E-Auto-Flut aus China: „Reale Gefahr, dass europäische Industrie zerstört wird“

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Autos des Herstellers BYD verlassen in Bremerhaven die „Explorer No. 1“. © Focke Strangmann/AFP

Chinas wirtschaftliche Schwierigkeiten werden auch für uns zum Problem. Das Land produziert mehr, als die Menschen kaufen. Die Folge: Billige E-Autos überschwemmen weltweit die Märkte.

Ende Februar legte in Bremerhaven einer dieser riesigen Autofrachter an, wie sie seit Jahrzehnten über die Weltmeere schippern. Etwas aber war diesmal anders. „BYD Explorer No. 1“ prangte an der Außenseite des Schiffes, der Name steht für den derzeit erfolgreichsten Hersteller von Elektroautos weltweit. Im letzten Quartal 2023 verkaufte BYD erstmals mehr E-Fahrzeuge als der bisherige Platzhirsch Tesla. Die „Explorer No. 1“ ist der erste von acht geplanten eigenen BYD-Frachtern, die Fahrzeuge des Herstellers aus dem südchinesischen Shenzhen nach Europa transportieren sollen. Rund 3000 Autos rollten in Bremerhaven von Bord des 200 Meter langen Kolosses, Hunderttausende dürften in den nächsten Monaten und Jahren folgen. Man kann das eine Erfolgsgeschichte nennen. Oder eine Kampfansage.

Denn die E-Autos von BYD und all den anderen China-Hersteller, die Namen tragen wie Cherry, Ora oder Xpeng, sind deutlich billiger als die deutsche Konkurrenz. In China kostet ein Einstiegsmodell von BYD umgerechnet rund 10.000 Euro – halb so viel wie der geplante ID.1 von Volkswagen. Und der soll erst 2027 auf den Markt kommen. Die China-Autos hingegen sind schon da. „Die globalen Märkte werden jetzt mit billigeren Elektroautos überschwemmt. Und ihr Preis wird durch enorme staatliche Subventionen künstlich niedrig gehalten“, schimpfte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im vergangenen September. Und kündigte Untersuchungen an, denen Sonderzölle auf chinesische E-Autos folgen könnten.

China produziert mehr, als gekauft wird

Im vergangenen Jahr habe China 30 Millionen Autos produziert, davon aber nur 25 Millionen im eigenen Land verkauft, sagt Jacob Gunter, Lead Analyst Economy bei der China-Denkfabrik Merics. Der Rest wurde exportiert. „Das waren 50 Prozent mehr Ausfuhren als noch 2022.“

Zwar versuchen chinesische Hersteller, mit hohen Rabatten mehr Autos im eigenen Land abzusetzen. Aber das funktioniert nur bedingt, weil Chinas Wirtschaft schwächelt und die Menschen ihr Geld zusammenhalten. Im laufenden Jahr soll die Wirtschaft dennoch um die fünf Prozent wachsen, so hat es das Abnickparlament in Peking unlängst beschlossen. Aufgrund der gigantischen Immobilienkrise fällt der Bausektor als Wachstumstreiber aber aus. Also muss die produzierende Industrie Vollgas geben, politisch ist das so gewünscht, der Sektor wird künstlich gepäppelt. Die Folge: Die Industrieproduktion steigt stärker als die Umsätze im Einzelhandel – es wird also mehr hergestellt als gekauft.

Diese Überkapazitäten seien „ein Merkmal, kein Fehler, des chinesischen Wirtschaftsmodells“, sagt Jacob Gunter. Er erklärt das Problem bei den Elektroautos so: Die Regierung in Peking wolle das Land mit Subventionen, Steuererleichterungen und Krediten zum Weltmarktführer bei der E-Mobilität machen. Zehntausende Unternehmen seien dem Ruf gefolgt, im ganzen Land hätten sich neue Firmen gegründet. Pekings Plan: Wenn nach einiger Zeit die Subventionen zurückgefahren werden, wächst der Druck auf die Hersteller, besser und wettbewerbsfähiger zu werden. Wer das nicht schafft, geht pleite. Zurück bleibt eine Handvoll an Unternehmen, die so gut sind, dass sie weltweit an der Spitze stehen.

China kann jährlich zehn Millionen Autos zusätzlich bauen

Allerdings, so Gunter, habe nicht nur Peking viel Geld in die E-Auto-Industrie gepumpt, auch die Provinzregierungen mischten fleißig mit. Jeder Provinzfürst wolle seinen eigenen Champion hervorbringen, eine Zulieferindustrie aufbauen, Arbeitsplätze schaffen, Wachstumsziele erfüllen. Da könne man es sich nicht leisten, Hersteller erst mit viel Geld aufzubauen, nur um einen Großteil von ihnen dann fallenzulassen. Also würden die ohnehin schon hoch verschuldeten Provinzregierungen „diese Unternehmen weiter füttern“, wie Gunter sagt. „Sie setzen darauf, dass sie dies länger tun können als die anderen lokalen Regierungen“.

Auch deshalb habe China aktuell Kapazitäten für den Bau von weiteren zehn Millionen Autos jährlich. „Und die Investitionen in die Autoindustrie sind weiterhin hoch.“ Rund 100 Autofrachter wie jener, der vor wenigen Wochen in Bremerhaven angelegt hat, haben chinesische Kunden bestellt. Viele davon dürften eines Tages auch an europäischen Häfen festmachen. Und die noch winzigen Marktanteile chinesischer Hersteller hierzulande wachsen.

Was passieren kann, wenn Regierungen dann nicht gegensteuern, konnte man bei der Solarindustrie beobachten. „Chinas Produktionskapazitäten reichen aus, um die ganze Welt 2,5-mal mit Solarpanelen zu beliefern“, rechnete vor ein paar Monaten der ehemalige Präsident der EU-Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke, im Handelsblatt vor. Ernstzunehmende Konkurrenz gibt es in Deutschland nicht mehr, zuletzt stoppte der Solarhersteller Meyer Burger die Modulproduktion in seinem Werk im sächsischen Freiberg. Als Nächstes könnten Windkraftanlagen an der Reihe sein, Analysten sehen auch hier Anzeichen von Überkapazitäten. Klar: Die Energiewende ist so billiger zu haben. Für Deutschland aber ist der Preis dennoch hoch.

„Reale Gefahr, dass Europa eine intensive Deindustrialisierungsphase durchläuft“

Das Problem sei existenziell für die Bundesrepublik, sagt Gunter. Da sei es auch kein Trost, dass inflationsgeplagte deutsche Verbraucher von günstigen China-Importen profitierten. Um das zu verstehen, helfe ein Blick in die USA. Seit Chinas Aufnahme in die Welthandelsorganisation im Jahr 2001 wanderten ganze Industriezweige aus den USA in die Volksrepublik ab. „Es gibt nicht sehr viele Menschen in Amerika, die heute davon überzeugt sind, dass das eine gute Sache war“, so Gunter. „Es besteht die reale Gefahr, dass Europa eine intensive Deindustrialisierungsphase durchläuft, wenn es zulässt, was die Amerikaner vor 20, 30 Jahren zugelassen haben. Nämlich dass ein Großteil ihrer Industrie zerstört wird, nur um sehr billige Waren zur Verfügung zu haben.“

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