Mit 81 Jahren Doktortitel erhalten – „Ich war immer der Bernd, nie der Herr Lehmann“
Dr. phil.: Diesen Titel darf Bernd Lehmann künftig vor seinen Namen stellen. Nachdem der Weilheimer im Rentenalter zunächst den Bachelor- und Masterabschluss gemacht hatte, bekam er jüngst seinen Doktortitel verliehen.
Weilheim – „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“, sang der Schlagersänger Udo Jürgens einst – und so etwas dachte sich auch Bernd Lehmann, als er im Herbst 2009 mit seinem Studium für Geschichte und Politikwissenschaften an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität startete – im stolzen Alter von 66 Jahren. „Ich habe mich in der Schule schon dafür interessiert und wollte außerdem wissen, wie das deutsche Uni-Leben ist“, begründet der heute 81-Jährige seinen damaligen Entschluss.
Lehmann kannte bis dato nur die amerikanische Perspektive – denn in Übersee hatte der ehemalige Marineoffizier in den 70er Jahren „Operations Research“ studiert. Auf Deutsch: angewandte Mathematik für militärische Zwecke. Und obwohl es an der Uni „sehr strikt“ zuging, erinnert sich Lehmann gerne an seine Zeit in den Staaten – so ist er etwa in dieser Zeit zum American-Football-Fan geworden. Und von seinen Besuchen der Basketballspiele der kalifornischen „Lakers“ schwärmt er noch heute. Nachdem er sein Studium mit einem Masterabschluss beendet hatte, kehrte Lehmann wieder zurück nach Deutschland. Dort hat er dann bis 2008 bei der NATO gearbeitet.
Mit 81 Jahren den Doktortitel erhalten – „Ich war immer der Bernd, nie der Herr Lehmann“
Aus familiären Gründen zog es den frisch gebackenen Rentner anschließend nach Raisting. Und während Gleichaltrige in dieser Lebensphase mit Golfspielen oder E-Bike-Fahren beginnen, entschied sich Lehmann eben für das Studium als Freizeitgestaltung. Zunächst hatte sich Lehmann als Senior-Student an der Uni eingeschrieben – was allerdings nur aus der Teilnahme an Vorlesungen bestanden hätte. „Aber ich wollte ja das akademische Leben kennenlernen“, betont der 81-Jährige. Also meldete er sich kurzerhand wieder für das Senior-Studium ab und für den Bachelor-Studiengang an.
Um dafür aufgenommen zu werden, musste Lehmann sich zunächst bei einem Eignungstest beweisen. Dort wurde geschaut, wie es denn um das geschichtliche Grundwissen der Studiumsbewerber so bestellt ist. „Unter den 500 Leuten dort war ich der Älteste“, erinnert sich Lehmann. Doch diese Tatsache änderte nichts daran, dass Lehmann den Test mit Bravour bestand und sich kurz darauf Student an der LMU nennen durfte.
Als solcher traf er freilich auf wenige Gleichaltrige – die meisten seiner Kommilitonen waren zwischen 19 und 22. Ausgemacht hat ihm das aber nichts. Denn wer sich ständig mit jungen Leuten umgibt, bleibt in gewisser Weise auch selbst jung. Bei den meisten Mitstudenten habe er ihm gegenüber eine „positive Aufgeschlossenheit“ bemerkt, erzählt Lehmann.
Nach einem Glas Sekt fiel die Entscheidung
Auch wenn er, der ehemalige Marineoffizier und NATO-Mitarbeiter, bei manchen eingefleischten Wehrdienstverweigerern unter den Studenten und Dozenten zunächst erst eine gewisse Grundskepsis aus dem Weg räumen musste. Was ihm dabei sehr geholfen hat: „Ich fühlte mich als Kommilitone – und ich war immer der Bernd, nie der Herr Lehmann.“ Die Kontakte, die er in dieser Zeit geknüpft hat, pflegt der 81-Jährige übrigens heute noch.
2012 schrieb Lehmann seine Bachelorarbeit, 2015 schloss er sein Studium mit einer Masterarbeit über König Ludwig XIV. und die französische Marine ab. Bei der anschließenden Feier kam dann ein Professor auf ihn zu. „Wollen Sie nicht eine Dissertation bei mir schreiben?“, fragte er Lehmann. Der war zunächst skeptisch und bat um ein wenig Bedenkzeit. „Nach dem zweiten Glas Sekt hab‘ ich dann aber Ja gesagt.“
Nun ging es nur noch darum, das richtige Thema für die Arbeit zu finden. Zunächst wollte Lehmann über die Bedeutung der französischen Stadt Dünkirchen schreiben. Während seiner Recherche in den Stadtarchiven von Dünkirchen und Paris stieß er dann aber auf das sogenannte Prisenrecht. Also die offizielle Erlaubnis für Kapitäne, feindliche Schiffe anzugreifen und einzunehmen.
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Wichtig dabei: Dieses Recht gilt nur im Kriegsfall. „Denn sonst bin ich Jack Sparrow – also ein Pirat“, sagt der 81-Jährige mit einem Augenzwinkern. Zunehmend zeigte sich Lehmann vom Prisenrecht fasziniert und es kristallisierte sich heraus, dass er sich in seiner Doktorarbeit darauf spezialisieren sollte.
Ich fühlte mich als Kommilitone – und ich war immer der Bernd, nie der Herr Lehmann.
Gesagt, getan. Lehmann studierte also unterschiedliche Unterlagen und Friedensverträge zu verschiedenen Kriegen auf der Welt – freilich immer auf der Suche nach Fällen, in denen das Prisenrecht angewandt wurde. Hunderte Dokumente musste Lehmann dafür durchwälzen – in englischer, französischer und niederländischer Sprache.
Doch der ganze Aufwand hat sich gelohnt: Nachdem Lehmann im November 2022 seine Arbeit vor einem Gremium erfolgreich verteidigte, wurde seine Doktorarbeit mit dem nicht gerade knappen Titel „Das Prisenrecht und seine Umsetzung in der Seekriegsführung Frankreichs, Englands und der Generalstaaten der Niederlande in den Kriegen 1672 bis 1713“ erstmals veröffentlicht.
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Der nächste Höhepunkt wartete dann vor wenigen Wochen auf den 81-Jährigen: In der großen Aula der LMU München konnte er seine Promotionsurkunde in Empfang nehmen. Und seitdem darf er sich ganz offiziell Dr. phil. Bernd Lehmann nennen.