Endlich Ukraine-Friedensplan! Kriegs-Experte erklärt, warum das Trugschluss ist

Der Plan, den die US-Regierung mit Putin ausgehandelt haben soll, beinhaltet eine Abtretung der Krim sowie der Gebiete Donezk und Luhansk an Russland sowie eine drastische Verkleinerung der ukrainischen Armee - alles Maximalforderungen Putins. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat viel über die Kriegsgeschichte der Menschheit geforscht und geschrieben und sagt: Das wäre die Kapitulation der Ukraine.

FOCUS online: Was sagen Sie Menschen, die sich jetzt freuen und sagen: „Endlich haben wir einen Friedensplan. Endlich könnte dieser Krieg enden!“

Herfried Münkler: Erstens ist gar nicht klar, ob es überhaupt ein „Friedensplan“ ist oder eine Interpretation von US-Medien auf Basis durchgesickerter Informationen. Es kann auch ein Arbeitsstand der Unterhändler sein. Jedenfalls beinhaltet der Plan praktisch die Kapitulation der Ukraine.

„Trumps Politik besteht aus Trommelwirbeln“

Aber wäre dieses Ergebnis wirklich eine Möglichkeit zum Frieden?

Münkler: Die Ukraine hätte das so viel früher haben können und kann diesem Projekt niemals zustimmen. Trump hat keine großen Druckmittel mehr gegen die Ukraine, seitdem er die Waffenlieferungen so reduziert hat. Der zweite Pferdefuß ist dabei wichtiger: Die Ukraine war nicht dabei. Da haben zwei über den Kopf der Ukraine etwas ausgehandelt, in klassischer imperialistischer Manier. 

Aber Trump scheint es doch ernst zu sein mit einem schnellen Frieden.

Münkler: Ja, er will schnelle Lösungen. Es ist nicht das erste Mal: Denken wir an den Abzug aus Afghanistan, der im Desaster geendet ist, oder die Beendigung des Gaza-Krieges, die allenfalls auf eine brüchige Waffenruhe hinausläuft, bei der unklar ist, wie es weitergeht. Die Trumpsche Politik besteht aus einem Trommelwirbel des ersten Taktes, und dann weiß keiner, wie es weitergehen soll, wenn die „Mühen der Ebene“ kommen.

„Das Wort Friedensplan ist eine Luftbuchung“

Aber nochmal: Was macht das mit den Menschen, wenn sie in den Nachrichten das Wort „Friedensplan“ lesen? Ist das nicht auch berechtigt, Hoffnung zu haben?

Münkler: Soweit ich es sehe, wird das Wort vor allem in den Medien benutzt, nicht von den Akteuren selbst. Die Medien haben ein Interesse daran, journalistisch einen Eyecatcher zu haben, und sicherlich ist das Wort Frieden ein Eyecatcher. Einfache Gemüter, die von Politik nichts verstehen, werden das jetzt toll finden. Die anderen, die ab und zu lesen, wissen hingegen: Es ist eine Luftbuchung, eine Seifenblase.

Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt im Winter auch die Moral der Ukrainer selbst gebrochen wird?

Münkler: Eigentlich steht die Ukraine gegenwärtig gar nicht so schlecht da. Aber natürlich wird dieser Krieg als Ermattungs- und Ermüdungskrieg geführt, mit dem strategischen Ziel, den Selbstbehauptungswillen der Ukrainer zu brechen – durch Angriffe auf die Infrastruktur oder indem die immer selben Frontabschnitte unter Feuer genommen werden, um die Soldaten zu brechen.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hält den "Friedensplan" für eine Luftnummer IMAGO / Horst Galuschka

„Der Ukraine gehen die Männer aus“

Sie haben viel über die Kriege der Menschheitsgeschichte geschrieben. Erinnert Sie das Vorgehen Putins an etwas?

Münkler: Ja, es erinnert an die letzten beiden Jahre des Ersten Weltkriegs, als es zu dem kam, was man Kampfstreiks nennt. Die Franzosen machen einen Angriffsstreik, nachdem sie bei den letzten Angriffen 1917 gegen die deutschen Stellungen ungeheure Verluste hatten. Bei den Deutschen ist es der 18. August, der deutsche Black Friday der deutschen Westfront, als erstmals ganze Kompanien kapituliert haben. Das hatte es vorher nicht gegeben.

Das ist auch in der Ukraine denkbar, dass eine Zermürbung und Erschöpfung eintritt, dass die Männer, die die ganze Zeit gekämpft haben, sagen: „Ich kann nicht mehr kämpfen.“ Es ist richtig, der Ukraine gehen allmählich die Männer aus, aber sie hat ja auch die Möglichkeit, darauf zu reagieren wie die Russen, dass man noch mehr Söldner aus dem Ausland anwirbt. Das ist nur eine Frage des Geldes.

Wann würde Putin Frieden schließen?

Münkler: Er wird immer abschätzen, wie weit sich die Lage verbessert sich oder verschlechtert. Deshalb sind solche Verhandlungen immer eine Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln – um mal Clausewitz auf den Kopf zu stellen.

Putins Friedensbereitschaft könnte erzwungen werden, wenn bei ihm die Aussicht reift, dass sich die Lage für ihn weiter verschlechtert – so wie jetzt durch die weit drastischeren US-Sanktionen.

„Nach einer Befriedung der Ukraine wäre die Ostsee dran“

Dürfen wir denn durchatmen, wenn die Ukraine erstmal befriedet ist? Oder kommt dann der nächste Angriff?

Münkler: Das Skript des Ukraine-Krieges ähnelt in Vielem dem Drehbuch, das die deutsche Wehrmacht und Hitler für den Krieg ausgearbeitet haben. Erst im Frühjahr 1938 der Anschluss Österreichs, dann das Sudetenland, Frühjahr 1939 Zerschlagung der Tschechoslowakei. Putin hat sich damit beschäftigt: keinen großen Krieg von Anfang an zu beginnen, sondern erstmal Annexion der Krim, dann der Versuch, das Schwarze Meer zu einem russischen Meer zu machen durch Beeinflussung Moldaus, Rumäniens und Bulgariens. Hätte das funktioniert, wäre die Ostsee dran.

Viele meinen, dass wir für Jahrzehnte Ruhe hätten vor Russland, wenn sie jetzt in der Ukraine bekommen, was sie wollen. 

Münkler: Nein. Die Pazifizierung der einen Front eröffnet Putin nur die Möglichkeit zur Eröffnung einer anderen. Diese Jahrzehnte Ruhe wird es nicht geben, es sind vielleicht ein paar Wochen dazwischen oder ein paar Monate, da muss man sich das Skript des Ukraine-Krieges mit seiner fortgesetzten Eskalation vor Augen führen, um eine Vorstellung zu haben, dass die Beendigung des einen Krieges die Chance zur Eröffnung des nächsten sein kann. Putin strebt die Wiederherstellung einer russischen Weltmachtstellung an, die sich an der Position des Russlands der Zaren orientiert.