„Die Leute nervt das natürlich“ - Wohin mit Sondervermögen-Milliarden? Fünf deutsche Bürgermeister reden Klartext

Wo Geld gebraucht wird, wissen die Bürgermeister der Städte und Gemeinden in Deutschland am besten. Wir haben fünf von ihnen gefragt, wo sie den größten Bedarf sehen, wo das Geld aus dem Sondervermögen Infrastruktur investiert werden sollte.

Viele von ihnen sind seit Jahrzehnten in der kommunalen Verwaltung aktiv. Sie berichten von Städten, die stagnieren und dem Wunsch, den kommenden Generationen eine funktionierende, lebenswerte Gemeinde zu hinterlassen.

Simone Borris, Oberbürgermeisterin von Magdeburg, Sachsen-Anhalt. Parteilos:

Ich bin seit drei Jahren Oberbürgermeisterin und seitdem verwalte ich vor allem einen Mangel. Das macht mich traurig, vor allem da wir trotz der finanziellen Probleme auch viel geschafft haben. So konnten wir große Investitionen in die städtische Infrastruktur sowie in Kultur- und Bildungseinrichtungen abschließen und neue anstoßen.

In Magdeburg ist die Lage vor allem bei den Brücken dramatisch. Bei uns wurde der sogenannte Hennigsdorfer Spannstahl verbaut. Der war mitverantwortlich für den Einsturz der Carolabrücke in Dresden. Diese Brücken müssen saniert werden. Aber wir als Stadt können das finanziell nicht stemmen. Wir sprechen hier von einem Investitionsbedarf von 150 Millionen Euro.

"Es kommt in der Stadtgesellschaft an, dass Geld fehlt. Die Menschen sind verärgert" Simone Borris, Oberbürgermeisterin von Magdeburg.

Die andere Möglichkeit ist, dass wir die Brücken sperren. Ein Fußgängerübergang wurde bereits geschlossen und muss möglicherweise rückgebaut werden. Und bei drei wichtigen Autobrücken mussten wir in jeder Fahrtrichtung eine Spur sperren und das Tempo auf 30 reduzieren, damit sich die Belastung reduziert.

Die Leute nervt das natürlich. Es kommt in der Stadtgesellschaft an, dass Geld fehlt. Die Menschen sind verärgert, viele beschweren sich. Wir als Kommunen sind die unmittelbare Verbindung der Menschen zum Staat. Wir müssen den Bürgern Rede und Antwort stehen.

"Wenn wir diese Investitionen nicht angehen, werden die Probleme mit der Zeit immer mehr" Simone Borris, Oberbürgermeisterin von Magdeburg.

Und die Brücken sind ja nur ein Aspekt: Wir müssen das Kanalnetz sanieren und das Fernwärmenetz. Ich stehe als Oberbürgermeisterin vor diesen Herausforderungen und frage mich: Wo soll das Geld dafür herkommen, wenn nicht vom Bund?

Beim Sondervermögen bin ich zwiegespalten. Ich will natürlich nicht, dass zukünftige Generationen durch Zinsen belastet werden. Aber dann sehe ich den Investitionsrückstau bei uns in der Stadt. Und wenn wir diese Investitionen nicht angehen, werden die Probleme mit der Zeit immer mehr. Und auch das belastet die nächsten Generationen.

Alexandra Gauß, Bürgermeisterin von Windeck in Nordrhein-Westfalen. Bündnis 90/Die Grünen:

Unsere Kommune ist stark überschuldet und das schon seit Ewigkeiten. Uns belasten heute Schulden, die entstanden sind, als ich noch im Kindergarten war. Deswegen musste ich seit meinem Amtsantritt sehr stark priorisieren.

Wir haben uns für zwei Politikfelder entschieden: Kinder und Feuerwehr, also die soziale Infrastruktur und den Bevölkerungsschutz. Da haben wir sehr viel geschafft. Darüber bin ich sehr glücklich.

Jetzt brauchen wir Geld für unsere Infrastruktur. Vor allem bei Brücken und dem Wegenetz gibt es hohen Bedarf. Wir haben in Windeck einen Fluss, die Sieg. Zwei kleinere Brücken darüber mussten wir schon sperren, weil wir kein Geld hatten, um sie zu renovieren.

"Wenn die neue Regierung Steuergeschenke auf Bundesebene umsetzen möchte, haben wir auf kommunaler Ebene weniger Geld" Alexandra Gauß, Bürgermeisterin von Windeck.

Aber die große Brücke, da, wo der Schulbus drüberfährt, die kann man ja nicht einfach sperren. Aber weil es die Brücke schon gibt, hieße das offiziell „Sanierung im Bestand“. Deswegen ist das keine Investition, sondern ein Erhalt. Das erschwert die Finanzierung. Ich hoffe, dass da die Gelder aus dem Sondervermögen helfen können.

Wichtig ist für mich, dass wir sowohl Einnahmen als auch Ausgaben im Blick behalten. Wenn die neue Regierung Steuergeschenke auf Bundesebene umsetzen möchte, haben wir auf kommunaler Ebene weniger Geld. Um das gegenzufinanzieren, müssten wir zum Beispiel die Grundsteuer erhöhen. Und das tragen dann die Bürger vor Ort.

Steffen Scheller, Oberbürgermeister von Brandenburg an der Havel, Brandenburg. CDU:

Als ich vor 20 Jahren als Kämmerer begonnen habe, hatte unsere Stadt einen stark defizitären Haushalt. Das haben wir in den Griff bekommen und darauf bin ich auch sehr stolz.

"Wir müssen mehr in die Straßen, öffentliche Plätze und Brücken investieren, damit wir den kommenden Generationen eine funktionierende Stadt überlassen" Steffen Scheller, Oberbürgermeister von Brandenburg an der Havel.

Doch die Sanierung des Haushaltes hatte auch eine Kehrseite: In der Zeit konnten wir wenig investieren. Wir mussten Prioritäten setzen und Teile der öffentlichen Infrastruktur haben nun einen Wertverlust. Wir müssen mehr in die Straßen, öffentliche Plätze und Brücken investieren, damit wir den kommenden Generationen eine funktionierende Stadt überlassen.

Abgesehen von der öffentlichen Infrastruktur brauchen wir von Jahr zu Jahr mehr Geld für die Jugend- und Sozialhilfe. Durch gestiegene Kosten haben die kommunalen Träger eine höhere finanzielle Belastung. Die müssen die Kommunen tragen.

"Wir als Kommunen wissen am besten, wo investiert werden muss" Steffen Scheller, Oberbürgermeister von Brandenburg an der Havel.

Ein weiteres Beispiel ist die Gesundheitsversorgung. Auch hier haben wir Kommunen eine wichtige Rolle. Unser kommunales Krankenhaus müssen wir allein in diesem Jahr mit mehr als 10 Millionen Euro unterstützen.

Ich glaube, dass wir als Kommunen am besten wissen, wo investiert werden muss. Aber: Geld allein baut nicht. Wir brauchen kürzere Planverfahren, damit Projekte schneller umgesetzt werden und die Bürger sehen, dass sich was ändert. Dafür müssen wir auch Einschränkungen durch Arten- oder Lärmschutz zurückschrauben.

Belit Onay, Oberbürgermeister von Hannover, Niedersachsen. Bündnis 90/Die Grünen:

In den vergangenen Jahren mussten wir zwei große Sparpakete auf den Weg bringen. Für uns war die zentrale Frage: Wie können wir diese riesigen Summen einsparen, ohne unsere Stadt kaputtzumachen?

Ich komme gerade von einer Bibliothek in Hannover-Nordstadt. Da stand eine Schließung an. Mit dem Seniorendienst und einer Bürgerinitiative haben wir es geschafft, die Bibliothek in ein Gemeinschaftshaus umzuwandeln. So haben wir als Stadt 100.000 Euro eingespart. Aber wir können trotzdem das Angebot erhalten.

"Die Stadt stockt, sei es beim ÖPNV, den Straßen und Schulen" Belit Onay, Oberbürgermeister von Hannover.

Das geht aber natürlich nicht überall. Man merkt es seit Jahren: Die Stadt stockt, sei es beim ÖPNV, den Straßen und Schulen. Die Hälfte der Vermögenswerte des Staates liegen bei den Kommunen. Wir sind das Rückgrat Deutschlands. Aber wir können nur bis zu einem bestimmten Punkt sparen.

Beispiel Schulbau: Eine Grundschule bei uns in der Stadt müsste grundlegend saniert werden. Das kostet 50 Millionen Euro. Und wir müssten eine neue Gesamtschule bauen, das sind 80 Millionen Euro. Da freuen wir uns sehr über die Investitionen des Sondervermögens. Wir rechnen mit 25 bis 40 Millionen jährlich, die bei uns ankommen könnten.

Mir ist dabei wichtig, dass die Investitionen so schnell wie möglich ankommen. Derzeit steht jedem Investitions-Euro ein immenser bürokratischer Aufwand entgegen.

"Bund und Länder übertragen uns Kommunen immer mehr Aufgaben. Aber die Umsetzung wird nicht finanziert" Belit Onay, Oberbürgermeister von Hannover.

Und: Bund und Länder übertragen uns Kommunen immer mehr Aufgaben. Aber die Umsetzung wird nicht finanziert. Ein Beispiel: Wir haben als erste Stadt eine Geldkarte für Geflüchtete eingeführt. Sechs Personen in der Verwaltung wurden dadurch entlastet.

Jetzt wollen Bund und Land eine Bezahlkarte mit zusätzlichen Einschränkungen einführen. Das ist eine Schikane von Geflüchteten und außerdem ein immenser Verwaltungsaufwand. Wir haben das mal durchgerechnet. Knapp ein Dutzend Angestellte in der Verwaltung werden sich um die Umsetzung dieses Vorhabens kümmern müssen. Die Finanzierung für diese Stellen kommt aber von uns – nicht vom Bund.

Christoph Schmid, Bürgermeister von Holzkirchen, Bayern. CSU:

Wirtschaftlich geht es Holzkirchen gut. In unserem Landkreis sind wir eine der Vorzeigekommunen. In den letzten Jahren hatten wir eine große Investitionsphase. Wir können uns viele Dinge erlauben, die andere Orte unserer Größe nicht haben: ein Kulturzentrum, günstiges Parken, ein großes Hallenbad, eine vernünftige Einzelhandelsstruktur.

"Die ärmsten Kommunen dürfen nicht vergessen werden. Investitionen sollten auch ohne Co-Finanzierungen möglich sein" Christoph Schmid, Bürgermeister von Holzkirchen.

Dennoch können wir natürlich Unterstützung gebrauchen, vor allem im Bereich des Bevölkerungsschutzes. Denn auch in Holzkirchen erleben wir die Folgen des Klimawandels. Vergangenes Jahr hatten wir einen Starkregen. In 20 Minuten sind über 50 Liter auf den Quadratmeter geregnet. Wir hatten hunderte Feuerwehreinsätze.

Die öffentlichen Entwässerungseinrichtungen waren mit dem Regen komplett überfordert. Bis heute müssen wir nacharbeiten. Das sieht keiner, aber es kostet richtig viel Geld. Mir ist wichtig, dass die Bürokratie abgebaut wird und der Bund den Kommunen etwas Beinfreiheit in der Umsetzung gibt. Denn zu oft bremsen Richtlinien Investitionen.

"Mir ist wichtig, dass die Bürokratie abgebaut wird und der Bund den Kommunen etwas Beinfreiheit in der Umsetzung gibt" Christoph Schmid, Bürgermeister von Holzkirchen

Ein Beispiel: Wir wollen schon seit Jahren die Bahntrasse ab Holzkirchen elektrisieren. Dafür braucht es ein neues Ausweichgleis bei unserem Bahnhof. Doch die Verfahren mit der Deutschen Bahn ziehen sich immens in die Länge. Und deswegen fährt die ganze Regionalbahn in Bayern noch mit Diesel.

Was mir noch wichtig wäre: Die ärmsten Kommunen dürfen nicht vergessen werden. Investitionen sollten auch ohne Co-Finanzierungen möglich sein. Denn viele Kommunen haben dafür einfach nicht die Mittel. Und dann gehen die leer aus, die Investitionen am nötigsten haben.

Von Moritz Matzner