Der Wettlauf um die Kernfusion: „Deutschland ist der beste Standort für uns“

Im kalifornischen Lawrence-Livermore-Labor gelang 2022 ein Forschungsdurchbruch, der vielerorts unbemerkt blieb. Erstmals wurde beim Verschmelzen von Atomkernen – der sogenannten Kernfusion – mehr Energie gewonnen als verbraucht. 

Im Gegensatz zur Kernspaltung, wie sie etwa in Atomkraftwerken angewandt wird, gilt die Kernfusion als absolut sicher und hinterlässt auch keine giftigen Abfälle. Wenn es also gelänge, ein praktikables Verfahren für diese Kernfusion zu entwickeln, hätte die Menschheit prinzipiell eine Methode zur unendlichen Produktion von umweltfreundlicher Energie gewonnen.

Mit dem Forschungsdurchbruch von Livermore war der Traum von der unendlichen Energie plötzlich kein Hirngespenst mehr, sondern greifbare Realität. Seit Jahren schon ist ein weltweites Wettrennen im Gange, wer es schafft, den ersten funktionierenden Kernfusionsreaktor zu bauen.

Heißt der Sieger am Ende Deutschland? Die Chancen dafür stehen gar nicht schlecht. Forschungslandschaft, Fachkräfte und Industrie machen die Bundesrepublik zu einem der Spitzenreiter in der Kernfusion, eine Reihe von Startups werkelt schon seit Jahren an der Technologie. Am Mittwoch will die Bundesregierung die sogenannte „High Tech Agenda Deutschland“ verabschieden, Ziel: Das erste Fusionskraftwerk der Welt soll in Deutschland stehen.

Solche großen Ambitionen kommen in der Branche gut an. Es müsse aber noch einiges dafür getan werden, dass die Träume auch Realität werden können, mahnen die drei führenden deutschen Fusionsunternehmen Proxima Fusion, Marvel Fusion und Focused Energy in einem neuen Positionspapier – und richten deutliche Forderungen an die Politik. 

FOCUS online Earth hat die drei Unternehmen zum runden Tisch geladen: Was braucht es, damit Deutschland zum Kernfusion-Champion wird? Wie lange müssen wir noch warten? Und werden wir für die Kernfusion eines Tages unsere Windräder abreißen? Ein Gespräch mit Heike Freund von Marvel Fusion, Francesco Sciortino von Proxima Fusion und Günter Kraft von Focused Energy.

Von links nach rechts: Günter Kraft (Focused Energy), Francesco Sciortino (Proxima Fusion), Heike Freund (Marvel Fusion)
Von links nach rechts: Günter Kraft (Focused Energy), Francesco Sciortino (Proxima Fusion), Heike Freund (Marvel Fusion) Lucia Piloth/FOCUS online Earth

FOCUS online Earth: Frau Freund, Herr Sciortino, Herr Kraft, Sie wetteifern miteinander um den Bau des ersten Kernfusionsreaktors in Deutschland, vielleicht sogar weltweit. Wie oft sitzen Sie eigentlich zusammen in einem Raum?

Heike Freund: Sehr oft! (alle lachen)

Francesco Sciortino: Wir kennen uns tatsächlich sehr gut. Die Philosophie in weiten Teilen der Fusionsindustrie ist, dass unser Hauptkonkurrent die Zeit ist, und nicht andere Firmen innerhalb der Branche. Wenn es einer schafft, dann hilft das auch den anderen. Deshalb rufen wir gemeinsam dazu auf, dass Deutschland in der Kernfusion vorangeht.

Günter Kraft: Der Energiemarkt wird sich in den nächsten 20 Jahren verdreifachen. Es gibt genug Marktanteile für alle.

Der Energiemarkt der Zukunft ist auch etwas, das die Bundesregierung derzeit beschäftigt. Am Mittwoch will das Kabinett die sogenannte Hightech-Agenda Deutschland verabschieden, mit der auch die Kernfusion besonders gefördert werden soll. Wie hoch stehen die Chancen, dass Deutschland ein führender Standort für die Kernfusion wird?

Kraft: Also, wir haben auf jeden Fall die Industrie, die wir dafür brauchen. Jetzt geht es darum, dass wir sie stärken und befähigen. Die entscheidende Frage ist, ob wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um die Technologie auch in einem Kraftwerk zur Anwendung zu bringen. Da geht es vor allem um Regulierung und Vorschriften. Aber an sich ist alles vorhanden. Deutschland ist europaweit führend, und Europa schaut derzeit sehr genau auf Deutschland, was wir mit diesem Vorteil machen. Wir stehen unter Beobachtung

Sciortino: Ich bin auf jeden Fall nicht wegen des Wetters nach Deutschland gekommen. Deutschland ist der beste Standort für das, was wir tun.

Kraft: Als das Livermore-Institut in Kalifornien vor einigen Jahren seinen großen Kernfusions-Durchbruch geschafft hat, gelang das mit deutscher Technologie. Das Glas für die Laseranlage kam vom Unternehmen Schott aus Mainz. Das Maschinenbau-Unternehmen Trumpf war auch beteiligt.

Freund: Ich denke, wir sind uns einig, dass die industrielle Basis hier vorhanden ist, ebenso wie die Fachkräfte. Und wir freuen uns natürlich sehr über das ambitionierte Ziel der Bundesregierung, dass das weltweit erste Fusionskraftwerk in Deutschland gebaut werden soll. Aber wir sehen auch, dass Deutschland jetzt einige konkrete Maßnahmen ergreifen muss, um dieses Ziel auch zu erreichen. Deswegen haben wir unser Positionspapier veröffentlicht.

Zu den Personen

Heike Freund ist Chief Operating Officer von Marvel Fusion in München.

Francesco Sciortino ist CEO von Proxima Fusion, ebenfalls in München. 

Günter Kraft ist Communication & Government Affairs Officer von Focused Energy in Darmstadt.

Was muss Ihrer Ansicht nach passieren?

Freund: In den USA und in Großbritannien kann man zum Beispiel sehen, dass die Kernfusion dort mittlerweile anders reguliert wird als die Kernspaltung. Das ist auch sinnvoll, weil die Kernfusion im Gegensatz zur Spaltung komplett sicher ist. In Deutschland ist die Regulierung aber noch die Gleiche, und das nimmt natürlich die Planungssicherheit für private Investments. Da könnte die Bundesregierung ein großes Zeichen setzen. Aber auch darüber hinaus brauchen wir Anreizsysteme, die mehr privates Kapital anziehen. Andernfalls werden all das Know-How und das gesamte industrielle Ökosystem nicht dazu führen, dass Deutschland das erste Kraftwerk in Betrieb nimmt. Das wäre superschade!

Sciortino: Das Spiel läuft jetzt, nicht irgendwann in der Zukunft. Anfang der 2030er wollen wir die ersten Reaktoren an den Start bringen. Wenn die Bundesregierung diesen deutschen Forschungsvorsprung nutzen will, dann muss sie jetzt handeln. Sonst könnte das wieder so eine Geschichte werden, in der Deutschland das geistige Eigentum entwickelt, es dann aber in anderen Ländern umgesetzt wird.

Das ist eine Kritik, die man oft in der Greentech-Branche hört: Wir sind nach wie vor gut darin, neue Dinge zu erfinden, aber irgendwie haben wir verlernt, diese Dinge zu Geld zu machen.

Kraft: Das ist ein sehr guter Punkt. Wie gehen wir in Deutschland mit "Deep Tech" um? Bevor wir überhaupt mit etwas beginnen, legen wir schon mal Vorschriften fest. Typisch deutsch. Als erstes hat man eine Idee, und als zweites reguliert man diese Idee. Das macht die Sache nur unnötig teuer. Mit Bitcoin hat man das anders gemacht, mit E-Rollern sowieso, gewissermaßen auch mit Erneuerbaren Energien. Das sollten wir öfter tun.

In Ihrem Positionspapier plädieren Sie für staatliche Förderungen in Höhe von drei Milliarden Euro. Das wird nur schwer zu vermitteln sein angesichts der momentanen Haushaltslage.

Kraft: Ja, das höre ich oft: Oh, ihr braucht so viel Geld. Ja, aber wer bekommt das Geld am Ende denn? Das sind doch nicht wir. Das ist die deutsche Industrie! All die teuren Laser und Magnete müssen schließlich hergestellt werden. Das ist also eine direkte Investition in die deutsche Industrie.

Freund: Der Grund für unsere Bitte ist, dass wir eine massive Finanzierungslücke im Bereich Deep Tech sehen, nicht nur bei der Kernfusion, sondern in vielen Branchen. Wir haben mittlerweile ein gesundes Ökosystem in Deutschland, was Investoren für Startups angeht. Aber in Bereichen wie dem unseren reichen 100 Millionen Euro nicht, um eine Pilotanlage zu bauen. . Anders als in den USA gibt es in Europa keine Risikokapitalgeber, die so ein Investment stemmen könnten.

Aber das ändert ja nichts daran, dass Sie den Staat um drei Milliarden Euro bitten. Auch für den ist das eine Menge Geld.

Sciortino: Ich glaube, es gab noch nie einen Moment, an dem so eine Förderung sinnvoller war als jetzt. Man muss die Summe als Investition in die Zukunft betrachten.

Kraft: Man muss sich ja auch anschauen, wofür wir sonst Fördergelder ausgeben. Ich liebe zum Beispiel Solarenergie, ich habe selber eine Solaranlage auf meinem Haus. Ich finde auch Windkraft super. Aber wohin fließen dort im Endeffekt die Fördergelder? Nach China. Denn dort werden die Anlagen gebaut. Wir haben jetzt die Chance, tatsächlich die heimische Industrie zu subventionieren.

Gewissermaßen sagen Sie also auch: Wenn die Bundesregierung es wirklich ernst meint, dann muss sie ehrlich mit sich selbst sein, dass es teuer wird?

Freund: Ja. Ambitionen zu haben ist gut, aber man muss auch eine Strategie haben.

Sciortino: Ich stelle immer die Frage: Welche Alternative hat Deutschland denn? Kernkraft? Nein. Aus Kohle und Gas wollen wir aussteigen. Wind- und Solarenergie helfen uns in der Industrie nicht weiter. Was ist also die Alternative?

Freund: Es kostet ja auch Milliarden, ein Gaskraftwerk zu bauen. Oder Gas aus dem Ausland zu importieren.

Wollen gemeinsam die Kernfusion in Deutschland voranbringen: Günter Kraft (Focused Energy), Francesco Sciortino (Proxima Fusion), Heike Freund (Marvel Fusion, von links nach rechts)
Wollen gemeinsam die Kernfusion in Deutschland voranbringen: Günter Kraft (Focused Energy), Francesco Sciortino (Proxima Fusion), Heike Freund (Marvel Fusion, von links nach rechts) Lucia Piloth/FOCUS online Earth

Angenommen, der Staat liefert die nötige finanzielle Unterstützung und auch die Probleme mit der Bürokratie lösen sich in Wohlgefallen auf: Wie groß sind dann die Chancen, dass Deutschland den ersten funktionierenden Fusionsreaktor baut? Und von welchem Zeitrahmen sprechen wir da?

Sciortino: Ich würde sagen, das Ziel ist es nicht, irgendeinen Reaktor zu haben, sondern etwas, das auch rentabel ist. Die Fusionsindustrie steckt noch in den Kinderschuhen, und wir in Deutschland werden höchstwahrscheinlich nicht das Rennen um das erste funktionierende Gerät gewinnen. Der Kampf ist vorbei. Aber wir können durchaus die Ersten sein, die das machen, was am Ende wichtig ist: Eine ganze Kernfusions-Branche aufzubauen und das erste Fusionskraftwerk herzustellen, das wirklich wirtschaftlich ist. Das könnte noch innerhalb der 2030er geschehen.

Kraft: Um Ihnen mal eine Vorstellung zu geben: Unser Unternehmen wurde eigentlich in den USA gegründet. Aber jetzt sind wir dabei, ein vollständig deutsches Unternehmen mit einer amerikanischen Tochtergesellschaft zu werden und machen gerade den Flip nach Deutschland. Warum machen wir das? Weil wir glauben, dass Deutschland das Rennen gewinnen kann.

Es gibt da diesen alten Witz, dass die Kernfusion nur noch 30 Jahre von der Machbarkeit entfernt ist, und das schon seit 60 Jahren. In den letzten Jahren aber ist ein neuer Optimismus aufgekommen, der ja auch zur Gründung Ihrer Unternehmen geführt hat. Was genau ist passiert, dass der Traum von der Kernfusion plötzlich sehr viel realistischer wirkt?

Kraft: Dieser Forschungsdurchbruch in den USA war wirklich sehr wichtig. Erstmals wurde dort gezeigt, dass mit der Kernfusion Energie gewonnen werden kann. Diese Frage ist jetzt also Vergangenheit, Schluss, aus, fertig. Jetzt ist es eine Aufgabe für Ingenieure und keine mehr für Forscher. Das verändert vieles. 

Freund: Wir haben auch viele technologische Durchbrüche erlebt. Die Laser, die wir jetzt verwenden, gab es vor fünf oder zehn Jahren noch gar nicht. Und die Marktumgebung ist eine andere. Die Welt hat noch nie so dringend Fusionsenergie gebraucht wie jetzt. Der Energiehunger durch Datenzentren könnte gewaltig werden, und viele Staaten wollen sich unabhängiger machen, wenn es um Energieerzeugung geht. Deswegen sieht man jetzt, dass sich Regierungen bei dem Thema viel mehr engagieren.

Sciortino: Für uns war 2022 ein Wunderjahr. Plötzlich gab es überall diese technologischen Durchbrüche, nicht nur in Kalifornien, sondern auch zum Beispiel beim Forschungsreaktor Wendelstein 7-x hier in Deutschland. Parallel dazu sinken plötzlich die Preise für Hochtemperatur-Supraleitband auf ein Fünftel. Dieser Rückenwind hat der ganzen Welt gezeigt, dass die Fusionsbranche eine Branche ist, in die man investieren kann. In gewisser Weise haben die Risikokapitalgeber nur auf ein Startsignal gewartet.  

Es gibt jedoch noch einige Hürden zu überwinden, etwa die Massenproduktion des seltenen Brennstoffes Tritium, oder die Entwicklung von Magneten, die leistungsstark genug sind. 

Sciortino: Ja, es gibt noch einige Herausforderungen. Bei uns sind das zum Beispiel diese hochtemperatur-supraleitenden Magnete, die wir benötigen. Das sind unglaublich komplizierte Biester (alle lachen). Diese Technologie wird definitiv kommen, aber wenn das erst in zehn Jahren der Fall ist, dann ist das zu spät. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. Die Tritium-Produktion ist nochmal ein anderes Problem. Da ist wichtig zu verstehen, dass Tritium in der Natur nur extrem selten vorkommt, wir müssen es also selbst herstellen. Das können wir nicht einfach aus einem Bergwerk beziehen. Wir werden genug Tritium haben, definitiv – aber für viele Leute ist es natürlich ein beängstigender Gedanke, dass wir versuchen, eine ganze Industrie auf etwas aufzubauen, das es noch nicht gibt.

Freund: Irgendwann muss man sich von den Whiteboards und Powerpoint-Präsentationen auch mal verabschieden. Dann muss man Lasersysteme und Magnete bauen, weil es wichtig ist, diese Bausteine auch mal zu demonstrieren. Und die zweite große Herausforderung wird dann sein, diese Bausteine auch in ein Kraftwerk zu integrieren. Ich bin Ingenieurin, ich weiß, wie schwierig das ist. Aber es gibt so viele Dinge, die wir erst dann herausfinden werden, wenn wir sie tatsächlich in die Tat umsetzen. Das Schöne ist aber, dass wir bei solchen Dingen in Deutschland sehr gut sind. 

Integration ist ein gutes Stichwort. Wie würde sich ein funktionierendes Kernfusionskraftwerk in das deutsche Energiesystem integrieren? Bundeskanzler Merz äußerte während des Wahlkampfes den Traum, dass man Windkraftanlagen vielleicht wieder abreißen könne, wenn wir Kernfusion haben. Wird die Kernfusion die Erneuerbaren Energien einmal ersetzen? 

Kraft: Nein, Kernfusion wird die Erneuerbaren Energien nicht ersetzen. Es geht darum, Grundlast bereitzustellen und sie zu stabilisieren. Wir ziehen auch die Nutzung der Abwärme in Betracht, die bei der Kernfusion entsteht. Da sprechen wir schon mit einigen Unternehmen, ob wir nicht ihr Wärmeversorger sein können. Wir können mit der Energie auch grünen Wasserstoff herstellen. Da gibt es einige zusätzliche Szenarien. 

Sciortino: Ich glaube, wer vom „Ersetzen“ spricht, geht schon falsch an das Thema heran. Wir haben nicht genug Energie! Wer glaubt, dass wir es uns leisten könnten, Energiequellen zu „ersetzen“, malt sich eine Realität aus, die es nicht gibt. Unternehmen wie Amazon, Google oder Microsoft kaufen nicht so viel Energie, weil ihnen die Farbe der Kraftwerke so gut gefällt, sondern weil sie die Energie dringend brauchen. Ich hoffe also nicht, dass Windräder abgerissen werden (lacht). Hoffentlich bleiben sie stehen und jemand verdient Geld mit ihnen – damit wir noch mehr von ihnen bauen. 

Freund: Der Markt wird wachsen, und ich glaube, dass man im Idealfall über eine gewisse Grundlast-Kapazität und über erneuerbare Energien verfügen wird. Insofern glaube ich, dass die Kernfusion die ideale Ergänzung zu Wind und Solar sein wird. Also nein: Es geht nicht darum, andere Formen erneuerbarer Energie zu ersetzen. Wenn wir jemals an diesen Punkt kommen, an dem wir gewissermaßen zu viel Energie haben, dann können wir uns glücklich schätzen. Aber ich glaube nicht, dass das in Deutschland in den nächsten Jahren der Fall sein wird.

Frau Freund, Herr Sciortino, Herr Kraft, vielen Dank für das Gespräch.

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