Das Krankenhaus Agatharied feiert mit seinem onkologischen Zentrum zehnjähriges Jubiläum – und enorme Fortschritte. Ärzte und Vorstand Benjamin Bartholdt ziehen ein positives Fazit.
Landkreis – Es war ein Wagnis, das das Krankenhaus Agatharied mit dem Aufbau des onkologischen Zentrums vor genau zehn Jahren eingegangen ist. Hinter dem wohnortnahen Therapieangebot stand zur Eröffnung 2014 eine Millioneninvestition mit großem Risiko. Die Klinik muss personell und technologisch schritthalten mit der internationalen Krebsforschung – keine leichte Aufgabe. Zum Jubiläum ziehen die leitenden Ärzte und Krankenhaus-Vorstand Benjamin Bartholdt aber ein positives Fazit. Die Entscheidung seines Vorgängers Michael Kelbel zum Krebszentrum sei richtig gewesen, sagt Bartholdt. „Die Onkologie ist eine Erfolgsgeschichte und wichtig für die Standortsicherung und den Landkreis.“
Welchen Vorteil bietet das onkologische Zentrum?
Auf 600 Quadratmetern werden die von Dr. Irina Sackerer geleitete Strahlentherapie mit der internistischen Onkologie und weitere Abteilungen gebündelt. Durch den fachlich kombinierten Einsatz, etwa von systemischen Therapien, Operationen oder der Strahlentherapie müssen Patienten nicht nach München fahren, sagt Sackerer. Etwa 95 Prozent könnten vor Ort behandelt werden. Das Krankenhaus sei aber auch eng mit universitären Krebszentren in München vernetzt, ergänzt Privatdozent Dr. Clemens Gießen-Jung, Leiter der Hämatologie-Onkologie. „Das ist zum Beispiel für spezielle Zelltherapieverfahren bei Leukämien und Lymphdrüsenkrebserkrankungen der Fall.“ Technisch, betont Sackerer, sei das Krankenhaus auf einem Niveau mit Unikliniken. Wer eine Krebsdiagnose bekommt, profitiere in Agatharied von kurzen Wegen, schnellen Therapieentscheidungen und geringen Wartezeiten, sagt Dr. Frank Gumpinger, leitender Oberarzt für Chirurgie.
Wie schafft es ein mittelgroßes Krankenhaus, mit anderen Schritt zu halten?
Er habe für das Krankenhaus den Anspruch, sich jederzeit selbst dort behandeln zu lassen oder dies seinen Angehörigen empfehlen zu können, sagt Bartholdt. „Das hört sich selbstverständlich an, gerade bei onkologischen Behandlungen ist dieser Anspruch aber sehr hoch.“ Prof. Rudolf Pihusch, Leiter der onkologischen Tagesklinik und Mitbegründer des Krebszentrums, bestätigt das: „Onkologie ist eines der Fächer, die sich extrem schnell entwickeln.“ Schritthalten könne Agatharied einerseits wegen der Expertise der Ärzte, die laut Privatdozent Dr. Mark op den Winkel, Chefarzt für Gastroenterologie, aufgrund der breit aufgestellten Onkologie in Agatharied einen attraktiven Arbeitsplatz vorfinden. Andererseits führt Bartholdt den Erfolg auf die gute Zusammenarbeit im Haus zurück. In einer Tumorkonferenz werde jeder einzelne Fall mit allen Experten besprochen. „Onkologie ist eine Teamgeschichte.“
Was hat sich in der Behandlung seit 2014 verändert?
Insgesamt haben sich die Möglichkeiten im Kampf gegen Krebs deutlich verbessert. Pihusch nennt etwa Fortschritte im Bereich der molekularpathologischen Diagnostik. Die Untersuchungen auf Genebene würden zeigen, welche Gene defekt sind, um einen Tumor mit Medikamenten gezielter anzugreifen. Auch der Einsatz von Immuntherapien sei im Aufschwung. Dabei wird das körpereigene Immunsystem aktiviert, um die Krebszellen zu bekämpfen. Bei der personalisierten Medizin stehe außerdem nicht nur der Patient, sondern die ganz individuellen Faktoren der Krebserkrankung selbst im Mittelpunkt, sagt Gießen-Jung. „So können die Therapie und die Abfolge individuell geplant werden.“ Das gilt auch für die Strahlentherapie: „Jede kleinste anatomische Besonderheit wird beachtet“, sagt Sackerer. Zum Einsatz kommt bei ihr auch künstliche Intelligenz, die beim Erstellen der Bestrahlungsplanung präzise differenziert, um normales Gewebe maximal zu schonen.
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Gibt es auch bei operativen Eingriffen Neuerungen?
Ja. Mit der sogenannten Schlüssellochtechnik setzt sich der Trend zu weniger invasiven Behandlungen auch in der Chi㈠rurgie fort, erklärt Prof. Jan D‘Haese, Leiter des Darmkrebszentrums. „Bei ausgewählten Patienten mit Enddarmkrebs kann sogar nach gutem Ansprechen auf die Immuntherapie gänzlich auf eine OP verzichtet werden.“ Op den Winkel ergänzt: „Heute werden beispielsweise viele Krebsarten des Magen-Darm-Trakts auch endoskopisch behandelt.“ Der Gastroenterologe spricht sogar von „revolutionären“ Entwicklungen in der Endoskopie. Wo man früher die Dickdarm- oder Magenwand operativ entfernt hätte, müsse der Patient heute dank der Vollwandresektion bei ausgewählten Befunden gar nicht mehr aufgeschnitten werden. „Sogenannte Frühkarzinome können zudem aus der Wand herausgeschnitten werden.“ Möglich sei das dank neuer Endoskopieinstrumente. Diese kämen neben dem Dickdarm auch im Magen und in der Speiseröhre zum Einsatz.
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Wie wird sich der Kampf gegen Krebs in Zukunft entwickeln?
In den nächsten zehn Jahren rechnet Sackerer auch aufgrund der demografischen Entwicklung mit zehn bis 20 Prozent mehr Krebspatienten im Landkreis. Prof. Pihusch nennt dafür mehrere Gründe. So würden heute Patienten behandelt, bei denen Therapien früher wegen ihres Alters ausgeschlossen worden wären. Gleichzeitig werden Diagnosen früher gestellt, was – auch wegen der höheren Lebenserwartung und den besseren Behandlungsmöglichkeiten – zu einer längeren Begleitdauer führe. „Auch weiterhin sind viele Krebserkrankungen tödlich“, sagt Gießen-Jung. Betroffene seien in Agatharied auf der Palliativstation aber menschlich und fachlich gut aufgehoben. „Sie müssen nicht leiden und haben einen Ort, an dem sie sein können.“ nap