„Dialekte sind ein Kulturgut“: Stefanie Prochazka (34) über die Bedeutung von Sprache und regionale Eigenarten
Am heutigen Mittwoch ist der Tag der Muttersprache, und der ist für den Bund Bairische Sprache sowie den Bayerischen Landesverein für Heimatpflege eine gute Gelegenheit, um mal ein eher unbekanntes Thema zur Sprache zu bringen, nämlich Hochdeutsch.
Fischbachau – Dazu hat der Verein eine Infobroschüre erarbeitet. In Videos verdeutlicht die diplomierte Sprechwissenschaftlerin Stefanie Prochazka aus Fischbachau zudem die korrekte Aussprache der süddeutschen Hochsprache, denn Hochdeutsch klingt tatsächlich nicht überall gleich. Wir fragten die 34-Jährige, wie es um unseren Dialekt und unsere Sprache bestellt ist.
Frau Prochazka, hier im Oberland ist der Dialekt recht lebendig. Ist er wirklich vom Aussterben bedroht?
Ich glaube leider schon. Generell gibt es optimistische und pessimistische Einschätzungen, aber ich bin nicht so optimistisch. Vor Kurzem bin ich mit einem Zug voller Schüler gefahren, und gerade mal einer von 20 hat Boarisch geredet. Viele sagen, der Dialekt ist nicht zu retten.

Im offiziell-förmlichen Bereich setzt sich halt das Hochdeutsche durch.
Aber es gibt ja nicht nur ein einziges allgemeingültiges Hochdeutsch: Bayerns Ex-Ministerpräsidenten Horst Seehofer wurde immer nachgesagt, er spreche Dialekt. Das stimmt aber nicht. Es ist Hochdeutsch, das noch die großregionale Herkunft des Sprechers verrät. Dabei ist es deutschlandweit problemlos verständlich – sonst wäre es kein Hochdeutsch.
In einem Aufsatz haben Sie die Unterscheidung Dialekt, süddeutsche Hochsprache und Hochdeutsch so erklärt: Bua – Bub – Junge.
Stimmt. Es gibt Unterschiede in der Wortwahl, manchmal sogar in der Grammatik, vor allem aber bei den Lauten. Mal sagt man Chemie, mal Kemie, mal Schemie – das ist alles gleichwertig. Hannover, so heißt es, hat das beste Hochdeutsch. Das ist auf der Theaterbühne verbindlich, aber für die allgemeine Bevölkerung völlig überflüssig. Das Aussprachewörterbuch des Duden, das definiert, wie ein Wort ausgesprochen wird, hat 2015 Variationen aufgenommen für regionale Unterschiede wie „sonnig“ und „sonnich“. Rollendes r, stimmloses s – es gibt viele regionale Besonderheiten, und die sind erhaltenswert.
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„Unterhaltsamer Trachtenfasching“
Mit dem Verlust des Dialekts wird ja ein Identitätsverlust befürchtet. Andererseits ist die Tracht gerade bei Volksfesten omnipräsent. Das sollte das Bewusstsein für heimische Identität stärken, oder?
Auf dem Land ist Brauchtum und Tracht durchaus noch lebendig. Gleichzeitig gibt es die Tendenz, dass sie nicht mehr das normale Festtagsgewand ist, sondern Event-Mode wird. Meine Mutter sagt immer: Mit am Dirndl bist immer guad ozogn. Man kauft sich eine Tracht für diesen und jenen Anlass, zu dem man Tracht anzieht. Das Oktoberfest zähle ich da gar nicht mehr dazu. Das ist eher ein sehr unterhaltsamer Trachtenfasching.
Warum setzt sich das norddeutsche Hochdeutsch im Süden durch?
Es ist wahrscheinlich der Eindruck, dass man damit gebildet klingt. Hinzu kommt die mediale Verbreitung der norddeutschen Hochdeutschvari- ante. Und man fragt sich: Rede ich falsch? Der Süden Deutschlands hat da ein Selbstbewusstseinsproblem. Er ist viel vulnerabler, als man denkt. Auf die Frage an jemanden, ob es richtig heißt Gang oder Flur, habe ich die Antwort Flur bekommen. Die Begründung dazu hieß: Ich sage Gang, also muss es Flur heißen.
Einige Nicht-Bayern versuchen ja, Bairisch zu sprechen – mit meist mäßigem Erfolg. Begrüßenswert oder eine unerlaubte kulturelle Aneignung?
Vielleicht ist es streng genommen eine kulturelle Aneignung, aber das ist mir wurscht. Wer mag, darf bairisch reden. Ich würde mir ja wünschen, dass das Süddeutsche mehr Akzeptanz findet beim Rundfunk. Wir reden heute so viel über Toleranz und Sichtbarmachen von Vielfalt – nur nicht bei unseren innerdeutschen Sprachformen. Es ist nicht zeitgemäß, unsere Herkunft nicht mehr hörbar zu machen. Und es gibt keinen Grund, das zu verstecken, solange das Gesagte im Dialog verständlich ist. Außerdem sagt unser Grundgesetz, dass niemand wegen seiner Sprache benachteiligt werden darf.
Sie sind ja nicht nur eine Verfechterin des bairischen, sondern aller deutschen Dialekte.
Das stimmt. Es ist eine große Vielfalt, die die deutsche Sprache zu bieten hat. Ein steriles einheitliches Deutsch ist unnötig – außer auf der Bühne. Wenn die regionalen Sprachformen verschwinden, verlieren wir ein Kulturgut. Die Sprache verleiht Profil, und sie macht unser Leben bunter. Und wir müssen aufpassen, dass wir das nicht verlieren. Eine alte Nähmaschine kann ich ins Museum stellen. Das kann ich mit einer Sprache nicht. Wenn die verschwindet, ist sie für immer verloren.
ddy