Moderator Böhmermann als Treiber - Schönbohm verklagt Faeser: Wie aus ZDF-Gagasendung der Gau für SPD-Ministerin wurde

Im September 2023 hatte der einstige Cyberabwehrchef seine Dienstherrin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), wegen der Verletzung der Fürsorgepflicht auf Schadenersatz verklagt. Zunächst geht es um 5000 Euro. Nun wird darüber vor dem Verwaltungsgericht Köln verhandelt.

„Die Summe kann sich aber noch erhöhen“, erklärte sein Anwalt Christian Winterhoff gegenüber FOCUS online. Trotz unsinniger Vorwürfe habe die Dienstherrin alles darangesetzt, „um meinen Mandanten aus dem Amt zu entfernen“.

Im Oktober 2022 hatte Faeser dem BSI-Chef zunächst die Führung der Amtsgeschäfte untersagt und schließlich zum Chefposten der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung strafversetzt.

Schönbohm-Affäre: Böhmermann-Sendung diente als Hauptgrund für Entlassung

FOCUS-online-Recherchen in der „Mobbing-Affäre“ gegen Schönbohm legen den Verdacht nahe, dass die Verfassungsministerin nebst ihrer Hausspitze mit konstruierten Vorwürfen Schönbohm kaltstellte.

Offiziell hieß es, das Vertrauen zu Schönbohm sei zerstört. Tatsächlich aber diente die Sendung „ZDF Magazin Royale“ des TV-Moderators Jan Böhmermann als Hauptgrund für die Ablösung.

Am 7. Oktober hatte der ZDF-„Spaßvogel“ Böhmermann den BSI-Präsidenten einen „Cyberclown“ genannt. Zudem wurde Schönbohm als Sicherheitsrisiko dargestellt, der angeblich mittelbare Kontakte zum russischen Geheimdienst unterhalten sollte. 

In Anfragen vor der Sendung an das BSI offenbarte die Böhmermann-Redaktion über Links ihre dubiosen Quellen.

Laut den Mails, die FOCUS online vorliegen, handelte es sich um längst widerlegte Verschwörungsgeschichten. So soll die US-Behörde FBI wegen einer Spionagesoftware einer russischen Firma ermittelt haben, die auch hierzulande zum Einsatz komme. Eine erfundene Story.

„Die Vorwürfe hätten sich bereits vor der Sendung als unbegründet herausstellen müssen“

Das Bundesinnenministerium (BMI) koordinierte laut E-Mails in den Septembertagen vor der Sendung die Antworten auf die Fragenkataloge.

„Durch die Links, die von der TV-Produktion mitübersandt wurden, waren die Vorwürfe überprüfbar und hätten sich bereits vor der Sendung als unbegründet herausstellen müssen“, erläutert Schönbohms Medienanwalt Markus Hennig. „Dass sich niemand im BMI die Sachlage tiefer angesehen hat, ist schwer vorstellbar“.

Nach der Sendung aber musste Schönbohm gehen. Auch untersagten ihm die Vorgesetzten, sich öffentlich gegen die haltlosen Vorwürfe zu wehren.

ZDF hat "Fake news" verbreitet

Schönbohm verklagte nicht nur seine Dienstherrin, sondern auch das ZDF wegen falscher Berichterstattung, die ihm den Job gekostet hatte.

Kurz vor Weihnachten hatte die Pressekammer des Münchner Landgerichts vier unwahre Behauptungen aus der Böhmermann-Sendung festgestellt. Folgt man dem Tenor des Urteilsspruchs, so hat das ZDF in wichtigen Punkten "Fake news" verbreitet

Demnach befand das Gericht, dass die kolportierte Nähe des Ex-BSI-Chefs zu Geheimdienstlern des Kreml über einen Cybersicherheitsverein nicht der Wahrheit entsprach. Einzig die 100.000 Euro Forderung auf Schadenersatz hatte man abgelehnt.

ZDF will keine bewussten Geheimdienstkontakte behauptet haben

Das ZDF hat nach eigenen Angaben Berufung gegen das Urteil eingelegt. Demnach will der Sender „weder direkt noch indirekt bewusste Kontakte“ zu russischen Geheimdiensten behauptet haben.

Zugleich hat auch Ex-BSI-Chef Schönbohm das Oberlandesgericht München als nächst höhere Instanz angerufen, um im Zusammenhang mit der Schadenersatzforderung Recht zu bekommen.

Der nächste Justiz-Showdown beginnt am Donnerstag vor dem Kölner Verwaltungsgericht . Ein Prozess, der Ministerin Faeser zur Unzeit belastet.

Sollte das Gericht ihrem Gegner Schönbohm recht geben, wäre der Skandal perfekt. Und das so kurz vor der Bundestagswahl.

Chronologie der Schönbohm-Affäre 

FOCUS online hat die entscheidenden Punkte in der Mobbing-Affäre chronologisch aufgelistet:

Juni 2022: Laut den Klägern soll das BMI in jener Zeit „eine Liste mit angeblichen Fehlverhaltensweisen gegen meinen Mandanten auf Vorrat zusammengestellt“ haben. Das Ministerium widerspricht, eine solche Liste sei nie angefertigt worden. Doch eine Mail des damaligen Vorgesetzten Schönbohms im BMI belegt das Gegenteil.

7. Oktober 2022: TV-„Satiriker“ Böhmermann diffamiert in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ den BSI-Chef als „Cyber-Clown“. Ferner unterstellt er Schönbohm mittelbar Kontakte zu russischen Geheimdiensten über den von ihm mitgegründeten Verein „Cybersicherheitsrat Deutschland“. Das Ministerium schweigt zu den Vorwürfen.

Freitag, 14. Oktober 2022: BMI-Staatssekretär Markus Richter meldet sich bei Schönbohm. Laut einer Telefonnotiz Schönbohms, die dieser Zeitung vorliegt, bietet der Anrufer dem Behördenleiter zwei Möglichkeiten an, „um die Situation zu beruhigen“. Entweder der Wechsel auf den Chefposten der unbedeutenden Bundesakademie für öffentliche Verwaltung in Brühl an. Auch sollte das Gehalt des Akademie-Chefs von B6 (10.600 Euro) auf B8 (11.700 Euro) erhöht werden, damit der Beamte Schönbohm sein bisheriges Einkommensniveau hält. Andernfalls starten Voruntersuchungen, die in ein Disziplinarverfahren münden könnten. 

14. Oktober 2022: Schönbohm bittet nach Rücksprache mit seinem Anwalt um die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens.

Dokument bestätigt: Böhmermanns Vorwürfe als Grund für Schönbohms Dienstverbot

18. Oktober 2022: Ohne die ZDF-Russen-Story überprüft zu haben, untersagt der Chef der Zentralabteilung Z im Ministerium Schönbohm das weitere Ausüben der Dienstgeschäfte. Zugleich beginnt eine Voruntersuchung in der Angelegenheit. Bereits nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass an der Russen-Story Böhmermanns nichts dran ist. Knapp ein Jahr danach wird die Ministerin in einem Interview behaupten, die Absetzung des BSI-Präsidenten habe nichts mit der Böhmermann-Mär von den Russen-Kontakten zu tun. Einziger Beweggrund für den Postenwechsel sei ein genereller Vertrauensverlust gewesen, so Faeser. 

FOCUS online veröffentlicht den Bescheid zum Verbot der Dienstgeschäfte, der genau das Gegenteil beweist: Punkt 1 in dem vierseitigen Papier behandelte ausführlich die Vorwürfe Böhmermanns. Im Vorspann heißt es: „Aufgrund der aktuellen Vorwürfe gegen Sie in Ihrer Funktion als Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, die nach der Ausstrahlung der Sendung 'ZDF Magazin Royale' vom 7. Oktober verbreitet wurden, ist in der Öffentlichkeit das Vertrauen in Amtsführung nachhaltig beschädigt.“ 

Papier enthüllt 6 weitere angebliche Verfehlungen seitens Schönbohm

Überdies listet das Papier sechs weitere angebliche Verfehlungen auf.

5. Dezember 2022: Schönbohm erhält die Abordnung zum BAköV. 

18.  Januar 2023: Eine ministeriale Referentin, mit der Voruntersuchung in der Sache Schönbohm befasst, übersendet per Mail an die Vorgesetzten einen Entwurf zur Einstellung des Verfahrens. Tenor: Alle sieben Vorwürfe reichten nicht aus, um ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Doch nichts weiter geschieht. Vielmehr läuft die Untersuchung weiter. 

2. März 2023: Bei einem Treffen mit dem Zentralabteilungsleiter Martin von Simson bemängelt die Ministerin laut einem Vermerk die dünne Erkenntnislage im Fall Schönbohm. Man solle nochmal das Bundesamt für Verfassungsschutz abfragen und Geheimunterlagen zusammentragen, befiehlt Faeser. Das Unterfangen bleibt erfolglos.

März 2023: Zeitnah übermittelt Abteilungsleiter von Simson an die Ministerin einen Langvermerk in der leidigen Personalsache. Tenor: Zwar habe man nichts zu disziplinarwürdigen Verfehlungen gefunden. „Das Ziel der Abberufung des Herrn Schönbohm als Präsident des BSI wurde erreicht.“ Dazu befragt, betonte das Ministerium stets, dass man gerade in diesem Fall sehr sorgfältig alles geprüft habe.

28. April 2023: Ende April teilt das Ministerium Schönbohm mit, dass die Voruntersuchung eingestellt wurde. In dem kurzen Schreiben freut sich Faesers Personalchef von Simson auf eine „Fortsetzung der begonnenen erfolgreichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit“. 

September 2023: Arne Schönbohm verklagt Faeser (formell die Bundesrepublik Deutschland) beim Kölner Verwaltungsgericht wegen der Verletzung der Fürsorgepflicht.