Bürgergeld-Anwalt: "20 Prozent brauchen freundlichen Arschtritt"

FOCUS online: Herr Lux, Sie sind Anwalt für Strafrecht und Arbeitsrecht in Berlin. Sie vertreten Menschen, die ihren Job verloren haben und ins Bürgergeld rutschen. CDU und SPD haben sich im Koalitionsausschuss auf die neue Grundsicherung geeinigt. Die Sanktionen sollen verschärft werden. Das Bürgergeld wie bisher soll es nicht mehr geben. Aus Ihrer Sicht der richtige Schritt?

Benedikt Lux: Für viele meiner Mandanten, die arbeitslos werden und dann vom Arbeitslosengeld ins Bürgergeld rutschen, ist das Bürgergeld wie bisher eigentlich sinnvoll. Sie brauchen die Zeit, um sich einen neuen Job zu suchen. Wenn jetzt härter sanktioniert werden soll, sollten die Sachbearbeiter immer auf die persönliche Situation des Betroffenen schauen. Die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern schafft es nicht immer, zu allen Terminen im Jobcenter zu gehen. Es gibt aber Leute, die brauchen etwas mehr Druck, einen freundlichen Arschtritt. Das sind aber nur maximal 20 Prozent. Man sollte differenziert sanktionieren.

Wie ist die Stimmung unter Ihren Mandanten, nachdem sie von der geplanten Verschärfung erfahren haben?

Lux: Die haben das schon mitbekommen. Ohnehin merken meine Mandanten die schlechte wirtschaftliche Lage. Die Angst und die Sorgen unter ihnen nehmen mit der Gesetzesankündigung noch mal zu. Auch wenn die neue Grundsicherung noch nicht in Kraft ist, rechnen wir Anwälte damit, dass die Jobcenter jetzt schon härter mit den Kunden umgehen als bisher. Dabei muss man bedenken, dass 80 bis 90 Prozent unverschuldet arbeitslos werden. Es braucht immer einen differenzierten Blick: In Branchen wie der Pflege finden Menschen nach dem Jobverlust immer wieder schnell etwas. In der Gastronomiebranche oder im Servicebereich ist es schon schwerer, etwas Neues zu bekommen. Und es hängt immer vom Menschen selbst ab. Für manche ist es kein großes Problem, wenn sie ihre Arbeit verlieren, für andere bricht eine Welt zusammen. Die sind dann so down, dass sie sich nicht sofort wieder bewerben können.

Wer zählt zu Ihren Kunden?

Lux: Pflegekräfte, Lkw-Fahrer, Servicekräfte, die vor dem Jobverlust oft sehr hart gearbeitet haben. Die verlieren die Arbeit, weil die Firma insolvent gegangen ist, aus Willkür oder, weil sie mal zu spät gekommen sind. Und es gibt Arbeitgeber, die wirklich dreist sind. Die wissen, dass sich manche Arbeitnehmer eine Klage nicht leisten können.

Neben Ihrer Tätigkeit als Anwalt sitzen Sie für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Glauben Sie, dass die Grundsicherung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat?

Lux: Das weiß ich nicht. Das Bundesverfassungsgericht stellt auf das Existenzminimum ab. Leistungskürzungen, die über 30 Prozent des Bedarfs hinausgehen, wurden damals als verfassungswidrig eingestuft. Die Möglichkeit der Komplettkürzung wie jetzt bei der geplanten Grundsicherung ist sehr hart. Da muss man gucken, ob das wirklich Bestand hat. Als Politiker sage ich, für schwer vermittelbare und unverschuldete Langzeitarbeitslose ist das neue Gesetz Gängelung pur und für den Staat sind die Verhängung von Sanktionen zusätzliche Bürokratie.

Die Befürworter der Pläne sehen das nicht als Gängelung, sondern als notwendige Reform. Kanzler Friedrich Merz hat versprochen, dass niemand obdachlos wird. 

Lux: Herr Merz kann mal gerne Praktikum bei mir in meiner Kanzlei machen. Ich habe es mit Menschen zu tun, die prekär arbeiten und wohnen, fleißig sind und trotzdem den Job verlieren. Ich kenne Leute aus dem Gastronomie-Bereich oder Lkw-Fahrer, die wirklich gerne arbeiten, aber nach der Kündigung nichts Neues finden.

Die SPD hat sich in Sachen Bürgergeld schnell auf die CDU zubewegt. Das gilt auch für eine eher linke Arbeitsministerin. Der Zoff, wie wir ihn von der Ampel kennen, wurde vermieden. Das ist doch sehr positiv, oder?

Lux: Die Stimmung beim Bürgergeld ist gekippt in eine Neiddebatte. Es wird gerne nach unten getreten. Die Abschaffung war ein Wahlversprechen der Union. Die SPD hat mitgemacht. Wenn es um Leistungskürzungen für Langzeitarbeitslose geht, wollen sich CDU und SPD anscheinend nicht streiten.

Wird die Bürgergeld-Reform mit den härteren Sanktionen mehr Arbeit für Sie als Rechtsanwalt bedeuten?

Lux: Das Thema Angst hatten wir schon. Ich denke, dass die Sozialrechtler alle Hände voll zu tun haben werden. Und wir Arbeitsrechtler spüren die schlechte wirtschaftliche Lage. Also beantworte ich die Frage mit Ja.