Von Kaffee bis Rindfleisch: Was die neue EU-Verordnung für unsere Preise bedeutet
Auf dem Weg zu mehr Klima- und Umweltschutz bringt die EU ab kommendem Jahr eine neue Regel ins Spiel: die Entwaldungsverordnung. Für Unternehmen bringt sie neue Pflichten und Bürokratie. In Schlagzeilen wird bereits vor steigenden Lebensmittelpreisen im Supermarkt gewarnt, wenngleich Experten mit solchen Prognosen noch vorsichtig sind. Doch worum geht es überhaupt? Das müssen Sie zur EU-Entwaldungsverordnung wissen.
Was ist die EU-Entwaldungsverordnung?
Wörtlich heißt sie „Verordnung über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt und ihre Ausfuhr aus der Union“. Sie schreibt vor, dass Unternehmen eine Reihe von Produkten nur noch in die EU importieren oder hier auf dem Markt anbieten dürfen, wenn sie garantieren können, dass dafür nirgendwo auf der Welt Wälder abgeholzt wurden. Zu den Produkten, die unter die neue Verordnung fallen, gehören alle, die ganz oder teilweise aus den Rohstoffen Kakao, Kaffee, Ölpalmen, Kautschuk, Soja, Holz und Rindfleisch hergestellt werden. Das klingt nach einem Randaspekt, umfasst aber bei näherem Hinsehen eine sehr breite Palette an Produkten: von Rindfleisch und Kaffeepulver bis zu Nutella, Gummi-Handschuhen, Sojamilch und Lederschuhen.
Die Verordnung kommt nicht überraschend. Sie wurde bereits am 31. Mai 2023 vom Europäischen Parlament und allen EU-Mitgliedsstaaten, also auch von Deutschland, beschlossen. Sie trat am 29. Juni 2023 in Kraft und sollte eigentlich schon ab dem 30. Dezember 2024 umgesetzt werden. Weil viele Unternehmen aber klagten, dass sie mehr Zeit zur Umsetzung bräuchten, wurde sie auf den 30. Dezember 2025 verschoben. Kleine und mittlere Unternehmen müssen sie erst ab dem 30. Juni 2026 umsetzen.
Was genau regelt die Verordnung?
Auf den ersten Blick betrifft die Verordnung nur Unternehmen, die oben genannte Produkte in die EU einführen oder hier verkaufen. Sie müssen ihre Lieferketten überprüfen und sicherstellen, dass an keiner Stelle für ihre Produkte, Zwischenprodukte oder Rohstoffe Wälder abgeholzt werden.
Dazu muss ein Unternehmen mit genauen GPS-Koordinaten angeben, wo die Rohstoffe für seine Produkte gewonnen werden, wann und in welcher Menge dies geschieht. Wurden Produktionsflächen nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet, dürfen sie nicht mehr genutzt werden. Außerdem müssen die Unternehmen eine Risikoanalyse durchführen, bei der etwa die Einhaltung von Menschenrechten, Korruption und ähnliches in den Produktionsstandorten geprüft wird. Ist das Risiko für Verstöße hoch, sind Audits vor Ort, Satellitenüberwachung sowie zusätzliche Nachweise und Zertifikate von unabhängigen Stellen notwendig. Zollbehörden dürfen einzelne Produktionsstandorte im Zweifelsfall sperren.
Betroffene Unternehmen müssen eine Sorgfaltserklärung abgeben, bevor sie ein Produkt in der EU anbieten. Dort erklären sie, die Produktionsbedingungen bestmöglich geprüft zu haben. Alle Nachweise dazu müssen fünf Jahre aufbewahrt werden. Wer keine Erklärung abgibt oder bei dieser schummelt, wird mit empfindlichen Bußgeldern von bis zu vier Prozent des in der EU erzielten Umsatzes, Beschlagnahmung und Vernichtung der entsprechenden Ware bis hin zu einem Vermarktungsverbot in der EU bestraft.
Warum sollte mich das als Verbraucher kümmern?
Verbraucher werden indirekt von der Verordnung getroffen. Für die Unternehmen erhöhen sich die bürokratischen Pflichten. Schließlich müssen sie Zertifikate und Nachweise zu Produktionsflächen sammeln, die im schlimmsten Fall von Sub-Sub-Sub-Lieferanten am anderen Ende der Welt bewirtschaftet werden. Die Zusatzkosten könnten die Unternehmen auf ihre Preise umlegen, die dann wiederum auch an Sie als Verbraucher treffen. Einen plötzlichen Inflationsschub erwartet deswegen aber niemand. Zwar warnen Supermarktketten wie Edeka vor den hohen Kosten der Sorgfaltspflicht. Doch ob das Auswirkungen auf die Preise habe, lasse sich noch nicht seriös abschätzen, sagt etwa Rewe in einem Pressestatement gegenüber der Bild. Allerdings könnte Lieferungen von Bio- oder Fairtrade-Produkten kurzzeitig ausfallen, weil ihre Lieferanten in den Produktionsländern erst die Nachweise liefern müssten.
Was sind die größten Kritikpunkte an der Verordnung?
Der Tenor der meisten betroffenen Unternehmen lässt sich wie folgt zusammenfassen: Klar, so eine Entwaldungsverordnung ist gut und wichtig – aber doch bitte nicht so, dass wir damit mehr Arbeit haben. Dabei hätte jedes Unternehmen schon seit Jahren von allein dafür sorgen können, dass für seine Produkte keine Wälder abgeholzt oder Menschenrechte verletzt werden. Schließlich sind diese Probleme nicht neu. „Dass die Verordnung um ein Jahr verschoben wurde, war schon eine Belohnung für all die Unternehmen, die sich nicht angestrengt haben, sie zu erfüllen“, rügt etwa Virginijus Sinkevičius, EU-Parlamentarier aus Litauen und von 2019 bis 2024 EU-Umweltkommissar, gegenüber dem britischen Guardian.
Trotzdem hat sich nun auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in die Debatte eingeschaltet. Er schrieb vor einigen Wochen einen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (ebenfalls CDU). Darin fordert er die Einführung einer „Null-Risiko-Kategorie“. In diese sollen Produktionsflächen in bestimmten Ländern wie etwa Deutschland fallen. Die Argumentation dahinter ist, dass hierzulande eine Entwaldung kein Problem mehr sei. Müssten also für Produkte aus Deutschland keine Erklärungen abgegeben werden, würde das heimische Bauern, die Rinder halten oder deutsche Rindfleischprodukte anbieten, stark entlasten.
Spitzenverbände der Wirtschaft kritisieren wiederum, dass jeder Anbieter von Waren aus den genannten Kategorien eine Sorgfaltserklärung abgeben muss – und nicht nur der erste Importeur solcher Waren in die EU. So würden Produktionsflächen im Ausland teils doppelt und dreifach überprüft. Hier ließe sich bürokratischer Aufwand einsparen. Und Papierhersteller sowie Druckereien gefällt nicht, dass sie teilweise Sorgfaltserklärungen für die Herkunft von Holz abgeben müssen, für die es bereits eigene Verordnungen und Sorgfaltserklärungen gibt.
Wird sich die Verordnung noch einmal ändern?
Die EU-Kommission hat das Recht, eigenmächtig technische Details an der Verordnung zu ändern. Sie könnte also etwa Deutschland als „Null-Risiko-Land“ deklarieren. Größere Änderungen müssten jedoch das normale Gesetzgebungsverfahren der EU durchlaufen und am Ende wieder vom Parlament und dem EU-Rat mit den Umweltministern aller 27 Mitgliedsländer beschlossen werden. Das dürfte Jahre dauern und wird auf keinen Fall vor der Anwendung der Verordnung am 30. Dezember 2025 passieren.