Direkter Einfluss in der Hauptstadt - Erdogans Lehrer an Berlins Schulen: "Sie handeln im Auftrag des türkischen Regimes"
Die autokratisch und repressiv regierte Türkei darf weiterhin an Berliner Schulen „Konsulatsunterricht“ erteilen und dort im Sinne Ankaras Berliner Schüler beeinflussen. Eine Liste der aktuellen Einsatzorte, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt, belegt, dass 33 öffentliche Schulen in sechs Bezirken sowie drei private Schulen dem Konsulat Räume zur Verfügung stellen. Gleichzeitig versagt Berlin dabei, zügig eigene Türkischlehrer auszubilden.
Denn anders als zunächst angekündigt, ist der lang geforderte Studiengang für das Lehramt Türkisch nicht bereits 2020/21 gestartet, sondern existiert erst seit wenigen Monaten. Dies teilte die Wissenschaftsverwaltung auf Anfrage mit.
Konsulatslehrkräfte nicht neutral? "Im Auftrag des Erdogan-Regimes"
Vom neu eingerichteten Bachelorstudiengang „Sprache und Kultur der Türkei“ an der Freien Universität Berlin (FU) dauert es noch viele Jahre bis zum eigentlichen Master of Education, der den Weg an die Schulen öffnet.
Diese Auskunft ist insofern von Bedeutung, als Berlin durch eigene Lehrkräfte unabhängiger vom türkischen Staatsangebot werden wollte. Dieses Ziel wurde infolge der Pandemie, langwieriger FU-interner Abläufe sowie umständlicher Stellenbesetzungsverfahren jedoch gründlich verfehlt.
Es liegt nahe, dass die sogenannten Konsulatslehrkräfte nicht neutral agieren, sondern im Auftrag des Erdogan-Regimes in Deutschland tätig sind.
Die Brisanz dieser Verzögerung besteht darin, dass Berlin in der Konsequenz noch immer nicht imstande ist, dem Konsulatsunterricht ein eigenes flächendeckendes Angebot entgegenzusetzen. Dies aber war eigentlich das Berliner Ziel, nachdem Staatschef Recep Tayyip Erdogan infolge des Putschversuchs von 2016 Massenverhaftungen angeordnet hatte und die Spitzeleien und Bedrohungen auch immer mehr Türken in Deutschland trafen.
Die GEW sieht eine neue Eskalationsstufe erreicht
Neun Jahre später ist durch die Verhaftung des Instanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu allerdings eine weitere Eskalationsstufe erreicht, mahnt der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Berlin, Gökhan Akgün.
„Spätestens jetzt sollte klar sein, dass in der Türkei die Gewaltenteilung faktisch nicht mehr existiert“, sagte Akgün dem Tagesspiegel. Es liege daher nahe, „dass die sogenannten Konsulatslehrkräfte nicht neutral agieren, sondern im Auftrag des Erdogan-Regimes in Deutschland tätig sind“.
Diese Befürchtung einer einseitigen Beeinflussung im Sinne des Autokraten Erdogan treibt Akgün schon lange um. In den deutschen Kultusbürokratien hingegen ist die Wahrnehmung dieser latenten Gefahr sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Während das Saarland etwa den Konsulatslehrkräften schon vor Jahren den Zugang zu den Schulen versagte, hält Hamburg seine Türen für die von Ankara eigens entsandten Lehrkräfte offen: Sie unterrichten an 36 Schulen über 500 Kinder.
Hamburg sieht keine Handhabe außer Hospitationen
„Der türkische Staat hat weder direkt noch indirekt Einfluss auf deutsche Schulen, sondern allenfalls auf türkischstämmige Schülerinnen und Schüler, wenn sie von ihren Eltern für den privaten Ergänzungsunterricht angemeldet werden“, betonte ein Sprecher der Hamburger Bildungsbehörde.
Im Übrigen könnte Hamburg den „Konsulatsunterricht“ gar nicht untersagen oder unterbinden, „wohl aber Hospitationen durchführen, um auf die Unterrichtsqualität Einfluss nehmen“.
An dem Punkt gehen die Meinungen offenbar auseinander, allerdings nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern auch zwischen den Berliner Bezirken. Das zeigt der aktuelle Status quo.
Wobei beim Begriff „Status quo“ bereits die Probleme beginnen. Wer wissen will, in welchen Bezirken und an welchen Schulen wie viele Kinder von Ankaras Staatslehrern erreicht werden, ist nahezu chancenlos: Die Senatsverwaltung für Bildung verfügt nach eigenen Angaben nur über veraltete und zudem unvollständige Daten vom vergangenen Jahr und verweist auf die betroffenen Bezirke.
Dort aber beginnt ein regelrechtes Versteckspiel: Nur Friedrichshain-Kreuzberg benennt seine beiden Schulen mit Konsulatsunterricht. Neukölln, Treptow-Köpenick und Spandau teilen keine Schulnamen mit, bestätigen aber immerhin, dass sie dem türkischen Konsulat Räume überlassen.
Raumnutzung ohne Genehmigung
Anders Tempelhof-Schöneberg. Dort hieß es zunächst aus dem Büro von Bildungsstadtrat Tobias Dollase (parteilos, für CDU), dass das Bezirksamt „in den letzten Jahren keine Genehmigungen für Konsulatsunterricht an bezirklichen Schulen erteilt“ habe.
Diese Auskunft legte den Schluss nahe, dass es das Angebot im Bezirk gar nicht mehr gebe, aber weit gefehlt: Tempelhof-Schöneberg ist der Bezirk mit den meisten Schulen, die das Angebot vorhalten: Es sind zehn.
"Das Schul- und Sportamt hat die Schulleitungen noch einmal aufgefordert, die nicht genehmigten Nutzungen zu beenden" Auskunft des Büros von Tempelhof-Schönebergs Bildungsstadtrat Tobias Dollase (parteilos, für die CDU)
Auf die Frage des Tagesspiegels, wie denn dies zusammenpasse, wurde die Aussage korrigiert. Nun heißt es aus Dollases Büro, dass das Schul- und Sportamt die Schulleitungen „noch einmal“ aufgefordert habe, „die nicht genehmigten Nutzungen zu beenden“.
Zum neuen Schuljahr werde das Schul- und Sportamt die „Einhaltung der Vorgaben in den Schulen überprüfen“.
Ähnlich könnte es in Charlottenburg-Wilmersdorf kommen. Auf die Frage, ob das Angebot bestehen bleiben soll, teilte Bildungsstadträtin Heike Schmitt-Schmelz (SPD) mit: „In der Form nicht“. Der Bezirk wolle lieber auf die herkunftssprachlichen Angebote des Senats setzen.
Dass Dollase von der Genehmigungspraxis in seinem Bezirk offenbar überrascht war, kann damit zu tun haben, dass er erst 2021 aus Reinickendorf nach Tempelhof-Schöneberg kam. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Reinickendorfs Schulamt unter seiner Leitung bereits vom türkischen Konsulatsunterricht verabschiedet.
Diese Bezirke lassen das Konsulat vor der Tür
„Dem türkischen Generalkonsulat werden in Reinickendorf seit dem Schuljahr 2018/19 keine Räume mehr zur Verfügung gestellt“, heißt es aus dem Schulamt: Ebenso wie der Bezirk Mitte hatte Reinickendorf unter dem Eindruck der Massenverhaftungen in der Türkei und der rigiden Einflussnahme in Deutschland den Konsulatsunterricht beendet.
Ganz einfach ist das nicht. Der damals verantwortliche Bildungsstadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), erinnerte jetzt daran, dass es mit einem Verbot nicht getan sei. Denn man müsse damit rechnen, dass sich das Konsulat auf eine EU-Richtlinie und den Anspruch auf herkunftssprachlichen Unterricht berufe.
An dieser Stelle können die Bezirke allerdings inzwischen kontern, denn das Land Berlin ist seit vielen Jahren dabei, ein eigenes solches Angebot auszubauen. An diesen Arbeitsgemeinschaften (AG) für den „Erstsprachlichen Unterricht“ (ESU) nehmen etwa 2500 Kinder an rund 80 Schulen teil. Zudem gibt es einzelne Schulen, die Türkisch als zweite Fremdsprache anbieten sowie die Deutsch-Türkische Europaschule.
Die GEW kritisiert schlechte Bezahlung der AG-Lehrer
Berlin bleibe damit aber unter seinen Möglichkeiten, kritisiert GEW-Chef Gökhan Akgün. Nach seiner Einschätzung hätte Berlin mehr ESU-Lehrkräfte, wenn der Senat sie besser bezahlte. Statt Lehrkräfte gezielt zu stärken, würden sie „systematisch herabgruppiert“.
Die sogenannte „Herabgruppierung“ resultiert daraus, dass es sich oft um Muttersprachler ohne abgeschlossenes Lehramtsstudium handelt. Dies ist insbesondere für die Sprache Türkisch ein Problem, da es kaum reguläre Türkischlehrer gibt.
Dieses Manko hatte schon die frühere Ausländerbeauftragte Barbara John jahrzehntelang beanstandet: Zwischen der Ankunft der ersten türkischen Gastarbeiter und der Schaffung des ersten Berliner Studiengangs für angehende Türkischlehrer vergingen über 60 Jahre. In diese enorme Lücke stieß Ankara.
Auf 3000 Schülerinnen und Schüler war im Jahr 2007 der Konsulatsunterricht angewachsen, bevor Berichte über nationalistisch gefärbte „Importlehrer“ von Ankaras Gnaden in einigen Bundesländern für Unruhe sorgten. Seither versuchen einige, nicht alle, Bundesländer, Ersatzangebote zu schaffen.
Es gibt allerdings auch in Berlin nach wie vor Schulleiter, die ihre Konsulatslehrer gern behalten wollen. Einer von ihnen ist Stefan Witzke, Leiter der Lisa-Tetzner-Schule in Neukölln. „Wir haben bisher gute Erfahrungen gemacht“, berichtet Witzke, der zugleich Co-Vorsitzender der Vereinigung Berliner Grundschulleitungen ist: „Die Kollegen aus dem Konsulat arbeiten mit uns gut im Team“, lautet seine Erfahrung. Man sei „seit Jahren zufrieden mit dem Angebot des Konsulats“.
Klare Kriterien für den muttersprachlichen Unterricht gefordert
GEW-Chef Gökhan Akgün mahnt trotzdem zur Vorsicht: „Auch wenn die Lehrkräfte persönlich als unproblematisch wahrgenommen werden, bleibt die grundsätzliche Frage bestehen, inwieweit hier eine Einflussnahme durch ausländische Regierungsstellen stattfindet“, steht für ihn fest.
Für Akgün kommt es jetzt darauf an, „klare Kriterien für eine neutrale und transparente Gestaltung des muttersprachlichen Unterrichts zu entwickeln“.
Weitere Schulleiter geben zudem zu bedenken, dass der Bedarf nun einmal da sei: Türkischstämmige Familien, die ihre Herkunftssprache bewahren wollen, nehmen dafür mehr oder weniger gern die religiösen und nationalistischen Töne der Konsulatslehrer mit in Kauf.
Erdogan hat ein Amt für Auslandstürken geschaffen, um seine Wähler zu erreichen
Längst sind hunderte Familien den Konsulatslehrern, die aus den Schulen verdrängt wurde, in Moscheen oder Vereinsräume gefolgt. Diese Tendenz ist etwa seit 2018 entstanden, nachdem die ersten Bezirke sich geweigert hatten, ihre öffentlichen Schulräume für Erdogan-Propaganda herzugeben.
Somit zeigt die Erfahrung: Entweder Land und Bezirke bieten eigenen Türkischunterricht an oder die Familien weichen mehr und mehr zum Konsulatsunterricht in den Räumen von Moscheen aus.
Denn der Nachschub von Konsulatslehrkräften kommt nicht zum Erliegen. Vielmehr hat Erdogan vor vielen Jahren extra ein Amt für Auslandstürken geschaffen, um durch geeignete Propaganda in Deutschland seine Wähler zu erreichen.
Und Berlin? Hat dem wenig entgegenzusetzen: Im ersten Semester des Bachelorstudiengangs „Sprache und Kultur der Türkei“ der FU Berlin haben sich zum Wintersemester gerade mal acht Studierende immatrikuliert, im Zweitfach drei.
Von Susanne Vieth-Entus
Das Original zu diesem Beitrag "Erdogans Lehrer an Berlins Schulen: Warum gibt es noch immer türkischen Konsulatsunterricht?" stammt von Tagesspiegel.