Auch in Murnau: Finanzielle Schieflage durch Kirchenaustritte

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Die Kirchenaustritte haben vor Ort Folgen (Symbolfoto). © dpa

Die hohe Zahl an Kirchenaustritten bringt die Pfarrgemeinden in finanzielle Probleme, weil die Einnahmen aus der Kirchensteuer sinken – auch im Raum Murnau. In letzter Konsequenz müssten wohl christliche Schulen und Kindertagesstätten geschlossen werden. Ein Horrorszenario. Dann wären die Gemeinden in der Pflicht.

Murnau – Die Zahlen sind dazu angetan, den deutschen Bischöfen und Pfarrern der beiden großen christlichen Konfessionen tiefe Sorgenfalten in die Stirn zu graben. Die Kirchenaustritte für das Jahr 2023 haben zwar nicht das Niveau von 2022 erreicht, bewegen sich allerdings weiter in schwindelerregenden Höhen – in Deutschland und in der Region um Murnau. Wieso sollte sich der nördliche Landkreis Garmisch-Partenkirchen von diesem Trend abkoppeln können und eine Insel der Seligen sein? Beim Standesamt der Verwaltungsgemeinschaft (VG) Ohlstadt, zu der neben Ohlstadt auch die Gemeinden Eschenlohe, Großweil und Schwaigen zählen, kehrten 2022 127 Gläubige den beiden Konfessionen den Rücken – 108 Katholiken, 19 Protestanten. 2023 taten dies 84, 2018 waren es lediglich 37 gewesen. 23 von ihnen katholischen, 14 evangelischen Glaubens.

Kirchenaustritte in Murnau: 148 Menschen gingen 2023 diesen Schritt

Beim Markt Murnau erklärten in den vergangenen zwölf Monaten 148 Männer und Frauen ihren Austritt entweder aus der evangelischen oder katholischen Kirche. Es war der zweithöchste Wert in den vergangenen fünf Jahren. Nur 2022 wandten sich mit 214 deutlich mehr Menschen von den Kirchen ab. Das Murnauer Rathaus sah sich nicht in der Lage, die Austritte nach Konfessionen aufzuschlüsseln, was den Beschäftigten der VG Ohlstadt problemlos gelang.

Münchner Missbrauchsgutachten 2022 wirkte wohl wie ein Brandbeschleuniger

Den Grund, wieso der Schwund an Gläubigen in diesem rasanten Tempo fortschreitet, glaubt Siegbert Schindele zu kennen. Der Priester, der der Pfarreiengemeinschaft Murnau, Aidling-Riegsee und Eschenlohe vorsteht, meint, das Münchner Missbrauchsgutachten von 2022 habe wie ein Brandbeschleuniger gewirkt.

Eine Ansicht, die zutreffen könnte. Das Meinungsforschungsunternehmen Civey hat in dem besonderen Krisenjahr ehemalige katholische Kirchenmitglieder kontaktiert und ihre Auslöser erfragt. Für knapp die Hälfte der Teilnehmer waren die seit Jahren auftretenden Missbrauchsskandale innerhalb der katholischen Kirche und der Umgang damit ein wichtiger Grund. Einzig die Kirchensteuer gaben knapp zwei Drittel der Befragten und damit noch mehr als Beweggrund an für den Kirchenaustritt.

Kirchensteuer ist die größte Triebfeder für Austritte

Das liebe Geld ist also die größte Triebfeder für die Gläubigen, einen Schlussstrich zu ziehen. „Das kann ich bestätigen“, sagt Schindele. Das finanzielle Argument hört er immer wieder, da er jedes Gemeindemitglied per Brief anschreibt und bittet, die Entscheidung noch einmal zu überdenken. „Oft höre ich dann, man brauche das Geld für etwas anderes.“ Schindeles Rat: Man solle einfach einen Urlaub weniger im Jahr machen und schon sei das Geld für die Kirchensteuer hereingeholt.

Andreas Fach will die Austritte nicht nur auf das Finanzielle, das sicher auch eine Rolle spiele, verkürzen. „Viele wollen mit Glaube und Gott nichts mehr zu tun haben. Das war vor 20 Jahren noch anders“, sagt der evangelische Pfarrer, der an der Murnauer Christuskirche seinen Dienst versieht.

Trotz Problemen: Murnauer Kirchen „noch gut gefüllt“

Kirchensteuern sparen zu wollen, ist in den Augen des Kirchensoziologen Detlef Pollack eine logische Konsequenz. Mehr als 70 Prozent der Kirchenmitglieder nehmen am kirchlichen Leben nicht teil, so Pollack: „Das ist eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung: ,Ich trete aus, weil ich die Leistungen der Kirche nicht in Anspruch nehme‘.“ In Murnau und Umgebung scheint das anders zu sein. „Unsere Kirchen sind noch gut gefüllt“, betont Schindele. Gleiches gilt für die Christuskirche. Nach dem Corona-Loch kommen wieder mehr Gläubige zu Gottesdiensten.

In der Regel beträgt die Kirchensteuer neun Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer. In Bayern sind es acht Prozent. Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben im Jahr 2022 knapp 13 Milliarden Euro an Kirchensteuern eingenommen, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt. Auf die katholische Kirche entfielen knapp 6,8 Milliarden Euro, auf die evangelische Kirche etwa 6,1 Milliarden Euro.

Kirchen werden zum Sparen gezwungen sein

Je höher die Zahl der Austritte steigt, desto stärker sinken die Einnahmen. Was für die Zukunft nichts Gutes erwarten lässt. Weniger Budget bedeutet, dass die Kirchen gezwungen sein werden, den Rotstift anzusetzen. Dass dies so kommen wird, daran lassen weder Schindele noch Fach Zweifel. Es dürfte sowohl für Bürger als auch für Gemeinden ein Horrorszenario sein, das sie zeichnen. Als Erstes müsse man wohl Schulen, dann Kindergärten schließen. Und als Letztes können diverse Kirchen nicht mehr vor dem Verfall bewahrt werden. „Die Pfarrkirchen nehme ich aus“, sagt Schindele. Ähnlich äußert sich Fach. Kindertagesstätten müssten an die Kommunen zurückgegeben müssen, ebenso Schulen und Pflegeeinrichtungen. Derzeit befinden etwa zwei Drittel aller Kindertageseinrichtungen in der Hand privater, vor allem christlicher Träger wie die Caritas der katholischen Kirche und die Diakonie der evangelischen Kirche. Käme es in diesem Bereich zu den Einsparungen und Kürzungen, dürfte die Lage deutlich angespannter werden als sie bereits jetzt ist – mit starken Auswirkungen auf die Gemeinden. Dann muss der Staat einspringen, die Einrichtungen selbst betreiben, und das kostet deutlich mehr. Fach prognostiziert, „dass wir dann Steuererhöhungen haben werden“.

Pfarrer Fach glaubt: Kirchensteuer ein Auslaufmodell

Er ist sich allerdings sicher, dass es die Kirchensteuer in der jetzigen Form nicht mehr lange geben wird. Er selbst favorisiert eine Sozialsteuer, wie es sie in Italien und Frankreich bereits gibt. Für die wird jeder Bürger zu Kasse gebeten. Jeder Steuerzahler habe das Recht, selbst zu bestimmen, für welchen Zweck sein Geld verwendet wird. „Es kann vorkommen, dass einer in diesem Jahr die Kirche bedenkt und im nächsten vielleicht Greenpeace“, sagt Fach.

Konsequenzen, die Schindele nicht gutheißt: „Die Entwicklung ist über alle Maßen traurig.“

Stellenkürzung: Pfarrerin Feneberg verlässt Murnau

Übrigens: Die Sparmaßnahmen durch ein Minus bei der Kirchensteuer, das durch die zahlreichen Austritte entstanden ist, macht auch vor dem Stellenplan der evangelischen Kirche in Murnau nicht Halt. Eine Kürzung von zweieinhalb auf nur noch zwei Pfarrerstellen ist Fakt. Simone Feneberg, für die Dörfer Seehausen, Uffing, Eglfing, Spatzenhausen und Hofheim zuständig, verlässt nach Auskunft von Pfarrer Andreas Fach Ende Juni dieses Jahres Murnau. „Das steht fest“, sagt er. In welche Gemeinde Feneberg wechseln wird, ist noch offen. Fach zufolge gibt es mehrere Möglichkeiten. „Eine Entscheidung wird in den kommenden Monaten fallen.“

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