Vor Präsidentschaftswahl in Taiwan: China erklärt Wiedervereinigung zur „Untervermeidlichkeit“

  • Sven Hauberg
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Vor den Präsidentschaftswahlen in Taiwan verschärft China seine Rhetorik. Peking sieht die „Wiedervereinigung“ als unausweichlich an.

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Taiwan erhöht Peking den Druck auf den demokratisch regierten Inselstaat, den China als abtrünnige Provinz betrachtet. „Die Wiedervereinigung des Mutterlandes ist eine historische Unvermeidlichkeit“, erklärte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in seiner Neujahrsansprache. „Die Landsleute auf beiden Seiten der Taiwanstraße sollten sich die Hände reichen und den großen Ruhm der nationalen Wiedergeburt teilen“, so Xi weiter. Unter „nationaler Wiedergeburt“ versteht Xi Jinping den Wiederaufstieg Chinas zur Weltmacht.

Taiwans scheidende Präsidentin Tsai Ing-wen wies Xis Forderungen nach einer „Wiedervereinigung“ zurück. Entscheidungen über die Zukunft der Beziehungen zu China müssten mit dem „gemeinsamen Willen des taiwanischen Volks“ getroffen werden, sagte Tsai am Montag. „Wir sind schließlich ein demokratisches Land.“ Umfragen zufolge unterstützt nur eine kleine Minderheit der Taiwaner einen Anschluss an China – die überwältigende Mehrheit hingegen plädiert dafür, den Status quo beizubehalten.

China betrachtet Taiwans Präsidentschaftskandidaten als „Separatisten“

Tsai, die erstmals 2016 ins Amt gewählt worden war, darf nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten. Über einen Nachfolger stimmen die rund 19,5 Millionen Wahlberechtigten am 13. Januar ab. Aktuelle Umfragen sehen den Kandidaten der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei, Taiwans Vizepräsidenten Lai Ching-te, vorne. Auf Platz zwei liegt demnach der Kandidat der oppositionellen Kuomintang (KMT), Hou Yu-ih. Abgeschlagener dritter ist Ko Wen-je von der erst 2019 gegründeten Taiwanischen Volkspartei. Präsident wird, wer die meisten Stimmen erhält; eine Stichwahl gibt es nicht.

Peking betrachtet Lai als „Separatisten“, der Taiwan formell für unabhängig von China erklären wolle; Lai hingegen sagt, er wolle den aktuellen Status quo beibehalten, nach dem Taiwan zwar eigenständig ist, die formelle Unabhängigkeit von China aber nicht offiziell ausruft. „Ich werde mich mit Würde und Bescheidenheit für die Aufrechterhaltung des Status quo und den Schutz Taiwans einsetzen“, sagte Lai am vergangenen Samstag bei einer live im Fernsehen übertragenen Debatte der drei Präsidentschaftskandidaten. Er wolle einerseits „die Landesverteidigung stärken“, sei aber auch offen für Dialog und Zusammenarbeit mit China.

Xi Jinping: „Wiedervereinigung“ von China und Taiwan notfalls mit Gewalt

Sollte Lai tatsächlich zum Präsidenten gewählt werden, dürfte China „zunächst mit neuen Handelssanktionen gegen Taiwan und mit vermehrten sogenannten ‚Grauzonen-Aktivitäten‘“ reagieren, vermutet der taiwanische Politikwissenschaftler Chen Yu-fang. „China würde also noch mehr Kampfjets und Kriegsschiffe in die Nähe von Taiwan schicken als bisher. Möglicherweise lässt Xi Jinping auch einige Militärmanöver durchführen, um die Muskeln spielen zu lassen“, sagte Chen unlängst im Interview mit IPPEN.MEDIA. Langfristig aber würden die Beziehungen zwischen China und Taiwan nicht schlechter werden, als sie es ohnehin schon seien.

China will Taiwan möglichst friedlich mit dem Festland „wiedervereinigen“, notfalls aber auch Gewalt anwenden, wie Xi Jinping etwa auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei im Oktober 2022 erklärte. Ob Chinas Volksbefreiungsarmee derzeit zu einem erfolgreichen Angriff auf Taiwan in der Lage wäre, ist unter Experten umstritten. Entscheidend für Erfolg oder Scheitern wäre wohl die Reaktion der USA auf eine mögliche Invasion: Washington unterhält zwar keine diplomatischen Beziehungen mit der Regierung in Taipeh, hat sich aber dazu verpflichtet, das Land mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Zudem hatte US-Präsident Joe Biden mehrfach erklärt, sein Land werde den Taiwaner im Falle eines chinesischen Angriffs beistehen.

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