"Strategische Demenz": Experte seziert brisante Folgen nach Trumps Iran-Schlag
Herr Braml, Sie haben die Entwicklungen der letzten Tage intensiv verfolgt. Ab wann war für Sie absehbar, dass die USA in den Israel-Iran-Krieg eingreifen würden?
Josef Braml: Bei Donald Trump ist nie etwas sicher. Ich erinnere mich an den letzten Konflikt mit dem Iran, als US-Kampfjets schon in der Luft waren – und Trump sie in letzter Minute zurückpfiff. Stattdessen ließ er den iranischen General Soleimani gezielt ausschalten. Ein Schritt, der kurzfristig einen größeren Krieg verhinderte, aber strategisch brisant war.
Damals hätte man erwarten können, dass die USA „Nägel mit Köpfen“ machen – haben sie aber nicht. Das war das Mantra seiner Berater: Trump sei kriegsscheu, halte sich raus. Genau das war sein Wahlversprechen. Er habe sich – so die Argumentation – nicht wie sein „dummer Vorgänger“ in Kriege ziehen lassen. Das passte zu „America First“. Und seine MAGA-Basis hat ihm das hoch angerechnet. Die Mehrheit der Republikaner war dagegen – insbesondere bei einem Nahost-Einsatz.
Deshalb war es für mich auch diesmal keineswegs ausgemacht, dass Trump den Kriegseintritt wirklich vollzieht. Ich dachte, er würde die Konsequenzen scheuen. Aber jetzt scheint er sich darauf eingelassen zu haben – mit allen Risiken.
Donald Trump gibt Iran-Go: "Nichts reizt einen Narzissten mehr als ein scheinbar sicherer Sieg"
Was hat Ihrer Einschätzung nach den Ausschlag für den Kriegseintritt der USA gegeben?
Braml: Am Ende war es wahrscheinlich die Aussicht auf schnellen Erfolg. Israel hat militärisch vorgelegt, die iranische Luftabwehr war geschwächt. Es sah nach einer klaren Sache aus – und nichts reizt einen Narzissten mehr als ein scheinbar sicherer Sieg.
Trump glaubt immer noch, er könne „Frieden bringen“. Aber es stellen sich jetzt größere Fragen: Ist das Regime in Teheran überhaupt zu Verhandlungen bereit? Und was bedeutet es, wenn das Atomprogramm zwar beschädigt ist, aber das Wissen über Atomwaffen weiter existiert? Wissen kann man nicht wegbomben.
Wenn es nicht zum Regimewechsel kommt, ist sogar denkbar, dass das Atomprogramm in Reaktion auf den Angriff forciert wird. Wer Regime-Change betreiben will – und genau das hat Netanjahu ja angedeutet – leidet aus meiner Sicht unter strategischer Demenz. Solche Versuche sind in der Vergangenheit regelmäßig gescheitert.
Welche Reaktionen aus Teheran erwarten Sie – in den nächsten Stunden, Tagen und Wochen? Und sind israelische oder sogar US-amerikanische Bodentruppen eine realistische Option?
Braml: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Trump Bodentruppen schickt. Die wären aber nötig, um das Regime wirklich zu stürzen oder das Atomprogramm dauerhaft auszuschalten.
Iran hat jetzt jedes Interesse, massiv zu eskalieren. Der Iran kann sich militärisch nicht mehr gegen Luftangriffe wehren – aber ein Regimewechsel aus der Luft funktioniert nicht. Selbst Israel wird sich genau überlegen, ob es Bodentruppen einsetzt.
Was zu erwarten ist aus Teheran: asymmetrische Reaktionen. Denken Sie an die globale Blutspur, die Teheran über Jahre gelegt hat. Ich rechne mit Geiselnahmen, Terroranschlägen, Sabotageakten.

Und dann wird es kritisch – nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch in den USA. Dann wird sich zeigen: Es gibt keinen „quick and dirty victory“, sondern eine lange Auseinandersetzung. Und dann wird auch der innenpolitische Widerstand gegen Trump zunehmen.
USA-Experte: "Fällt das iranische Regime, wird Trump triumphieren"
Aus Trumps eigener Partei, vor allem aus der MAGA-Bewegung, gibt es heftige Kritik am Eingreifen in den Krieg. Der republikanische Abgeordnete Thomas Massie schrieb sogar, der Angriff verstoße gegen die Verfassung. Droht Trump der Bruch mit seiner Basis?
Braml: Einige Mitglieder der MAGA-Bewegung – Trumps Basis – stellen die Relevanz der Ukraine und des Nahen Ostens für die USA infrage. Ihre Priorität ist „America First“ und sie sind der Meinung, dass die Ressourcen vorrangig dem eigenen Land zugutekommen sollten. Bei internationalem Engagement sollte ihrer Ansicht nach der Fokus auf China liegen, um sich nicht in anderen Konflikten zu verlieren.
Trump hat allerdings eine enorme Strahlkraft. Er kann seine Anhänger auch gegen ihre Instinkte mobilisieren – oft durch religiöse Rhetorik. In seiner jüngsten Rede dankte er Gott, viele seiner Unterstützer sehen ihn ohnehin als gottgesandten Retter. Besonders die evangelikale Wählerschaft – Israelfreunde und eine seiner wichtigsten Gruppen – steht hinter ihm. Wenn Trump sagt, dieser Schlag war notwendig, wird das zunächst akzeptiert.
Fällt das iranische Regime, wird Trump triumphieren. Doch das ist unwahrscheinlich. Ohne Regimewechsel drohen schwere Konsequenzen: Geiselnahmen, Terroranschläge, asymmetrische Vergeltung. Sollte Trump sogar die Tötung Khameneis anordnen, könnte das weltweit Schiiten mobilisieren – mit unkalkulierbaren Folgen. Dann kippt die Stimmung – auch in den USA, selbst unter seinen Anhängern.
"Selbst Israel könnte an Bedeutung verlieren, wenn sich die Konfrontation mit China weiter zuspitzt"
Wie passt dieser Kriegseintritt mit Trumps „America First“-Ideologie zusammen? Ist das der Anfang einer neuen außenpolitischen Linie?
Braml: Nein, ich sehe in diesem Eingreifen keinen Beleg dafür, dass die USA unter Trump wieder die Rolle des Weltpolizisten übernehmen wollen. Wenn es den USA wirklich um Menschenrechte oder humanitäre Prinzipien ginge, hätten sie längst auch in anderen Krisenregionen eingegriffen – etwa im Sudan.
Doch das ist nie Trumps Ansatz gewesen, und es ist auch nicht das zentrale Motiv amerikanischer Außenpolitik. Es geht nicht um Werte, sondern um handfeste Interessen – um strategische Kernfragen.
Wer vor Trumps Angriff auf den Iran behauptete, die USA seien völlig isolationistisch geworden, verkannte die Realität. Die Vereinigten Staaten treffen sorgfältige Entscheidungen darüber, wo und warum sie sich engagieren. Der Iran exportiert sein Öl hauptsächlich nach China. Das Vorgehen gegen den Iran könnte auch China einen Strich durch die Rechnung machen. Aus der Sicht Washingtons stellt China eine bedeutende geopolitische Herausforderung dar. Daher ist es wichtig, diese strategische Perspektive zu berücksichtigen.
Schon bei der Ukraine-Krise haben die USA bewusst darauf gesetzt, dass Europa die Hauptlast trägt. Für viele Amerikaner liegt die Ukraine schlicht zu weit entfernt. Israel hingegen genießt einen besonderen Status, nicht zuletzt wegen der engen politischen, religiösen und sicherheitsstrategischen Verbindungen. Dennoch: Selbst Israel könnte an Bedeutung verlieren, wenn sich die Konfrontation mit China weiter zuspitzt.
Ein denkbares Szenario: China nutzt die Gunst der Stunde – also Amerikas tieferes Engagement im Nahen Osten – und testet die Reaktion Washingtons, etwa durch eine Eskalation rund um Taiwan. Dann wird deutlich, wo die Prioritäten der USA tatsächlich liegen. Und dann geht es nicht mehr um die Rolle des Weltpolizisten, sondern um den Machterhalt auf globaler Ebene. Es geht darum, die Nummer 1 zu bleiben – koste es, was es wolle.
"Rule of Law – Rest in Peace: Für China und Russland ist das ein gefundenes Fressen"
Welches Signal sendet Trump mit diesem Einsatz an die Welt – insbesondere an Wladimir Putin?
Braml: Trump sendet mit seinem militärischen Eingreifen mehrere problematische Signale – vor allem für den Westen. Man erinnere sich: Selbst George W. Bush hat sich vor dem Irakkrieg noch die Mühe gemacht, der Weltgemeinschaft zumindest formale Beweise für die Notwendigkeit eines militärischen Eingreifens zu präsentieren – auch wenn sich diese später als fragwürdig herausstellten. Doch es war der Versuch, das Vorgehen völkerrechtlich zu legitimieren.
Im aktuellen Fall fehlt selbst dieser Anschein. Es gibt bislang keinerlei stichhaltige Belege, dass aufgrund einer unmittelbaren Bedrohung ein präemptiver Schlag gegen den Iran zwingend erforderlich war. Ein Präventivkrieg, der auf der Vermutung basiert, dass der Iran sich nuklear bewaffnen könnte, widerspricht klar dem Völkerrecht.
Das untergräbt die Glaubwürdigkeit des Westens in den Augen vieler Staaten – insbesondere im Globalen Süden. Für Autokratien wie China, Russland oder auch den Iran ist das ein gefundenes Fressen. Sie sagen: Seht her, der Westen bricht seine eigenen Regeln, wenn es ihm opportun erscheint. Von „regelbasierter Ordnung“ kann keine Rede mehr sein. Die Botschaft lautet: Rule of Law – Rest in Peace.
"Trumps Politik bewirkt oft das Gegenteil von "America First""
Ein weiteres heikles Signal ist Trumps religiöse Rhetorik, die bei seinen evangelikalen Anhängern gut ankommt. Er dankte öffentlich Gott für sein Handeln. Doch international kann das völlig anders verstanden werden. Vor allem im muslimischen Teil der Welt könnte diese religiöse Aufladung als eine Art Kreuzzugs-Mentalität wahrgenommen werden – als Ausdruck westlicher Überheblichkeit oder gar eines heiligen Krieges gegen den Islam.
Auch wenn viele Regime im Nahen Osten froh sein mögen, dass Teheran geschwächt wurde, wird es an Akteuren nicht mangeln, die genau diese Lesart propagandistisch ausschlachten.
Unterm Strich spielt Trumps Vorgehen genau jenen Mächten in die Hände, die alternative Weltordnungen fördern wollen – allen voran China. Pekings außenpolitisches Ziel ist es, den Globalen Süden enger an sich zu binden. Und jede Maßnahme Washingtons, die das Bild eines rücksichtslosen, selbstgerechten Westens zeichnet, hilft China dabei.
Ironischerweise bewirkt Trumps Politik damit oft das Gegenteil von „America First“ – ob bei Strafzöllen, beim Rückzug aus internationalen Abkommen oder jetzt im Nahen Osten. Es könnte fast als „Make China Great Again“ interpretiert werden.
Über Josef Braml
Dr. Josef Braml ist einer der weltweit renommiertesten USA-Experten und der European Director der Trilateralen Kommission – einer einflussreichen globalen Plattform für den Dialog eines exklusiven Kreises politischer und wirtschaftlicher Entscheider/innen Amerikas, Europas und Asiens zur kooperativen Lösung geopolitischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme. Dr. Braml verfügt über 20 Jahre Erfahrung in angewandter Forschung und Beratung weltweit führender Think Tanks, unter anderem bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), dem Aspen Institut, der Brookings Institution, der Weltbank und als legislativer Berater im US-Abgeordnetenhaus.