Iran-Implosion? "Man kann kein Land in den Regime-Wechsel bomben"

Nahost-Experte Cornelius Adebahr warnt im Gespräch mit FOCUS online eindringlich vor den Folgen eines militärisch erzwungenen Regimewechsels im Iran. Die Vorstellung, durch äußeren Druck das Mullah-Regime zu stürzen, könne das Land ins Chaos stürzen.

"Jetzt von außen mit Waffengewalt, mit Raketen das Land in den Regime-Change zu bomben – das ist nichts, was bei den Menschen auf fruchtbaren Boden fällt."

Wer glaube, dass Luftschläge einen Volksaufstand auslösen könnten, verkenne die Realität: "Die Menschen erheben sich nicht einfach nur, weil sie plötzlich Raketen auf ihre Städte niedergehen sehen."

Die Sorgen der Bevölkerung seien ganz andere: "Wie geht es meiner Familie? Wie geht es meinen Angehörigen? Wo kann ich die nächste Nacht sicher schlafen?"

Zudem verstärke ein Angriff von außen die Repression im Inneren – das Regime halte die Kontrolle über das Land gerade jetzt besonders aufrecht, sagt Adebahr.

Irak als warnendes Beispiel für einen Regime-Wechsel

Adebahr verweist auf den Irak als mahnendes Beispiel. Der US-geführte Einmarsch 2003 habe zwar zum Sturz Saddam Husseins geführt, aber auch zum Zusammenbruch staatlicher Ordnung.

"Das Land ist auf Jahre in chaotische Verhältnisse abgesunken, der Islamische Staat als Terrororganisation ist überhaupt erst entstanden. Und bis heute leidet Irak und leidet die irakische Bevölkerung an der Art und Weise, wie dieser Umsturz herbeigeführt wurde.“

Auch im Iran gebe es keine demokratisch organisierte Opposition, die nach einem möglichen Machtwechsel übernehmen könnte. 

Die mächtigste Kraft außerhalb des religiösen Zirkels seien die Sicherheitsapparate – allen voran die Revolutionsgarden. Diese könnten zwar ein "iranisches Nationalgefühl als Alternative zur islamischen Republik anbieten". Aber eben keinen Schritt in Richtung Demokratie. 

Mehrheit der iranischen Zivilbevölkerung ist zwar unzufrieden, sieht aber keine Alternative

Die iranische Bevölkerung ist laut Adebahr gespalten: Rund ein Fünftel sei eng mit dem Regime verbunden – etwa durch Anstellung im Staatsdienst oder wirtschaftliche Abhängigkeit. Ein weiteres Fünftel hingegen wünsche sich aktiv eine andere Staatsform. 

"Dies sind die Menschen, die in den vergangenen Jahren – Stichwort 'Frau, Leben, Freiheit' – auf die Straße gegangen sind, protestiert haben und jetzt teilweise noch in Gefängnissen sitzen oder das Land verlassen mussten."

Dazwischen stehe die große Mehrheit: unzufrieden, aber ohne erkennbare Alternative und verunsichert.

"Die Bedingungen sind denkbar ungünstig, um jetzt zu erwarten, dass Menschen sich im Land gegen das Regime auflehnen", so Adebahr weiter. 

Proteste habe es zwar seit Jahrzehnten immer wieder gegeben – etwa 2009 mit der Grünen Bewegung oder durch Studierende und Arbeiter, doch unter dem Druck von Repression, Überwachung und äußerer Bedrohung sei ein interner Wandel aktuell kaum realistisch.

Regime-Change: Was danach kommt, ist nicht unbedingt besser

Ein Regimewechsel ohne die Bevölkerung sei langfristig nicht zu erreichen, betont Adebahr: "Die Menschen im Land braucht es, um überhaupt eine langfristige Veränderung zu erreichen."

Militärische Überlegenheit allein genüge nicht. Selbst wenn Israel gezielt gegen das Führungspersonal, Raketenstellungen oder Nuklearanlagen vorgehe, bleibe die zentrale Frage: 

"Was passiert dann? Kann das Land überhaupt in der Gänze bestehen bleiben? Da sind viele Szenarien denkbar, die alle nicht notwendigerweise besser sind als das, was man jetzt beseitigen möchte."

Die Gefahr sei groß, dass ein gewaltsamer Umsturz keine Lösung bringe – sondern die Implosion eines ganzen Staates.