Mit einem Wald voller Berichtspflichten will die EU die Entwaldung verhindern
Europa stemmt sich gegen die Abholzung – zu Recht, aber leider mit enormer Bürokratie. Die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte vom Juni 2023 soll Betriebe zu baumschützenden Lieferketten verpflichten. Ein größeres Familienunternehmen aus Süddeutschland berichtet, dass es allein für die Administration dieser Verordnung einen zusätzlichen Mitarbeiter einstellen muss. Größere Unternehmen müssen mit jährlichen Kosten von 100.000 bis 200.000 Euro rechnen – nicht um Wälder zu schützen, sondern um Berichte zu schreiben.
Um was geht es bei der EU-Entwaldungsverordnung?
Wer mit Soja, Ölpalme, Rinder, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Holz sowie daraus hergestellten Erzeugnissen handelt oder diese verwendet, muss garantieren können, dass dies nicht auf landwirtschaftlichen Flächen angebaut wurde, die seit Ende 2020 entwaldet worden sind. Damit nicht genug: Ferner müssen die relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse nach den Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes erzeugt sein. Für sie muss eine Sorgfaltserklärung vorgelegt werden, die an die zuständigen Behörden elektronisch zu übermitteln ist. Außerdem müssen Großunternehmen dafür einen Compliance-Beauftragten einstellen.
Der Produzent oder Händler muss also prüfen, welche Vorschriften für die Herstellung der Produkte im Erzeugerland bestehen und ob sie beachtet worden sind. Findet oder fand dort eine Entwaldung statt? Unternehmen sollen also ihre gesamte Lieferkette rückverfolgen, bis hin zur Erzeugung. Doch viele Daten sind nicht ohne Weiteres verfügbar.
Sanktionen
Für die Unternehmen sind damit hohe Risiken verbunden: Denn die national zu verhängenden Geldbußen betragen mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes. Außerdem können die EU-Staaten Waren sowie die mit ihnen erzielte Einnahmen einziehen.
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Haben Sie selbst ein Beispiel erlebt, bei dem die Bürokratie so zugeschlagen hat, dass Sie fassungslos waren? Und Sie möchten, dass davon auch andere erfahren? Dann schreiben Sie uns eine Mail an mein-bericht@focus.de.
Ab wann gilt die Verordnung?
Das Gesetz wird ab dem 30. Dezember 2025 für Großunternehmen und ab dem 30. Juni 2026 für alle anderen Unternehmen gelten.
Warum ist die Entwaldung problematisch?
Das Grundanliegen ist zunächst verständlich: Soja, Kakao oder Kaffee sind Produkte, die häufig auf gerodeten Waldflächen angebaut werden. Durch die Entwaldungsverordnung soll die Abholzung des Regenwaldes etwa im südamerikanischen Amazonasgebiet deutlich reduziert werden. In den letzten 30 Jahren sind bis zu 420 Mio. Hektar Wald auf der Welt verlorengegangen. Bäume speichern Kohlendioxid und andere Treibhausgase und schützen damit das Klima.
Wirksamkeit ist fraglich
Kritiker bezweifeln, dass die EU-Entwaldungsverordnung tatsächlich zu einer Reduzierung der Entwaldung führt, da sie Aufgaben, die der Staat übernehmen müsste, in die Hände von Unternehmen legt.
Auch Länder, die aufforsten, fallen unter die Verordnung
Unnötige Bürokratie entsteht auch deshalb, weil Länder mit strengem Naturschutz von der Regulierung betroffen sind. Obwohl in Deutschland aufgeforstet wird, fällt es unter die EU-Verordnung. Auch bei Erzeugnissen aus heimischen Wäldern sollen Unternehmen ihre Sorgfalt dokumentieren. Zwar gelten dabei als „Land mit geringem Risiko der Entwaldung“ abgeschwächte Anforderungen. Unverständlich bleibt es dennoch. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber nicht mit Maß und Mitte arbeitet. Ebenso wie bei der Lieferketten-Richtlinie müsste er mit einer Negativ-Liste arbeiten, die es den Unternehmen ermöglicht, mit wenig Aufwand zu erkennen, ob sie es mit einem Risikogebiet zu tun haben, das besondere Regularien auslöst oder nicht. Stattdessen wird missionarisch zu einem Rundumschlag ausgeholt.
Überregulierung durch Überschneidung mit der Lieferkettenrichtlinie
Überregulierung entsteht auch dadurch, dass es bereits andere Gesetze gegen Entwaldung gibt. Auch nach der Lieferkettenrichtlinie der EU müssen Unternehmen Risiken für die Umwelt, wie die Gefahr einer Entwaldung, identifizieren, verhindern, abmildern oder beenden. Es werden Sorgfaltspflichten und Berichtspflichten eingeführt. Der Fokus liegt – ebenso wie bei der Entwaldungsverordnung - entlang der gesamten Lieferkette.
Entbürokratisierung durch Null-Risiko-Kategorie
Um unnötige Belastungen durch EU-Recht zu vermeiden, sieht der der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung die Einführung einer „Null-Risiko-Kategorie“ vor. Damit würden Sorgfaltspflichten für Unternehmen entfallen, wenn Erzeugnisse aus Ländern ohne Entwaldungsrisiko - wie etwa Deutschland - kommen. Diese Vereinfachung ist dringend notwendig.
Fazit
Die Bekämpfung illegaler Entwaldung ist ein wichtiges Ziel. Doch sie muss zielgerichtet erfolgen. Und vor allem: Das muss bürokratiearm gehen. Die europäische Wirtschaft darf nicht mit Überbürokratisierung ausgebremst werden. Da verwundert es nicht, dass Europa beim Wachstum hinter anderer Handelsregionen zurückfällt.
Zur Autorin: Gisela Meister-Scheufelen ist „Miss Bürokratieabbau“ der Stiftung Familienunternehmen und Politik.