Abschaffung des Acht-Stunden-Tags: Umfrage fällt klares Urteil zu Merz-Plan
Kanzler Friedrich Merz wünscht sich mehr Arbeitsstunden pro Tag. Seine Bürger hingegen halten dies mehrheitlich für eine schlechte Idee.
Wiesbaden – Regelmäßig Zwölf-Stunden-Schichten schieben? Das plant die neue Bundesregierung für deutsche Beschäftigte. Das Vorhaben, die tägliche Arbeitszeit von maximal acht Stunden gegen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit auszutauschen, ist nicht unumstritten. Obwohl Verbände und Arbeitgeber den Vorstoß begrüßen, stellt sich die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Merz-Pläne, wie eine aktuelle Umfrage bestätigt.
Geringe Arbeitszeit? Deutschland im EU-Vergleich im Mittelfeld
Die Debatte um die Einführung der Wochenarbeitszeit erhitzt sich mehr und mehr. Während führende Politiker und Arbeitgeber der mangelnden Bereitschaft zu Arbeiten die Schuld an der wirtschaftlichen Dauerkrise geben, waren noch nie so viele Menschen in der Bundesrepublik erwerbstätig wie jetzt. Die Ansage des CDU-Kanzlers Friedrich Merz: „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, stößt daher bei Gewerkschaften und Beschäftigten auf Unverständnis.
Den Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge weisen die Deutschen im internationalen Vergleich bei Vollzeitbeschäftigten 40,2 Stunden pro Woche auf, was etwa dem Durchschnitt entspricht. Rechnet man die hohe Teilzeitbeschäftigungsquote gegen, die vor allem Frauen betrifft, sinkt die durchschnittliche Arbeitszeit aber auf 34,8 Stunden pro Woche ab – der EU-Durchschnitt zeigt hingegen eine Wochenarbeitszeit von 37,1 Stunden.
Doch die Arbeitszeit als Faktor ist allein nicht aussagekräftig, bemängeln Experten. Viel wichtiger ist, was in dieser Arbeitszeit geschafft wird. Dazu wird die Arbeitsproduktivität hinzugezogen, also die Arbeitszeit ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung pro Person. Im Jahr 2024 betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut Destatis 45.566 Euro pro Kopf, wodurch Deutschland im internationalen Vergleich zu den produktiveren Staaten zählt.

Wochenarbeitszeit: Bürger lehnen Merz-Modell mehrheitlich ab
Eine Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kam zu dem Ergebnis, dass mit der geplanten Umstellung Arbeitstage von bis zu zwölf Stunden und 15 Minuten zustande kämen. Dies könnte sogar zu einem wirtschaftlich kontraproduktiven Effekt führen, weil Gesundheitsrisiken, Krankheitstage und Druck auf Familien erhöht würde. „Es geht wohl eher darum, rechtlich fragwürdige Geschäftsmodelle zu legalisieren, wie regelmäßige Zwölf-Stunden-Schichten bei Subunternehmern im Paketdienst oder die fehlenden Ruhezeiten im Hotel- und Gastgewerbe“, sagte Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Yasmin Fahimi der Rheinischen Post.
Bundesbürger können sich ebenso wenig für den Merz-Vorstoß begeistern. Wie eine aktuelle Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) zeigt, sprechen sich 73 Prozent der Beschäftigten hierzulande gegen die unbegrenzte tägliche Arbeitszeit aus. IAB-Ökonom Enzo Weber hält die Wochenarbeitszeit als Mittel zur Produktivitätssteigerung für wenig zielführend. Nach Ansicht des Ökonomen ändere sich dadurch die Menge der erlegten Arbeiten pro Stunde kaum. „Flexibilität bietet Chancen für Betriebe und Beschäftigte – aber auch Risiken“, sagte er dem Handelsblatt.
Mehr Flexibilität und Anreize: Teilzeitbeschäftigte bereit, mehr zu arbeiten
Angesichts der hohen Teilzeitquote steckt noch viel Potenzial für die Erhöhung von Arbeitsstunden, ohne Menschen durch lange Arbeitstagen zu belasten. Etwa 33 Prozent der Teilzeitbeschäftigten meinen laut IAB-Umfrage, sie würden ihre Stundenanzahl dauerhaft erhöhen, wenn Aussicht auf eine Prämie besteht. Im Durchschnitt könnten somit sechs Stunden pro Woche herausgeholt werden. Vor allem bei Frauen sei die Bereitschaft da, mehr zu arbeiten – unter der Voraussetzung, dass eine flexible Kinderbetreuung geboten wird. „Die Bundesregierung kann darauf aufbauen, indem sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter stärkt, etwa durch kluge Arbeitszeitmodelle, die planbare und maßvolle Tagesarbeitszeiten fördern“, erklärte Yvonne Lott, Arbeitszeitexpertin der Hans-Böckler-Stiftung.
Aus der IAB-Umfrage geht außerdem hervor, dass 34 Prozent der Befragten bereit wären, an einzelnen Tagen mehr als zehn Stunden pro Tag zu arbeiten. Auch hätten 45 Prozent der Vollzeitbeschäftigten nichts dagegen, gegen steuerfreie Zuschläge mehr Überstunden als bislang zu leisten. „Die Politik muss Anreize dafür schaffen, um die jeweiligen Gruppen zu motivieren“, kommentierte Ökonom des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Holger Schäfer, die Debatte. Auch Kanzler Merz bestätigte bereits: „Mehr Freiheit, mehr Anreize für Engagement und eigene Anstrengung schaffen wir auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“.