Reform der Schuldenbremse: Darum sollte Deutschland laut Experten mehr Schulden machen

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Die deutsche Wirtschaft kämpft mit hohen Energiepreisen, einer schwächelnden Industrie und sinkender Nachfrage. Experten sehen mehr Schulden als mögliche Lösung für den Aufschwung.

Berlin – Die deutsche Wirtschaft steht unter Druck: Hohe Energiepreise, gekoppelt mit einem Nachfragerückgang, vor allem in der Autoindustrie, belasten Unternehmen und führen zu Einsparungsmaßnahmen. Zudem sinken die ausländischen Investitionen, da der deutsche Standort als zu teuer gilt. Insgesamt wird Deutschland laut Prognosen im zweiten Jahr in Folge in eine Rezession geraten. Einige Experten fragen sich also, wann Deutschland den Schritt wagen wird, mehr Schulden aufzunehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Denn, die meisten sind sich einig: Deutschland hat dafür ausreichend finanziellen Spielraum.

Viele Experten raten Deutschland dazu, mehr Schulden aufzunehmen – finanzieller Spielraum ist vorhanden.
Viele Experten raten Deutschland dazu, mehr Schulden aufzunehmen – finanzieller Spielraum ist vorhanden. © IMAGO

Deutsche Wirtschaft als „sicherer Hafen“ – so viel Schulden könnte Deutschland zusätzlich verkraften

„Die Staatsfinanzen sind grundsolide“, schreibt das Nachrichtenmagazin Bloomberg zur deutschen Wirtschaft. Die hohe Disziplin und ihre Glaubwürdigkeit habe Deutschland über die Jahre hinweg gezeigt. Jetzt, so argumentiert der Beitrag, wäre es Zeit, diesen „sicheren Hafen“ zu nutzen und Schulden aufzunehmen. Die Idee, die sich in politischen Kreisen breitmacht: Die neue Koalition, die im Februar in den Neuwahlen gewählt wird, soll Hunderte Milliarden Euro an Anleihen öffnen, um die Wirtschaft zu sanieren.

„Wenn diese Ausgaben produktiv eingesetzt werden und tatsächlich eine höhere Wachstumsdynamik in Deutschland ermöglichen, dann denke ich, dass die Anleger bereit sind, das zu unterstützen“, erklärt Guy Miller, Chef-Marktstratege bei Zurich gegenüber Bloomberg. Das Vertrauen, das viele Anleger in Deutschland haben, zeigt sich in den Renditen des Landes. Die Zinserträge von 10-Jahres-Anleihen sind im Vergleich zu Frankreich und dem Vereinigten Königreich weitaus geringer. Mitte November lag der Prozentsatz für deutsche Anleihen bei 2,4 Prozent, in Frankreich waren es 3,1 Prozent, und in Großbritannien 4,5 Prozent. Für die Sicherheit der deutschen Staatsanleihen sind Anleger durchaus bereit, weniger Zinsen zu akzeptieren. Auch die Kredibilität wird von den drei großen Ratingagenturen wie folgt bewertet: AAA.

Miller argumentiert daher, dass die deutsche Wirtschaft mindestens fünf Prozent ihrer Produktion zusätzlich als Schulden aufnehmen könnte, das wären 220 Milliarden Euro. Aktuell ist die Schuldenbremse auf eine maximale Nettokreditaufnahme des Bundes von 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) gestattet. Laut dem Statistischen Bundesamt betrug das BIP im vergangenen Jahr rund 4,18 Billionen Euro, das ermöglicht eine zusätzliche Schuldenaufnahme von etwa 14,6 Milliarden Euro – nur einen Bruchteil von Millers genannten Betrag. Experten des amerikanischen Finanzdienstleister Vanguard sprechen sogar davon, dass Deutschland im nächsten Jahrzehnt weitere 400 Milliarden Euro aufnehmen kann.

Weitere Schuldenaufnahme dringend notwendig, um global mitzuhalten

Fondsmanager Gareth Hill bei Royal London Asset Management rät dringend dazu, mehr Schulden aufzunehmen. „Tut man das nicht und verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage, könnte das zu einem breiteren, womöglich europaweiten Abschwung führen, der letztlich noch kostspieliger werden könnte“, erklärt er bei Bloomberg. Wenn die EU und ihre größte Wirtschaft, Deutschland, im Wettbewerb mit China und den USA weiter mithalten möchten, spricht der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, davon, dass weitere Investitionen in Höhe von 800 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich sein werden.

Auch die Verteidigungsausgaben in Deutschland müssen dringend erhöht werden, um das NATO-Ziel von zwei Prozent des BIP zu halten. Erst in diesem Jahr gelang es Deutschland, die Ausgaben auf zwei Prozent zu steigern. Donald Trump hat während des US-Wahlkampfes mehrfach angekündigt, die Unterstützung der USA zu reduzieren, sollten die geforderten Investitionsziele nicht erreicht werden.

Reform der Schuldenbremse? Nur mit Zweidrittelmehrheit

Allgemein herrscht unter vielen Ökonomen der Konsens, dass die Schuldenbremse auch eine Wachstumsbremse sei und daher reformiert werden müsse. Der aktuelle Kanzlerfavorit für die Neuwahlen im Februar, Friedrich Merz von der CDU, zeigt sich offen, unter strikten Bedingungen über eine Reform zu verhandeln. Eine Abschaffung schließt er jedoch aus. Werden die Gelder an Wachstumsförderung gekoppelt und die Sozialausgaben unter Kontrolle gehalten, könnte er sich eine Reform vorstellen. Für die Umsetzung wäre jedoch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlich.

Eine Möglichkeit, mehr Schulden trotz der Schuldenbremse aufzunehmen, könnten außerbudgetäre Fonds bieten. Laut Bundesrechnungshof beläuft sich das Volumen der insgesamt 29 Fonds aktuell auf 869 Milliarden Euro. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Denn, die Einrichtung eines neuen Fonds erfordert ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit.

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