Merz-Regierung steht vor gewaltigem Problem: 2000 Euro für Rentner besteht zentrale Prüfung nicht

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Die Regierung von Kanzler Friedrich Merz will Rentner und Rentnerinnen steuerlich begünstigen, wenn sie im Alter weiterarbeiten. Dabei gibt es aber einiges zu beachten.

Berlin – Die Union ist mit der sogenannten Aktivrente in den Wahlkampf gezogen: Wer im Alter weiterarbeitet, soll einen Steuervorteil bekommen. Im Koalitionsvertrag wird es etwas konkreter: Bis zu 2000 Euro jeden Monat sollen Rentner und Rentnerinnen steuerfrei dazuverdienen können, wenn sie nach der Regelaltersgrenze weiter einer Arbeit nachgehen. Aufs Jahr gerechnet sind es 24.000 Euro. Doch wie nun ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zeigt, gibt es sehr viele Probleme bei der Ausgestaltung – wenn die Regierung nicht sauber arbeitet, droht eine Verfassungsklage.

Aktivrente verfassungswidrig? Merz-Regierung diskriminiert bei Steuern für Rentner

Die Aufgabe des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags ist es, Gutachten im Auftrag von Abgeordneten zu erstellen. Dabei sind die Gutachter und Gutachterinnen der Neutralität verpflichtet, dürfen also keine Partei ergreifen. Das Gutachten zur Aktivrente wurde im Auftrag des Abgeordneten Sascha Müller (Grüne) erstellt und soll die Frage beantworten, ob es gegen die Pläne der Bundesregierung verfassungsrechtliche Bedenken gibt. Das Ergebnis liegt IPPEN.MEDIA vorab vor.

Die Gutachter und Gutachterinnen stellen fest, dass es bei der Ausgestaltung der Aktivrente durchaus Probleme geben könnte. Es gebe teilweise „erhebliche“ verfassungsrechtliche Bedenken. Zwar habe der Gesetzgeber generell sehr viel Freiheit bei der Erhebung von Steuern – und darf auch grundsätzlich zwischen verschiedenen Gruppen diskriminieren. So ist es unter Umständen erlaubt, Wohlverdienende stärker zu besteuern als Geringverdienende.

Dazu hatte erst vor kurzem auch das Bundesverfassungsgericht im Falle des Solidaritätszuschlags geurteilt. Auf den ersten Blick würden solche Steuermodelle gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung (Artikel 3 GG) verstoßen. Doch sie sind erlaubt, müssen aber immer gut begründet werden und einem gemeinwohlorientierten Zweck dienen. Dabei muss der Gesetzgeber nachweisen können, dass das gewählte Mittel dazu geeignet ist, den Zweck zu erfüllen.

2000 Euro extra für Rentner: Für wen soll die Aktivrente gelten?

Hier beginnen die Probleme für die Bundesregierung. Ziele der Aktivrente sollen laut Bundesregierung sein: Fachkräftesicherung und höhere Erwerbsquote erreichen, um so der Wirtschaft zu helfen; Sozialsysteme entlasten; Menschen im Alter unterstützen, beruflich weiter tätig zu sein. Doch ob die Aktivrente wirklich zur Erreichung dieser Ziele geeignet ist, daran gibt es laut Gutachten schon Zweifel. Der Gesetzgeber habe die Pflicht, „ein Mindestmaß an Gewissheit“ dafür vorlegen zu können.

Auch mahnt das Gutachten vor dem Teufel im Detail. So warnen die Juristen davor, abgesehen vom Alter noch weiter zu unterscheiden, zum Beispiel nach Berufsgruppen (Selbstständige, Beamte, Beschäftigte). Wenn nämlich am Ende nur jene profitieren, die eine gesetzliche Rente beziehen, dann sei dies mutmaßlich „kaum zu rechtfertigen“ und außerdem sehr komplex, da es viele Mischfälle gibt. Das sind Menschen, die sowohl Pensionen als auch Renten beziehen.

Bürgergeld-Debatte: Bundeskanzler Friedrich Merz will Mietkosten deckeln – die SPD hält dagegen.
Merz hat Rentnern und Rentnerinnen eine Aktivrente versprochen. (Symbolbild) © IMAGO/Christoph Hardt

Der Auftraggeber des Gutachtens, Sascha Müller, kommentiert an dieser Stelle gegenüber IPPEN.MEDIA pikant: „Einen prominenten Profiteur könnte es geben: Den Bundeskanzler (69) höchstselbst, bei dem 24.000 Euro seines Kanzlergehaltes nach den Plänen der Koalition dann steuerfrei wären.“ Politiker beziehen keine gesetzliche Rente.

Nicht alle Rentner können arbeiten: Aktivrente in diesen Fällen schwer zu begründen

Ebenfalls für Ärger könnte sorgen, dass die Bundesregierung auch unbeabsichtigt gegen das Gleichbehandlungsprinzip verstoßen könnte. Denn was ist mit Rentnern, „die nicht arbeiten wollen, können oder keine Beschäftigung finden“? Eine Diskriminierung aufgrund von körperlichen oder psychischen Fähigkeiten sei äußert schwer zu begründen.

Außerdem ist die Aktivrente ein Instrument, von dem vor allem Gutverdienende profitieren: „Der Vergünstigungseffekt steigt mit wachsendem Einkommen, und die am wenigsten Bedürftigen erhalten die höchste Steuerentlastung. Diese Art der Differenzierung, die die Höhe des Vorteils mit abnehmender Bedürftigkeit steigen lässt, unterliegt schon deshalb erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken“, heißt es im Gutachten. Um in den Genuss der vollen 2000 Euro zu bekommen, müssten die meisten Rentner und Rentnerinnen in Vollzeit arbeiten – was für Büroangestellte denkbar ist, für Kita-Erzieher mit 67 Jahren aber vielleicht nicht.

Merz-Regierung kann kritische Fragen zur Aktivrente immer noch nicht beantworten

Die Bundestagsfraktion der Grünen hat versucht, von der Bundesregierung zu erfahren, wie genau diese kritischen Punkte erarbeitet werden sollen. In einer Kleinen Anfrage an die Regierung hat sie ein Katalog mit 23 Fragen erstellt – die Antworten liegen unserer Redaktion ebenfalls vor. So gut wie keine der Fragen hat die Regierung beantwortet, bei allen anderen wurde auf das anstehende Gesetzgebungsverfahren verwiesen. Das ist deshalb verwunderlich, weil die Aktivrente eigentlich schon ab 1. Januar 2026 gelten sollte – ein Gesetz liegt aber noch nicht vor.

Nur die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit hat sich die Regierung etwas ausführlicher vorgenommen: Es komme öfter vor, dass Steuerbefreiungen gegen das Gleichheitsprinzip verstoßen, sie müssten aber „einem wirtschafts-, arbeitsmarkt- oder sozialpolitischen Zweck dienen.“ Die Bundesregierung werde den verfassungsrechtlichen Vorgaben „Rechnung tragen“.

Der Grünen-Abgeordnete Armin Grau kommentiert die Antworten: „Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass sich die Union mit einem schön klingenden, aber sehr kompliziert umzusetzenden Wahlkampfschlager verhoben hat. Sie weiß offenbar noch überhaupt nicht, wie sie die Aktiv-Rente umsetzen soll.“ Es wäre wohl einfacher, stattdessen die Beiträge aus der Rente und der Arbeitslosenversicherung an arbeitende Rentner und Rentnerinnen auszahlen zu lassen.

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