland gering

Nur Luxemburg und Malta verlangen noch weniger. Spitzenreiter in der EU sind Ungarn mit 27 Prozent vor Schweden, Kroatien und Dänemark mit 25 Prozent. Auch andere indirekte Steuern sind in Deutschland gering. Das gilt etwa für Vermögensteuern (welche bei uns gar nicht existieren), die Erbschaftssteuer oder etwa die Grundsteuer für Landbesitzer.

Die Grundidee der Ifo-Ökonomen ist also, die direkten Steuern zu senken und im Gegenzug die indirekten Steuern zu erhöhen, damit die Steuereinnahmen am Ende gleich bleiben. Das soll die Wirtschaft fördern, weil geringere Steuern auf Arbeit und Unternehmensgewinne eben zu mehr Arbeit und mehr Unternehmertum motivieren – zumindest in der Theorie. Das hat allerdings mehrere Tücken, die wir genauer erklären müssen.

Einkommensteuer

Hier sehen die Ifo-Ökonomen das Problem, dass es sich gerade für Familien mit niedrigem Einkommen oft nicht lohnt, mehr zu arbeiten oder auf eine Gehaltserhöhung zu warten, weil von dem höheren Nettolohn oft nicht viel übrig bleibt. Das liegt am komplizierten Zusammenspiel von Transferleistungen wie Bürgergeld, Kindergeld und Wohngeld und deren jeweils eigenen Hinzuverdienstgrenzen. 

Zudem gibt es immer noch den „Mittelstandsbauch“ im deutschen Steuersystem. Damit wird der Effekt bezeichnet, dass der Steuersatz relativ schnell mit wachsendem Einkommen von 14 auf 42 Prozent ansteigt und dann stagniert. Jeder Euro, den jemand aus der Mittelschicht hinzuverdient, wird also tendenziell stärker besteuert, während bei Besser- und Spitzenverdienern der Steuersatz weitgehend gleichbleibt. Das setzt wiederum für Durchschnittsverdiener kaum Anreize, sich bei der Arbeit anzustrengen.

Vorschläge der Ifo-Ökonomen

- Anhebung des Grundfreibetrags und der Werbungskosten-Pauschale: Je niedriger das Einkommen ist, desto stärker profitieren die Bürger, da sie nun weniger von ihrem Einkommen versteuern müssen. Je höher das Einkommen, desto geringer ist der Effekt, da die Freibeträge einen geringeren Anteil des Einkommens ausmachen.

- Tarifgrenzen so verschieben, dass der Mittelstandsbauch abflacht: Das würde darauf hinauslaufen, die Grenze für den Spitzensteuersatz deutlich anzuheben. Das würde die Steuerlast aller Arbeitnehmer verringern, aber ebenfalls wieder niedrigen und mittleren Einkommen am stärksten helfen.

- Soli abschaffen und Spitzensteuersatz erhöhen: Den Solidaritätszuschlag zahlen derzeit noch die obersten zehn Prozent der Einkommen. Die Ifo-Ökonomen finden das unnötig kompliziert und schlagen zur Vereinfachung vor, den Soli auch für sie abzuschaffen. Im Gegenzug soll aber den Spitzensteuersatz von 42 auf 44 Prozent angehoben werden, so dass die Belastung gleichbleibt. Das würde auch die geringeren Einnahmen durch den höheren Grundfreibetrag ausgleichen.

- Tarifgrenzen jährlich automatisch anpassen: Durch Inflation passiert es mit der Zeit, dass Menschen trotz Lohnerhöhungen weniger Kaufkraft haben, weil sie in höhere Steuerbereiche rutschen. Diese „kalte Progression“ muss die Bundesregierung bisher immer manuell über ein Steuergesetz ausgleichen. Die Ifo-Ökonomen schlagen vor, dies zu automatisieren, denn dahinter steckt im Prinzip eine rein mathematische Berechnung.

- Abschaffung des Ehegattensplittings: Das Ehegattensplitting gilt in seiner jetzigen Form schon lange als ein Relikt, das mit den Lebensrealitäten wenig zu tun hat. Stattdessen schlagen die Ifo-Ökonomen schlicht höhere Freibeträge für Eheleute und höhere Kinderfreibeträge vor, um Familien besonders zu fördern.

- Niedrigere Steuern für Rentner: Die Ifo-Ökonomen schlagen vor, entweder die Sozialabgaben für Rentner zu senken, die noch arbeiten, oder ihnen einen weiteren Freibetrag zu gönnen. Gleiches sollte auch für Beamte gelten.

- Mehr Steuern auf Immobilienverkäufe: Wenn Sie eine Aktie mit Gewinn verkaufen, zahlen Sie darauf Abgeltungsteuer. Wenn Sie eine mindestens zehn Jahre selbst genutzte Immobilie verkaufen, ist der Gewinn daraus steuerfrei. Das sei unfair, argumentiert die Studie. Die zusätzliche Besteuerung auch lang gehaltener Immobilien solle aber durch niedrigere Steuersätze ausgeglichen werden.

Sozialleistungen

Das Problem mit dem Bürgergeld ist nicht, dass es so hoch ist, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt, sondern dass es bei zusätzlichem Einkommen so schnell gekürzt wird, dass Menschen trotz Arbeit kaum mehr Geld haben als ohne – was eben keine Anreize setzt, überhaupt arbeiten zu gehen. 

Um das zu ändern, schlägt das Ifo-Institut drei Alternativen vor. Die erste wäre, Sozialleistungen zu kürzen. Das kann entweder durch strengere Kriterien geschehen, wer sie überhaupt bekommt oder indem schlicht tatsächlich die Zahlungen gekürzt werden. Beim Bürgergeld ist das durch das Bundesverfassungsgericht verboten, bei Wohn- oder Kindergeld gibt es aber Freiräume. Stattdessen könnten geringe Einkommen einer negativen Einkommensteuer unterworfen werden. Wer also weniger als einen bestimmten Betrag verdient, bekäme Zuschüsse vom Staat. Fraglich ist aber, ob das nicht bei Arbeitgebern falschen Anreize setzen würde, Löhne zu senken. 

Bürgergeld, Wohngeld, Kindergeld vereinheitlichen

Die dritte Möglichkeit wäre daher, die Transferentzugsraten zu senken. Menschen könnten dann mehr Geld durch Arbeit behalten und weiterhin Sozialleistungen kassieren. Dadurch würden allerdings Menschen mit höheren Löhnen als heute noch Zuschüsse vom Staat bekommen. Die Ifo-Ökonomen glauben aber, dass sich dies so gestalten ließe, dass eventuelle Mehrkosten für den Staat durch höhere Steuereinnahmen ausgeglichen werden. Die würden dadurch generiert, dass mehr Menschen als zuvor arbeiten.

Auch hier schlägt das Institut eine Vereinfachung der bisherigen Regeln vor. Statt Bürgergeld, Wohngeld, Kindergeld und einer Reihe anderer Zuschüsse solle es künftig nur noch eine Sozialleistung geben. Die sei dann auch von Bundesregierungen besser regelbar als das Wirrwarr von Leistungen derzeit.

Unternehmenssteuern

Da die wenigsten ein Unternehmen besitzen dürfen, halten wir diesen Punkt knapp. Die Ifo-Ökonomen schlagen vor, die Körperschaftsteuer um fünf Prozentpunkte zu senken, um Investitionen in Deutschland attraktiver zu machen. Zudem plädieren die Forscher dafür, die Gewerbesteuer abzuschaffen und in die Körperschaftsteuer zu integrieren. Da diese von den Kommunen erhoben wird, müsste es aber einen neuen Mechanismus, über den sie Steuern generieren können.

Mehrwertsteuer

Um die Entlastungen bei der Einkommen- und den Unternehmenssteuern zu finanzieren, schlägt das Ifo-Institut eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 19 auf 20 Prozent vor. Gleichzeitig solle geprüft werden, welche Produkte wirklich noch den verringerten Steuersatz von 7 Prozent benötigen. Allerdings gibt es hier einen Haken: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer belastet Menschen mit geringerem Einkommen stärker als Besserverdiener, weil sie einen größeren Anteil ihres Einkommens ausgeben müssen – etwa allein schon für Miete, Heizung und Lebensmittel. Deswegen solle die Mehrwertsteuererhöhung niedrig bleiben und andere Finanzierungswege gesucht werden.

Erbschaftsteuer

Eine Option sehen die Ökonomen in einer Neugestaltung der Erbschaftsteuer. Durch Ausnahmen und Freibeträge ist die aktuell in Schieflage. „Teils entstehen durch die bestehenden Regelungen krasse Ungleichbehandlungen“, schreiben die Forscher. Eine Reform soll die Steuerlast in diesem Bereich gerechter verteilen – und die Steuerberechnung vereinfachen. 

So schlagen die Ökonomen nur noch einen Steuersatz von 5 bis 10 Prozent vor. Ausnahmen für Betriebsvermögen und selbst genutzte Immobilien sollten abgeschafft werden, die Freibeträge aber erhalten bleiben. Dadurch würden große Erbschaften stärker belastet als heute, während kleine Erbschaften steuerfrei bleiben. Die Reform würde auch für die Schenkungsteuer gelten. 

Damit Unternehmer die Steuerlast tragen können, sollen die Zahlungen auf mehrere Jahre gestreckt werden können. Dann könnten sie aus laufenden Gewinnen bezahlt werden. Die Freibeträge sollten künftig ebenfalls automatisch jedes Jahr an die Inflationsrate angepasst werden. Aktuell sind sie seit 2008 unverändert.

Welche Maßnahmen ausbleiben sollten

Zwei häufig diskutierten Ideen erteilt das Ifo-Institut eine Absage. So solle keine neue Vermögensteuer erhoben werden, weil das nachweislich schlecht für die Wirtschaft sei. Auch die steuerfreie Behandlung von Überstunden sei keine gute Idee. Frankreich habe das 2007 bereits ohne positive Effekte umgesetzt. Außerdem „kommen Personen in den Genuss der Steuervergünstigung, die ohnehin schon mehr arbeiten“, schreiben die Forscher. Profitieren würde also, wem es sowieso schon gut geht.

Was davon könnte umgesetzt werden?

Eine Reform der Einkommensteuer haben fast alle Parteien im Programm, allerdings oft ohne konkrete Maßnahmen. Höhere Grundfreibeträge und die Abschaffung des Soli finden Sie etwa bei der FDP, einen höheren Spitzensteuersatz, der erst ab einem höheren Einkommen als heute gilt, bei der SPD. Dass aber eine Partei alle Ifo-Vorschläge als Paket umsetzen würde, ist bisher nicht ersichtlich. Niedrige Unternehmenssteuern fordern zum Beispiel die CDU/CSU und die FDP. Die Idee, Sozialleistungen zusammenzufassen, verfolgen zum Beispiel die Grünen mit der Idee der Kindergrundsicherung.

Bei der Erbschaftsteuer gehen aktuell die Pläne von SPD, Grünen und der Linken in die vom Ifo-Institut vorgeschlagene Richtung. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer hat aktuell keine Partei in ihrem Wahlprogramm. Die SPD, die Grünen und die Linke fordern allerdings die vom Ifo-Institut abgelehnte Vermögensteuer, während CDU/CSU und FDP die Idee steuerfreier Überstunden auf der Agenda haben.