Globaler Süden - EU-Regel setzt Kaffeebauern unter Druck – die schauen jetzt nach Asien
Kaffee, das beliebteste Getränk der Menschen in Deutschland, ist stark vom Klimawandel bedroht. Bis 2050 könnten bis zu 50 Prozent der globalen Anbaufläche verloren gehen – bedingt durch starke Hitze, Regenfälle und Pflanzenkrankheiten wie dem Kaffeerost, der sich bereits bei leichten Temperaturanstiegen schnell verbreitet. In einzelnen Kaffeeanbauregionen könnten infolge des Klimawandels über 90 Prozent der Anbauflächen verschwinden.
Die Kaffeebauern befinden sich in einer Zwickmühle. Einerseits vernichtet der Klimawandel einen Teil der Ernte, womit ihre Einnahmen sinken. Andererseits kostet sie der Kampf gegen die Klimakrise weiteres Geld, etwa durch Investitionen in neue Anbaumethoden. Das betrifft vor allem die Kleinbauern, die in Lateinamerika wie auch weltweit den Großteil des Kaffees anbauen. Sie erhalten ohnehin meist nur einen kleinen Teil des Ertrags innerhalb der Wertschöpfungskette.
EU-Regel sorgt dafür, dass Kaffee künftig nach Asien statt Europa geht
„Wegen des starken Regens im letzten Jahr konnten wir erst spät mit der Ernte beginnen und verloren dadurch 40 Prozent unseres Ertrags“, sagt Antonio Oscar Molina, Landwirt und Buchhalter der Kooperative Los Pinos in El Salvador. „Wir sind nicht die Verursacher des Klimawandels, leiden aber am stärksten unter seinen Folgen.“
Der Kaffeepreis für die Arabica-Sorte, die in Lateinamerika vorwiegend angebaut wird, hat im letzten Jahr einen historischen Höchststand erreicht. Doch von den hohen Preisen profitieren Kaffeebauern nur wenig, der Gewinn verbleibt meist im Zwischenhandel und bei Finanzinvestoren.
„Der Börsenpreis für Rohkaffee ist nur Spekulation“, meint Molina. Händler würden derzeit nicht zu diesen Preisen einkaufen. Die Kooperative Los Pinos habe ihren Rohkaffee aus der letzten Ernte bereits im Sommer verkauft, aus Angst, bei zu langem Warten keine Abnehmer zu finden.
Verbraucher hingegen spüren von den Preisentwicklungen bislang nur wenig. Während der börsennotierte Preis sich im letzten Jahr verdoppelt hat, blieb der Verbraucherpreis stabil.
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Neue Vorgaben wie die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) erschweren die Lage der Kaffeebauern zusätzlich. Rund die Hälfte ihrer Kaffeebohnen bezieht die EU aus Ländern in Lateinamerika. Die Verordnung, die ab dem 30. Dezember 2025 in Kraft treten soll, verbietet den Import von Rohstoffen wie Kaffee, Kakao, Soja, Rindfleisch oder Holz, wenn diese von entwaldeten Flächen stammen. Sie dürfen auf dem EU-Markt auch nicht verkauft werden, wenn die Erzeuger beim Anbau gegen nationale Gesetze verstoßen haben. Für das Vorgehen der EU gegen Entwaldung gibt es gute Gründe.
Der Weltklimarat (IPCC) betont in seinem jüngsten Bericht die wichtige Rolle der Wälder beim globalen Klimaschutz. Wälder sind große Kohlenstoffspeicher: Wenn sie gerodet werden, wird das gespeicherte CO₂ freigesetzt. Dadurch wurden seit 2014 jährlich 6,2 Milliarden Tonnen CO₂ freigesetzt, wie die letzten Zahlen des Global Carbon Budgets belegen. Das waren 2023 rund sechs Prozent der globalen Treibhausgasemissionen.
EU-Entwaldungsverordnung: Herausforderung für Kaffeebauern in Lateinamerika
Die Händler müssen durch die EUDR nachweisen, dass ihr Produkt entwaldungsfrei produziert wurde. Dazu müssen sie eine Risikoanalyse durchführen und der EU Geolokalisierungsdaten ihrer Anbauflächen bereitstellen. In der Praxis sind die Erzeuger – zum Beispiel Kaffeekooperativen – dafür verantwortlich, diese Daten zu erheben, wenn sie den Händler weiter beliefern wollen.
Es besteht das Risiko, dass der Aufwand für die Geolokalisierung bei den Erzeugern hängenbleibt. Laut dem Leitfaden für Kleinbauern, in dem die EU-Kommission vor allem die Vorteile der EUDR für Kleinbauern aufzählt, könne die Erhebung der GPS-Koordinaten „einfach und kostenlos“ mithilfe eines Smartphones erzeugt werden. Dabei ist der technische Aufwand um einiges komplexer: Es müssen präzise Koordinaten erhoben und auf einer Karte zu einem Polygon zusammengefügt werden, die dann auf ein Geolokalisierungsprogramm überspielt und verarbeitet werden. Das Programm beherrschen bislang die wenigsten.
Im Falle der Kooperative Los Pinos, die nach Fairtrade-Standards produziert, hat das Produktionsnetzwerk von Fairtrade in Lateinamerika CLAC die Kosten übernommen. Mitarbeiter wurden in EUDR-Themen geschult, neue Tech-Mitarbeiter angestellt und das Geolokalisierungsprogramm angeschafft. Hätte die Kooperative einen externen Dienstleister mit der Geolokalisierung beauftragt, hätte sie mit Kosten in Höhe von 40.000 US-Dollar rechnen können.
Fairtrade kooperiert mit dem Geodatenunternehmen Satelligence. Es überprüft die Daten der Kleinbauern. Stellt Satelligence fest, dass möglicherweise auf gerodeten Waldflächen oder einem geschützten Naturschutzgebiet angebaut wurde, kann Fairtrade direkt Kontakt zu den betroffenen Kleinbauern aufnehmen.
Hohe Kosten und bürokratische Hürden: Warum Kleinbauern um ihren Zugang zum EU-Markt fürchten
Für die meisten Händler oder Zwischenhändler sei das Verfahren allerdings zu aufwendig und die Datenverfügbarkeit zu lückenhaft, sagt Nanne Tolsma, der für die Kundenbetreuung bei Satelligence verantwortlich ist. „Aus Sicht der Händler kann es daher die einfachste Option sein, die Erzeuger auszuschließen.“
„Ich würde sagen, dass die EUDR einen sehr guten Zweck verfolgt“, sagt CLAC-Geschäftsführerin Xiomara J. Paredes. Allerdings stiegen für die Kooperativen die Kosten infolge der neuen Verordnung. „Unsere Bauern haben erkannt, dass sie auf eine nachhaltige Weise produzieren müssen“, sagt sie. „Sie steigen auf klimaresiliente Kaffeesorten um und pflanzen neue Obst- und Nutzbäume an.“ Für sie stelle die EUDR keinen Anreiz dar, es besser zu machen.
Bei Rohstoffen, die von Kleinerzeugern stammen und nicht großflächig angebaut werden – wie Kakao und Kaffee – sieht die CLAC-Chefin keinen Mehrwert in der EUDR. „Das Gesetz ist überflüssig, wenn es nicht auch vorschreibt, dass sich die Partner in der Lieferkette an den Kosten für die Einhaltung der Vorschriften beteiligen.“
Es sei bereits zu beobachten, dass Produzenten Kontakt zu Händlern in China und Russland aufnehmen, sagt Paredes. In einer Stellungnahme zur EUDR warnt auch das Nachhaltigkeitslabel Fairtrade davor, dass Produzentenorganisationen vom EU-Markt ausgeschlossen oder aus Lieferketten gedrängt werden könnten – nicht, weil sie auf entwaldeten Flächen wirtschaften, sondern weil sie mit der Datenerfassung und -verarbeitung überfordert seien.
Fairtrade fordert von der EU-Kommission, potenzielle Risiken der EUDR für Kleinbauern zu bewerten und diese mit finanziellen Mitteln und Marktanreizen bei der Umsetzung der EUDR zu unterstützen.
„Die EU sollte uns ihre Regeln nicht von oben diktieren und die Verantwortung abwälzen“, kritisiert der Kaffeebauer Molina von Los Pintos. Genry Herrera, Direktor der Kooperative Cocrebistol in Honduras, die Teil der CLAC ist, sagt: „Wenn die EU höhere Standards will, dann müssen Abnehmer bereit sein, mehr dafür zu bezahlen.“
Wie nachhaltige Kaffeewirtschaft langfristig profitieren könnte
Anders sieht es Antoine Oger vom Thinktank Institute for European Environmental Policy (IEEP), das sich auf EU-Umweltpolitik spezialisiert. „Die EUDR könnte sich zu einer der wirkungsvollsten EU-Richtlinien entwickeln“, sagt er. „Wenn wir nicht Berichtspflichten wie die EUDR einführen, tappen wir im Dunkeln.“
Doch für eine wirksame Umsetzung müsse die EU mehr mit ihren Partnerländern zusammenarbeiten, sagt Oger. Es müssten Schulungen sowie technische und finanzielle Mittel bereitgestellt werden, um besonders betroffene Kleinbauern zu unterstützen. So könne das Risiko reduziert werden, dass der Aufwand und die Kosten beim Erzeuger hängenbleiben.
Langfristig könnten Kleinbauern aus der EUDR auch Vorteile ziehen. Die Geolokalisierungsdaten könnten den Grundstein dafür bilden, die standortspezifischen Bedingungen genauer zu analysieren, meint Tolsma von Satelligence. So könnten Landwirte bei der Auswahl klimaresilienter Kaffeebohnen besser beraten werden und Dünger- und Pflanzenschutzmittel standortspezifischer einsetzen. Das könnte langfristig eine klimaresiliente und nachhaltigere Anbauweise fördern.
Das Original zu diesem Beitrag "EUDR: Wieso Kleinbauern Kaffee künftig nach Asien statt Europa verkaufen könnten" stammt von Table.Briefings.