Nicht nur weniger Bürokratie: Klimakrise auf dem Acker, aber Landwirtschaftsminister Rainer schaut weg
Es ist schon bemerkt und diskutiert worden. Die neue Regierung scheint die Klimakrise erst einmal ein wenig zurückstellen zu wollen. Der Koalitionsvertrag ist nicht durch konkrete ambitionierte umweltpolitische Vorhaben aufgefallen; der Kanzler Friedrich Merz betonte in seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag, dass man an den Klimazielen festhalte, aber einen anderen, nämlich marktwirtschaftlichen Weg gehen wolle. Immerhin zählte er den Klimawandel zu den ‚immensen Herausforderungen‘. Jetzt kommt es vor allem auch auf die relevanten Ministerien an, wie man mit diesen umgeht.
Dem Ministerium des Alois Rainer kommt dabei eine doppelte Schlüsselrolle zu. Der Landnutzungssektor ist für erhebliche Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich und sollte dringend zum Klimaschutz beitragen. Außerdem ist die Primärwirtschaft, für die Rainer nun Verantwortung trägt, also die Land- und Forstwirtschaft, ein primär vom Klimawandel betroffener Sektor.
Auch die „Heimat“, wie auch immer sie zukünftig regierungsamtlich verstanden und ausgestaltet werden soll, erfährt in der Klimakrise dramatische Veränderungen. Die Lebensorte der Menschen, die Lebensqualität, ja, die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung werden zusehends von Wetterkatastrophen und Extremereignissen, von Dürren und Hitzewellen beeinflusst beziehungsweise akut gefährdet. Ernährungs- und Wassersicherheit stehen auf dem Spiel. Da konnte man mit Spannung auf die Regierungserklärung des für das Landmanagement zuständigen Fachministers gespannt sein, die er am 15. Mai vortrug.
Über Pierre Ibisch
Prof. Dr. Pierre Ibisch, Jahrgang 1967, ist Biologe und Ökologe mit weltweiter Erfahrung in den Bereichen Naturschutz, nachhaltige Entwicklung und Ökosystemmanagement. Der Professor für "Sozialökologie der Waldökosysteme" ist seit 2004 an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde tätig und seit 2024 Gründungsstudiengangsleiter für "Sozialökologisches Waldmanagement". Er forscht mit seinem Team unter anderem zu waldökologischen Fragen und setzt sich für eine sozialökologische Waldbewirtschaftung ein.
Allein der Titel der Rede zeigt, dass Rainer wohl vorrangig andere Herausforderungen im Blick hat: „Die Vielfalt unserer Landwirtschaft stärken: Bürokratie abbauen, Planungssicherheit herstellen, Vertrauen schaffen“. Nun ist verständlich, dass der neue Minister erst einmal verdeutlichen möchte, wie sehr er die Sorgen seiner wichtigsten Klientel, der Bäuerinnen und Bauern, ernst nimmt. Er „will Lust auf Landwirtschaft machen“.
Also plädiert er für „Freiheit statt Formulare“, und das wurde von seiner Wählerschaft auch so gewünscht. Aber ist denn Bürokratie ernsthaft das, was die Freiheit der Land- und Forstwirtschaft wirklich am stärksten bedroht? Sind es wirklich vor allem fehlende „Beinfreiheit“ und „Berichts- und Dokumentationspflichten“, die die Zukunft der Landnutzung bedrohen?
Böden und Wasser kommen nicht vor
Der Minister mag aufgrund seiner Bodenständigkeit ausgewählt worden sein, doch die Böden, die diese wettbewerbsfähige Land- und Forstwirtschaft überhaupt erst ermöglichen, werden in Rainers Rede nicht erwähnt. Diese Böden haben nach intensiver Nutzung wichtige Eigenschaften eingebüßt. Sie sind humusarm und verdichtet, ihre Wasserrückhaltefähigkeit ist reduziert.
Kein Wort des Ministers zum wichtigsten Produktionsmittel – das ist das Wasser. Ohne Wasser helfen weder nährstoffreiche Böden noch moderne Technologie bei der Pflanzenproduktion. Alois Rainer ist kaum auf die aktuelle Situation eingegangen. Er hat die aktuelle Wetterlage erwähnt und dabei lediglich Bäume und Borkenkäfer erwähnt: „Wir sehen gerade bei der jetzigen Trockenheit, wie schwierig es die Wälder haben, gegen den Borkenkäfer anzukämpfen.“ Als ob der Borkenkäfer das Hauptproblem des austrocknenden und sich zu sehr erwärmenden Waldes wäre.
Und es ist trocken, ohne dass der Sommer begonnen hätte. Nach einer Reihe von Extremjahren erleben weite Teile Deutschlands ein rekordverdächtig trockenes Frühjahr. Es ist in den letzten Monaten in Teilen Deutschlands nur die Hälfte der üblichen Niederschläge gefallen. Bereits zwischen Februar und Mitte April wurden vom Deutschen Wetterdienst im Nordwesten Deutschlands verbreitet unter 35 Prozent der üblichen Niederschlagsmengen gemessen.
Der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) weist für weite Teile des Landes eine sehr schwere Bodentrockenheit aus. Der Bauernpräsident Brandenburgs warnte bereits vor drohenden Ernteverlusten. Erinnert sich der Minister an die Situation etwa in den Jahren 2018 und 2019, als Ackerfrüchte vor der Ernte auf dem Feld verdorrten und kaum genügend Tierfutter produziert werden konnte? Welche Maßnahmen plant der Minister Rainer, wenn er über Planungssicherheit für Landnutzer spricht, im Umgang mit der Klimakrise?
Hitzewellen und Dürren als aktuelles und zukünftiges Risiko für Land- und Forstwirtschaft
Auf allen Kanälen wird diskutiert, ob ein weiterer extremer Hitzesommer drohen könnte. Ja, das könnte so sein. Das Max-Planck-Institut für Meteorologie hat gerade Anfang Mai in der Zeitschrift Geophysical Research Letters neue Ergebnisse veröffentlicht , die nahelegen, dass ein Hitzestau im Nordatlantik außergewöhnlich warmen Sommern in Europa vorangeht. In einer Pressemitteilung des Hamburger Instituts weist die Erstautorin Lara Wallberg darauf hin, dass genau aktuell ein solcher Hitzestau gegeben sei.
In der Studie wird auch noch einmal darauf hingewiesen, dass sich seit der vorindustriellen Zeit die Hitzewellen über Europa verdoppelt haben und dass solche Ereignisse, die bis vor Kurzem vielleicht alle 10 Jahre vorkamen, gegen Ende des Jahrhunderts jährlich auftreten könnten. Das ist eine schlechte Nachricht, aber die noch schlechtere ist, dass solche schwere Hitze- und Dürreereignisse, wie sie für das Ende des Jahrhunderts typisch sein könnten, schon sehr bald regelmäßig auftreten könnten. Das ist das Ergebnis einer anderen Max-Planck-Studie aus Hamburg.
Eigentlich benötigt man inzwischen kaum mehr eine ausgeprägte Phantasie, um sich vorstellen zu können, was diese Ereignisse für Wasserversorgung, Land- und Forstwirtschaft sowie die menschliche Gesundheit bedeuten könnten. Aber selbst, wenn man aufmerksam und regelmäßig die neuesten Ergebnisse der Meteorologie- und Klimawissenschaften verfolgt, ist man nicht davor gefeit, überrascht zu werden.
Während zu Beginn des Jahres ausgemacht schien, dass 2025 keine guten Chancen haben würde, nach 2023 und 2024 global wieder zu den heißesten Jahren seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zu gehören, hat es schon vor Jahresmitte richtig aufgedreht. Inzwischen besteht nach vor einigen Tagen präsentierten Berechnungen von Berkeley Earth schon eine statistische Chance von 53%, dass 2025 Platz 2 erreicht.
Seit einigen Jahren zeichnet sich ab, dass die uns unmittelbar bevorstehende Klimazukunft kaum mehr aus der Vergangenheit abgeleitet werden kann. Das, was wir schnöde Klimawandel oder Klimaerwärmung nennen, bedeutet keine berechenbare Verschiebung von Klimazonen. Vielmehr braut sich ein gänzlich neues Klima zusammen. Es wird immer klarer, dass dabei Veränderungen auf einem Kontinent Fernwirkungen auf einen anderen haben können. Wechselwirkungen, Rückkopplungen und Teufelskreise führen zu immer größeren Überraschungen.
Eine im renommierten Fachblatt Science veröffentlichte Studie erbrachte neulich das spektakuläre Ergebnis, dass ein Teil des geradezu abrupten Meeresspiegelanstiegs der letzten Jahrzehnte darauf zurückzuführen ist, dass die Kontinente ‚trockenlaufen‘. Allein in den Jahren 2000 bis 2002 verschwand die gigantische Menge von 1614 Gigatonnen Wasser aus den Ökosystemen der Kontinente im Meer.
Das war deutlich mehr als das Wasser, das in den Jahren 2000 bis 2006 von den Gletschern Grönlands abschmolz und in den Ozean gelangte. Europa gehört zu den Regionen, in denen die Bodenfeuchtigkeit seit dem Jahr 2000 besonders stark und stetig abgenommen hat.
Eine von Jee-Hoon Jeong aus Korea und Koautoren in Science Advances veröffentlichte Studie bestätigt andere sehr beunruhigende Befunde, dass auf ganz Eurasien Komplexereignisse mit Hitze und Dürre zukommen. Das hat unter anderem mit der sich stark verändernden Luftzirkulation über den Kontinenten und mit Wechselwirkungen zwischen Landoberfläche und Atmosphäre zusammen. Ein massives Problem ist dabei die grassierende Austrocknung der Böden.
Die immer trockeneren Böden sind nicht nur für Land- und Forstwirtschaft eine zentrale Herausforderung, sondern sie befördern offenbar auch die Intensivierung von Hochdruckgebieten und Blockadewetterlagen. Wissenschaftlich interessant, im Ergebnis fatal: Trockenes Land führt also zu weniger Wolken und Niederschlag, mehr Hitze und noch größerer Trockenheit.
Die Autoren der Studie werden sehr deutlich: „Die Folgen dieser Veränderung sind gravierend und haben erhebliche Auswirkungen auf Waldbrände, Landwirtschaft, Ernährungssicherheit, Wasserressourcen und Ökosysteme. Da Simulationen der Zukunft eine weitere Verschärfung dieser Veränderungen vorhersagen, sind dringend Maßnahmen zur Eindämmung der eskalierenden Risiken erforderlich.“
Abteilung für den Umgang mit der Klimakrise im Landwirtschaftsministerium wünschenswert
Bei den beschriebenen Prozessen geht es nicht um Dinge, die vielleicht gegen Ende des Jahrhunderts auftreten könnten, nein, diese Veränderungen werden bereits gemessen. Angesichts ihrer existenziellen Bedeutung wäre es wünschenswert, dass im Land- und Heimatministerium eine Abteilung für den Umgang mit der Klimakrise eingerichtet würde. Eine größtmögliche Klimakompetenz wird hier dringend benötigt.
Oft wird von Klimawandelanpassung gesprochen, dabei ist noch ziemlich unklar, ob wirklich eine Anpassung an die verschiedenen dramatischen Veränderungen möglich sein wird. Aber es ist eine zentrale Aufgabe der Landnutzung, Risiken zu minimieren. Das geht nur mit der Bereitschaft, Ziele und Praxis zu hinterfragen.
Allemal gehören alle Praktiken auf den Prüfstand, die potenziell zur weiteren Austrocknung der Böden beitragen könnten. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass anerkannt wird, dass die Austrocknungs- und Hitzekrise nicht allein vom globalen Klimawandel angetrieben wird, sondern dass die Land- und Naturressourcennutzung erheblich zu ihr beiträgt.
Das für den Wald zuständige Ministerium verspätet sich in diesem Jahr mit der Herausgabe des Waldzustandsberichts. Man darf gespannt sein, ob der Bericht selbstkritischer mit der Rolle der Forstwirtschaft umgeht, was allerdings unter Alois Rainers Vorgänger Özdemir auch schon nicht erfolgt war. Im Forstsektor scheint sich noch nicht überall herumgesprochen zu haben, wie sich die Klimakrise zuspitzt. In manchen Wäldern wurde im letzten Halbjahr schon wieder eingeschlagen, als gäbe es kein Morgen. Dabei bedeutet eine intensivere Waldnutzung aktuell zusätzliche Emissionen von Treibhausgasen und ein Auflichten von geschwächten Wäldern, deren Zustand sich in der nächsten Hitzewelle erheblich verschlechtern könnte.
Der Wald kämpft nicht gegen Borkenkäfer, wie Minister Rainer es in seiner Regierungserklärung formulierte – nein, vielmehr leidet er unter der menschlichen Nutzung, den ungünstigen Einflüssen der umgebenden Landschaft und der Klimakrise. Das Ganze ist komplexer als vom Minister Rainer in seiner ersten Regierungserklärung skizziert - der Anbau von ein paar vermeintlich „standortgerechten“ Baumarten wird das Problem nicht lösen. Es bleibt zu hoffen, dass sich der neue Minister offen und lernbereit zeigt und sich ernsthaft mit der komplexen Land- und Klimakrise beschäftigt.
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"Waldwissen: Vom Wald her die Welt verstehen. Erstaunliche Erkenntnisse über den Wald, den Menschen und unsere Zukunft" von Pierre L. Ibisch
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.