Viele US-Wähler für „Abrissbirne“: Atmen Europa und die Demokraten nach Bidens Rückzug vorschnell auf?
Ob Kamala Harris oder jemand anderes – den Demokraten stehe kein Wundersieg bevor, sagt ein Experte: Europas Medien verkennen oft die tatsächliche Stimmung der Gesellschaft.
Washington, D.C. – Wie geht es weiter in den USA, nachdem Joe Biden seinen Rückzug aus der US-Wahl bekannt gegeben hat? Viele Beobachter, Expertinnen und Medien begrüßen Bidens Schritt und schreiben den Demokraten nun bessere Chancen im Präsidentschaftswahlkampf zu. Vizepräsidentin Kamala Harris steht für das Duell mit Donald Trump offenbar bereits in den Startlöchern.
Doch besonders in Deutschland werde die jüngste Nachricht aus den USA zu positiv und die Lage der Demokraten zu optimistisch bewertet, warnt der US-Experte Julian Müller-Kaler von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Der Politikwissenschaftler lebt selbst seit Jahren in Washington.
US-Wahl gegen Donald Trump ohne Joe Biden – dafür mit Kamala Harris?
Anders als viele Kommentatoren auf beiden Seiten des Atlantiks nimmt Müller-Kaler die jüngsten Ereignisse nicht per se als gute Nachricht für Trump-Gegner wahr. Biden war zwar für viele Sympathisantinnen und Sympathisanten der Republikaner ein Feindbild – doch das sei nicht das schlagende Wahl-Argument für Trump, so der Experte.
Noch 2016 gaben viele Wählerinnen und Wähler in Umfragen an, nicht für Trump, sondern eher gegen die demokratische Kandidatin Hillary Clinton gestimmt zu haben. Nun – acht Jahre später – hat Trump offenbar Millionen Menschen von sich überzeugt: „Die Menschen stimmen laut Umfragen mittlerweile für Trump und nicht gegen Biden“, sagt Müller-Kaler.
US-Experte: Trump ist kein Protest-Kandidat mehr
Eben dieser Punkt werde in Analysen über die USA oft vernachlässigt, meint der DGAP-Experte: „Trumps Beliebtheit bei den Amerikanern geht weit über die Unbeliebtheit Bidens hinaus.“ Entsprechend greife auch Begeisterung über Bidens Rücktritt zu kurz. Denn unabhängig davon, ob die Gegnerin Harris heißt oder es ein anderer Demokrat wird: Wer Trump bereits aktiv unterstützt, werde sich nicht mehr von den Demokraten umstimmen lassen, so die Prognose. „Das wird sich nicht ändern, egal, wer für die Demokraten antritt.“
Doch wie schaffte es Donald Trump, Millionen von Protest-Wählern zu treuen Unterstützern zu machen? Entgegen mancher Vermutungen sei das nicht trotz, sondern wegen Trumps Ankündigungen, das politische System radikal zu verändern, passiert, sagt Müller-Kaler. „Das Vertrauen vieler Amerikaner in die politischen Prozesse des Landes und Washingtons ist mittlerweile so erschüttert, dass viele es begrüßen, wenn Trump dort mit der Abrissbirne durchpflügt.“
Trumps Unterstützer werden bei der US-Wahl nicht wanken – „egal, wer für die Demokraten antritt“
Die Unzufriedenheit mit „der Politik“ ist in den USA nicht erst seit Joe Biden groß, die Spaltung der Gesellschaft wächst seit Jahren – nicht zuletzt, weil Trump und die Republikaner diese massiv befördern. Aber auch die Demokraten teilen häufig in „wir“ und „die anderen“ ein. In der polarisierten Nation reiche die Zustimmung für Trump in weite gesellschaftliche Bereiche hinein, sagt der Experte.
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Biden hat seinen Wahlkampf mit dem Narrativ versehen, die amerikanische Demokratie vor Trump schützen zu wollen. Diese Strategie hält Müller-Kaler für „wahnsinnig riskant“ – gerade weil so viele Menschen Trump unterstützen. „Man kann eine Demokratie nicht gegen ihre eigenen Bürger verteidigen.“ Ob die künftige Kandidatin oder der künftige Kandidat diese Strategie ändern wird, ist völlig offen.
Unabhängig davon, wer letztlich für die Demokraten antritt (Mitte August findet der Nominierungsparteitag statt), entscheiden wird sich die US-Wahl in wenigen Swing States. Pennsylvania, Michigan und Wisconsin werden im November wohl den Ausschlag für die Präsidentschaft geben. Laut Meinungsforschern ist gerade Kamala Harris in diesen drei Staaten aber nicht beliebter als Joe Biden.