Konflikt mit China: Darum geht es bei Taiwans Schicksalswahl
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China spricht von einer Abstimmung über „Frieden oder Krieg“: Warum die Präsidentschaftswahl in Taiwan so brisant ist und wie Peking reagieren wird.
Am Samstag (13. Januar) wählt Taiwan einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu einer der brisantesten Abstimmungen des Jahres:
Warum ist Taiwans Präsidentschaftswahl so wichtig?
Taiwan ist ein eigenständiger Staat ohne formelle Unabhängigkeit, der nur von 13 anderen Ländern weltweit anerkannt wird. Es ist eine blühende Demokratie, das freiheitlichste Land Asiens und eine wohlhabende Volkswirtschaft. Die kommunistische Volksrepublik China betrachtet Taiwan allerdings als abtrünnige Provinz – und will den Inselstaat nach Möglichkeit friedlich, notfalls aber auch mit Gewalt mit dem Festland „wiedervereinigen“. Peking bezeichnet die Wahl vom kommenden Samstag als Abstimmung „Frieden oder Krieg“ und droht mit Konsequenzen, sollte der Kandidat der China-kritischen Regierungspartei gewinnen.

Welche Kandidaten treten an – und wie stehen sie zu China?
Seit 2016 wird Taiwan von einer Frau regiert – Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei. Als Nachfolger bewerben sich nun drei Männer. Bei der Präsidentschaftswahl gewinnt, wer in der ersten Runde die meisten Stimmen auf sich vereint; eine Stichwahl gibt es nicht.
In den Umfragen führt Lai Ching-te, Taiwans derzeitiger Vizepräsident, mit rund 36 Prozent. Da in Taiwan der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt, könnte er also auch mit deutlich weniger als 50 Prozent der Stimmen Präsident werden. Der 64-Jährige hat sich in der Vergangenheit als „pragmatischer Arbeiter für die Unabhängigkeit Taiwans“ positioniert – für China aber wäre eine formelle Unabhängigkeitserklärung ein Vorwand für eine Invasion. Zuletzt allerdings hat Lai mehrfach beteuert, Taiwan müsse sich gar nicht für unabhängig von China erklären, weil es das ohnehin schon sei. Er plädiert jedenfalls für eine stärkere Eigenständigkeit Taiwans und mehr Nähe zum Westen, vor allem zu den USA.
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Mit etwa 31 Prozent folgt in den Umfragen Hou Yu-ih von der oppositionellen Kuomintang (KMT). Die KMT hat das Land seit der Flucht der nationalchinesischen Regierung vom Festland auf die Insel Taiwan 1949 über Jahrzehnte regiert, die meiste Zeit davon diktatorisch. Erst 1996 hielt Taiwan erstmals demokratische Wahlen ab. Die KMT ist traditionell eher China-freundlich, ihr Kandidat Hou Yu-ih (66) tritt für engere Kontakte zum Festland ein und eine größere Distanz zu den USA. Das soll die Spannungen zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße reduzieren und zudem der taiwanischen Wirtschaft einen Aufschwung bringen. Kritiker Hous warnen aber vor einer zu starken Abhängigkeit von Peking. Eine Vereinigung mit China ist jedoch auch für Hou keine Option.
Nur geringe Chancen räumen die Umfragen Ko Wen-je von der erst 2019 gegründeten Taiwanischen Volkspartei ein. Ko liegt bei rund 24 Prozent; einige Wähler könnten im letzten Moment zudem für KMT-Kandidat Hou Yu-ih statt für Ko stimmen, um einen Präsidenten Lai Ching-te zu verhindern. Denn Ko und Hou vertreten in vielen Punkten ähnliche Positionen, auch wenn Ko vor allem jüngere und urbane Wähler anspricht – und Hou eher von älteren Menschen und Landbewohnern unterstützt wird. Auch Ko Wen-je, 64, will engere Beziehungen zu China, eine Vereinigung lehnt er aber ebenfalls ab.
Wie denken die Taiwaner über China?
Die meisten Taiwaner wollen den Status quo beibehalten – sie wünschen sich also weder die formelle Unabhängigkeit von China noch eine Vereinigung mit der Volksrepublik. Einer Umfrage der Chengchi-Universität in Taipeh zufolge wollen nur 7,4 Prozent der Befragten einen Anschluss ihres Landes an China. Eine sofortige Unabhängigkeit wünschen sich 4,5 Prozent. Die überwiegende Mehrheit hält also den Status quo für die beste Option. Auf die Frage nach ihrer eigenen Identität antworten in einer anderen Umfrage der Chengchi-Universität nur 2,5 Prozent, dass sie sich als Chinesen sehen. 62,8 Prozent hingegen bezeichnen sich als Taiwaner, der Rest als beides.
Wie könnte China auf einen Wahlsieg des Regierungskandidaten Lai reagieren?
Sollte Lai Ching-te, der China-kritische Kandidat der regierenden DPP, die Präsidentschaftswahl am Samstag gewinnen, dürfte China seine Drohgebärden gegenüber Taiwan noch einmal erhöhen – und beispielsweise in der Nähe von Taiwan Militärmanöver abhalten. Die Gefahr eines Krieges würde wachsen. Peking hofft auf einen Sieg des Oppositionskandidaten Hou Yu-ih von der eher China-freundlichen KMT. Sollte Hou die Wahl tatsächlich gewinnen, würden „die Spannungen zwischen China und Taiwan abnehmen, allerdings nur kurzfristig“, wie der taiwanische Politikwissenschaftler Chen Yu-fang glaubt. „Auf lange Sicht wird Peking die KMT zu Verhandlungen über eine Vereinigung mit China drängen.“
Welche Folgen hätte ein Konflikt zwischen China und Taiwan?
Zunächst natürlich immenses menschliches Leid. Sollten sich die USA in den Konflikt einmischen, droht sogar ein neuer Weltkrieg. Bei einem Angriff Chinas auf Taiwan würde zudem die Weltwirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogen, und das würde auch Deutschland zu spüren bekommen. Einer Berechnung des Wirtschaftsdienstes Bloomberg zufolge könnte ein Taiwan-Krieg volkswirtschaftliche Kosten in Höhe von 10 Billionen US-Dollar nach sich ziehen – das entspräche rund zehn Prozent der weltweiten jährlichen Wirtschaftsleistung.
Das liegt vor allem daran, dass Taiwan rund 90 Prozent des Weltbedarfs an hoch entwickelten Halbleitern deckt. Und wenn die Chips, die in Handys, Autos und unzähligen anderen Produkten stecken, nicht mehr exportiert werden können, müssten unzählige Unternehmen ihre Produktion drosseln oder ganz einstellen. Außerdem, so die Asien-Expertin May-Britt Stumbaum: „Durch die Taiwanstraße gehen über 50 Prozent des weltweiten Seehandels und 90 Prozent der großen Containerschiffe. Bei einem Konflikt würde dieser Handel zum Erliegen kommen.“
Wie wahrscheinlich ist ein Krieg zwischen China und Taiwan?
Schwer zu sagen. Im Jahr 2027 will Chinas Volksbefreiungsarmee jedenfalls „Weltklasse-Niveau“ erreicht haben. Einige Analysten, vor allem aus den USA, glauben, dass dann ein chinesischer Angriff auf Taiwan bevorstehen könnte. Auch das Jahr 2049 wird immer wieder genannt – dann feiert China den 100. Jahrestag seiner Gründung. Für Staats- und Parteichef Xi Jinping ist eine „Wiedervereinigung“ von China und Taiwan auf jeden Fall eine „historische Mission“ und „unvermeidlich“.
Mischt sich China in die Wahl ein?
Nach der Wahl will Taiwans Regierung einen ausführlichen Bericht vorlegen, der aufzeigt, wie stark sich China in den Wahlkampf eingemischt hat. Aber schon jetzt ist klar: Peking versucht, die Wähler weg vom China-kritischen Lai Ching-te und hin zu KMT-Kandidat Hou Yu-ih zu treiben. Um die Taiwaner einzuschüchtern, schickt Peking täglich Kampfjets und Kriegsschiffe in die Nähe der Insel, zuletzt flogen zudem vermehrt chinesische Beobachtungsballons über Taiwan. Außerdem verbreitet China gezielt Desinformationen und Falschmeldungen, die Lai in ein schlechtes Licht rücken und Zweifel am Bündnis zwischen Taiwan und den USA säen sollen.
Welche Themen spielen bei der Präsidentschaftswahl sonst noch eine Rolle?
Wie Taiwan mit der Bedrohung durch China umgehen soll, ist natürlich eines der großen Themen im aktuellen Wahlkampf. Im Alltag der meisten Taiwaner aber spielt diese Frage einer eher untergeordnete Rolle – sie leben schon seit Jahrzehnten mit der Gefahr einer möglichen Invasion. Ganz konkrete Sorgen, die die Menschen zwischen Taipeh im Norden und Kaohsiung im Süden der Insel umtreiben, sind etwa die hohen Mieten, die stagnierenden Löhne, der geringe Mindestlohn, aber auch die niedrige Geburtenrate und die künftige Ausgestaltung des Sozialsystems.
Welche Bedeutung hat die zeitgleich stattfindende Parlamentswahl?
Am Samstag wählen die rund 19,5 Millionen Wahlberechtigen in Taiwan nicht nur einen neuen Präsidenten, sondern auch ein neues Parlament. Während DPP-Kandidat Lai Ching-te zwar gute Chancen hat, in Taiwans Präsidentschaftspalast einzuziehen, dürfte seine Partei im Parlament, dem Legislativ-Yuan, ihre derzeitige Mehrheit verlieren. Für einen Präsidenten Lai würde das bedeuten, dass viele seiner Vorhaben von der Opposition blockiert werden könnten. Chen Shui-bian, der erste Präsident, den die DPP stellte, hatte Anfang der Nullerjahre bereits mit ähnlichen Problemen zu kämpfen.