Malen mit Nadel und Faden: Handsticker-Meisterin kombiniert Handwerk und Kunst
Eigentlich wollte Claudia Gallmeier-Hagl (47) Tänzerin werden. Aber ihre Mutter – selbst Handstickerin – drängte sie, erst ein Handwerk zu lernen. Sie blieb dabei und ist heute Handstick-Meisterin.
Haar – Fesch sieht sie aus mit ihrer blauen Brille und der tollen Halskette, umgeben von Stoffballen, Tüchern, Schnittmustern, Lederhosen und unzähligen Garnen. Ihre Werkstatt hat sie im Wintergarten des Haarer Reihenhauses.
Zügig bewegt sie die Nadel auf und ab. Für eine Burschenvereinigung reparierte sie gerade deren Fahne mit kunstvoller Verzierung. Für eine Braut hat sie einen Schleier schön verziert. Nun liegt ein Taufkleid aus dem Jahr 1933 vor ihr. „Vor 90 Jahren wurde in diesem Kleid das erste Kind der Familie getauft, jetzt ist es schon die 28. Wolke, die ich aufnähe und mit dem Namen des Kindes besticke.“ So einen alten, filigranen Stoff, den könne man nur von Hand bearbeiten, eine Maschine würde das Leinengewebe schon beim Einspannen zerreißen.
Altes Handwerk in Vergessenheit geraten
Viele Aufträge bekommt sie von Menschen, die alte Stoffe reparieren oder verschönern lassen wollen. Das alte Handwerk sei in Deutschland etwas in Vergessenheit geraten, ganz im Gegensatz etwa zu England, Spanien, Russland.
Ihre Mutter Rosa lernte die Handstickerei in Südtiroler Klöstern. Tochter Claudia schaute sich zu Hause die verschiedenen Techniken ab. „Mit fünf Jahren habe ich mein erstes Deckchen genäht und gestickt, das habe ich heute noch. Es gefiel meiner Mutter recht gut, und so stand unser Entschluss schon lange fest, dass ich das einmal lernen sollte.“ Nach der Mittleren Reife vermittelte ihr die Mutter eine Lehrstelle „beim Beschke in Garching an der Alz, sonst gab es ja keine Handstickereien mehr in Bayern.“ Direkt nach der Lehre machte sie sich mit einer Sondergenehmigung der Handwerkskammer auch ohne Meistertitel selbstständig. „Das gefiel meinem Lehrbetrieb gar nicht, die hätten mich gern gehalten.“ So musste sie in zwei Jahren die Meisterin machen, dabei half ihr Anemone Schneck-Steidl.
Als Meisterstück ein Stillleben
Schneck-Steidl lehrte an der Münchner Kunstakademie, verschönerte einige U-Bahn-Stationen mit Stickereien und praktizierte die alte Kunst des „Malens mit Nadeln“. Gallmeier-Hagl stickte als Meisterstück einen Teller mit Obst, daneben Wein, einen Kohlrabi und verschiedene Schriftzüge. 44 Sticktechniken wendete sie dabei an. „Wenn ich schon so eine Mäzenin hatte, musste das Meisterwerk harmonisch, künstlerisch und ethisch hochwertig sein.“ Das meiste, sagt Gallmeier-Hagl, habe sie jedoch bei ihrer Mutter gelernt.
Heute betreibt sie mit ihrer Paramenten- und Fahnenstickerei ein Handwerk, das viele für überholt halten. Paramente sind Kirchengewänder, früher wurden sie von Klosterschwestern in mühevoller Arbeit mit Stickereien verziert. Zu Anfang ihrer Selbstständigkeit stellte sie viele Paramente her, ohne konkreten Auftrag. „Auch meine Mutter war der Meinung, das würde sich lohnen. Die meisten habe ich verkauft, ein paar sind noch übrig, die ich jetzt verkaufen will“, sagt Gallmeier-Hagl. So ein Messgewand für einen Pfarrer, knallrot und kunstvoll mit Flammen und Tauben bestickt, kostet dann als Sonderpreis 1700 Euro.
Lederhosen-Hersteller als Auftraggeber
Doch es gibt immer weniger Pfarrer, und moderne Stickmaschinen fertigen in Minuten, wofür sie viele Tage braucht. Bei ihr werden die Stoffe in einen Holzrahmen eingespannt, „der Stoff ist dann wie ein Trampolin, das halten auch alte Materialien gut aus. Denn reißen darf er auf keinen Fall.“
Meine news
Seit Kurzem arbeitet sie für einen Lederhosen-Hersteller und bestickt dessen Produkte, dazu kommen Fahnen, Tauf- und Brautkleider sowie -schleier, Türglocken, weltliche und kirchliche Tücher. Eine Frau wollte kürzlich ihren Rock mit Perlen bestickt haben, dazu Schuhe und Handschuhe. Ein Brautpaar ließ die Lehnen zweier Kinostühle mit seinen Monogrammen verschönern. „Ich habe das ganze Jahr gut zu tun.“ Aufträge kommen übers Internet auch aus dem Ausland. Daneben gibt sie Stickkurse. Gallmeier-Hagl liebt ihr Kunsthandwerk: „Handsticken, das ist das Edelste, was man machen lassen kann.“