Zufällig entdeckt: Ebersberg war KZ-Außenlager
Der Ebersberger Ex-Stadtrat Robert Schurer (66) ist durch Zufall darauf gestoßen: Seine Heimatstadt war im Dritten Reich Außenlager des KZ Dachau. Im Forst wurden fliehende KZ-Häftlinge erschossen.
Ebersberg – Robert Schurer (66) ist waschechter Ebersberger, seine beiden Eltern wurden in Ebersberg geboren. 28 Jahre lang saß er im Stadtrat und gestaltete die Geschicke seiner Heimatstadt mit. Eigentlich dachte Schurer, dass er auch in der neueren Geschichte des einstigen Marktfleckens einigermaßen sattelfest ist. Eigentlich.
Doch dann stieß er bei einem Besuch des Hauses der Bayerischen Geschichte in Regensburg auf den Hinweis, dass Ebersberg im Dritten Reich Außenlager des KZ Dachau war. „Dass ich als gebürtiger Ebersberg davon keine Kenntnis hatte, überraschte mich nicht nur, sondern beschämte mich“, sagt Schurer. Er beginnt zu recherchieren und beschließt: „Das Thema soll ein Thema werden.“ Es könne nicht in Ordnung sein, dass sich Ebersberg keine Gedanken macht, wie man mit dem Erinnern an KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter umgeht.

Schurer steigt hinab in die dunkle Epoche und zerrt schreckliche Ereignisse ans Tageslicht, die bald 80 Jahre zurückliegen. Schnell wird ihm klar, dass seine Nachforschungen auch ein Wettlauf mit der Zeit werden. Leben heute noch Zeitzeugen oder Häftlinge, die über ihre Erinnerungen berichten können? Die Archive, in die Schurer hinabtaucht, geben nicht viel her. Denn die gezielte Vernichtung von Akten am Ende des Hitler-Faschismus hat auch in Ebersberg stattgefunden. Und: Das Massenphänomen Zwangsarbeit in der NS-Herrschaft „ist auch bei uns nicht durchgängig erforscht“.
Der Pole Marian Majewski in Ebersberg: Wer war dieser Mann?
Schurer stößt auf den Namen Marian Majewski. Es handelt sich um einen damals 25-jährigen Mann aus Polen, der in das Konzentrationslager Dachau, Kommando Ebersberg, eingeliefert wurde. Wer war dieser Mann? Ein KZ-Häftling? Ein Zwangsarbeiter? Der Ebersberger kann diese Frage nicht eindeutig klären, zu dünn ist die Materiallage. Festzustehen scheint, dass dieser einzelne Mann für die Nazis den Begriff „Außenlager“ rechtfertigte. In der Doktorarbeit der Münchner Historikerin Sabine Schalm mit dem Titel „Überleben durch Arbeit?“, die Schurer zitiert, heißt es: „68 der 94 Dachauer Außenkommandos waren mit weniger als 50 Häftlingen besetzt. Davon bestanden allein 29 mit bis zu zehn Häftlingen. Schon ein einzelner Häftling konnte als eigenständiges Außenlager geführt werden.“ Dies sei in Ebersberg der Fall gewesen.
Warum erinnert nichts an diese Opfer des Nationalsozialismus?
Schurer findet ein Dokument, in dem der Bürgermeister des Marktes Ebersberg einen KZ-Häftling „anfordert“. Am wahrscheinlichsten sei, dass der Häftling tatsächlich für Arbeiten in der Marktgemeinde bestimmt war. „Ob die Einzelabstellung eines KZ-Häftlings indessen für andere Zwecke geplant war bzw. die Arbeiten für einen sonstigen privaten Bereich durchgeführt werden sollten, ist zwar denkbar, lässt sich aber nicht belegen“, sagt Schurer. „Der genaue Arbeitseinsatz eines KZ-Häftlings für den Markt Ebersberg bleibt aufgrund der fehlenden Dokumentenlage also völlig unklar.“
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Im Dienstbotenverzeichnis Steinhörings taucht der Name nach Kriegsende auf
Wo wurde der Pole eingesetzt? Wie wurde er von den Ebersbergern behandelt? Fragen über Fragen, die Schurer zu beantworten versucht. Dennoch bleibt die Biografie des Mannes rätselhaft. Im Dienstbotenverzeichnis der Gemeinde Steinhöring aus dem Jahr 1945 stößt er auf einen wichtigen Hinweis: Darin wird Marian Majewski vom 16. Juni bis 4. Juli 1945 bei einem landwirtschaftlichen Anwesen in Schechen/Tulling geführt unter der Bezeichnung „DP“. DP steht für Displaced Persons (heimatlose Personen). So bezeichneten die Amerikaner nach Kriegsende KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter, die nach Deutschland verschleppt worden waren. „Einer davon war folglich Marian Majewski“, sagt Schurer.
Geschichtswerkstatt
Robert Schurer und Bürgermeister Ulrich Proske laden im Zusammenhang mit Schurers Recherchen zu einer Geschichtswerkstatt ein. Zu Wort kommen sollen vor allen Dingen die älteren Ebersberger, die über die Zeit reden können. Vielleicht gibt es auch Ebersberger, die von ihren Eltern oder Großeltern dazu etwas mehr erfahren haben. Die Werkstatt findet am Mittwoch, 9. Oktober, 14.30 Uhr im Bürgersaal „Unterm First“ (Klosterbauhof) statt.
Im Dritten Reich wurden Millionen Menschen deportiert, um im Reichsgebiet Zwangsarbeit zu leisten. Schurer geht davon aus, dass im Landkreis Ebersberg mehrere tausend Menschen betroffen waren. Sie arbeiteten vornehmlich in der Landwirtschaft. Zu den konkreten Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter findet Schurer ein spärliches Papier im Staatsarchiv. „Bekannt ist, dass durch die strengen Anordnungen und Regeln der Nazis besonders Menschen aus Russland und Polen sowie osteuropäische Zwangsarbeiter diffamiert werden sollten.“
Zwangsarbeiter in Kiesgrube exekutiert
Bernhard Schäfer, Historiker, Kreisarchivar und Museumsleiter in Grafing, sowie Erich Schechner, Mitarbeiter des Ebersberger Stadtarchivs, unterstützten Schurer bei seiner Arbeit. Sie berichteten 2023 in Ebersberg über das Schicksal des 22-jährigen ukrainischen Zwangsarbeiters Gabriel Poselenyk. Ihm wurde ein Sexualdelikt zur Last gelegt. Ohne gerichtliches Verfahren wurde er 1944 von der Gestapo in einer Ebersberger Kiesgrube hingerichtet. Die nationalsozialistischen Machthaber duldeten keinen Liebesbeziehungen von Zwangsarbeitern zu deutschen Frauen.

Bei seinen Recherchen stieß Schurer in der Dokumentation des Landkreises Ebersberg auf das Kriegstagebuch der US-Verwaltung. Unter dem 24. August 1945 fand sich folgender Eintrag: „Im Ebersberger Forst wurden fünf Leichen von KZ-Häftlingen gefunden. Sie waren an Händen und Füßen gefesselt und ihnen wurde in den Hinterkopf geschossen“. Schurer ordnet diesen grausamen Vorfall so ein: „In den letzten Kriegswochen befanden sich mindestens 250 000 KZ-Häftlinge auf Todesmärschen. Die SS wollte verhindern, dass amerikanische, sowjetische, französische oder britische Truppen die Konzentrationslager mit den geschundenen Häftlingen vorfinden.“ Der Ebersberger erinnert an das Massaker von Poing. Hier war am 27. April 1945 ein Güterzug wegen eines technischen Defekts zum Stehen gekommen. Häftlinge entkommen aus dem Zug und fliehen in alle Richtungen. Soldaten und auch Zivilisten nehmen die Jagd auf nach den Entflohenen auf. Mindestens 50 werden getötet, über 200 verletzt und wieder in den Zug gedrängt.
KZ-Häftlinge im Forst nördlich von Anzing getötet
Die aus Poing geflohenen KZ-Häftlinge haben zum Teil auch den Weg in den Ebersberger Forst gewählt, ist sich Schurer sicher. Einige seien von Wachmannschaften und Polizei entdeckt worden, andere hätten sich verstecken können. „Einige KZ-Häftlinge wurden – vermutlich am 28. April 1945 – im Forst nördlich von Anzing getötet“, schreibt Schurer.
Er bedauert, dass es in Ebersberg nichts gibt, „was an die Häftlinge von damals oder die grausamen Morde im Ebersberger Forst erinnert“. Niemand könne zum Erinnern und Gedenken gezwungen werden, sagt der 66-Jährige. Dass in den ersten Jahren nach dem Krieg Verdrängung und Orientierungslosigkeit stark ausgeprägt waren, sei zwar nicht richtig gewesen, aber zu erklären. Aber heute – bald 80 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft? „Warum erinnert nichts an diese Opfer des Nationalsozialismus?“, fragt Schurer.