„Fahren die Stadt an die Wand“: Geothermie-Netz liegt auf Eis - hitziger Streit um Wärmeplanung
Es ist das Heizprojekt der Region - aber manchen zu teuer. Die Fernwärme-Netz-Planung wurde gestoppt. In einer turbulenten Sondersitzung wollten das einige Stadträte ändern.
Es hatte sich einiges aufgestaut. Das entlud sich am Dienstagabend. Nie wurde in Wolfratshausen öffentlich über ein Fernwärmenetz gestritten. Jetzt wurde es aber höchste Zeit, denn das größte Wärmeprojekt der Stadt wurde vor Kurzem gestoppt – und einige Räte wollen sofort zurück zu den Planungen. Lange Zeit waren sich alle einig: Die Stadt wollte auch vom Geothermie-Projekt in Gelting profitieren. Dann gab's Verzögerungen, und es kamen neue Zahlen auf den Tisch. Seitdem gibt es Ärger. Eine Mehrheit des Stadtrats möchte weiterplanen, der Verwaltungsrat der Stadtwerke sagte aber nein.
Geothermie-Netz liegt auf Eis: In Wolfratshausen wird hitzig um Wärme gestritten
Elf Stadträte hoben das Thema erneut auf die Tagesordnung. In der langen, intensiv geführten Diskussion (siehe auch unten) in der Sondersitzung ging es um viele Einzelaspekte, unterm Strich aber dreht sich alles um die Gretchenfrage: Wie viel darf das Zukunfts- und Klimaprojekt kosten?
Lange waren sich alle einig: Neue Zahlen sorgen für Umdenken im Stadtrat
Stadtwerke-Chef Thomas Fritz gab dem Gremium einen Überblick. Seit dem Jahr 2022 wird das Thema Fernwärmenetz geplant, lange einstimmig. „Wir alleine können uns die Beteiligung am Fernwärmenetz nicht leisten.“ Vor allem die zu verlegenden Rohre auf einer Strecke von 32 Kilometern fallen finanziell schwer ins Gewicht. Unterm Strich entstünden Kosten in Höhe von 16 Millionen Euro für die Stadt, verteilt auf zehn Jahre plus zwei Millionen für die Planung. Insgesamt werde das Projekt knapp über 80 Millionen kosten. Dafür sollen 429 Anschlüsse entstehen, darunter viele große Wohnblöcke, Gewerbeimmobilien, Schulen und das Krankenhaus.
Eine Überlegung der Stadtwerke: Wenn die Straßen eh schon aufgerissen würden und an den Leitungen gearbeitet werde, sei es sinnvoll, in einem Zug auch direkt die Wasserrohre zu sanieren, die sonst ein paar Jahre später fällig wären. Die Mehrausgaben dafür müssten ausgeglichen werden. Bürgermeister Klaus Heilinglechner erklärte: „Das muss man auf alle Nutzer über den Wasserpreis umlegen. Der wurde gerade erst erhöht, und da kamen schon Rückmeldungen, dass die Nutzer nicht begeistert sind.“ Eine neuerliche Erhöhung wäre „um ein Vielfaches“.
Grüne und SPD stehen hinter dem Projekt - Risiken „unglaublich aufgebauscht“
Diese Meinung teilten nicht alle Ratsmitglieder. Dritte Bürgermeisterin Annette Heinloth (Grüne) fragte an, ob die Sanierung eine Möglichkeit oder eine Notwendigkeit sei. Stadtwerke-Chef Fritz nannte es „handwerklich geschickt“, aber keinen Zwang. Ingrid Schnaller (SPD) folgerte, die Wasserpreisdiskussion werde „unglaublich aufgebauscht“. Sepp Schwarzenbach (CSU) bezeichnete es als „prekär, wenn ein Nice-to-have zu einem K.O.-Kritierium umformuliert wird“. Die 16 Millionen Euro, die die Stadt beisteuern muss, bekäme sie auch einmal zurück.
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Die SPD-Fraktion steht geschlossen hinter dem Projekt. Manfred Menke (SPD) konstatierte: „Für dieses Zukunftsprojekt ist die Finanzierung sicherlich eine große Aufgabe. Aber es ist nicht unmöglich.“ Menke glaubte, dass „so eine Möglichkeit“, langfristig günstige und CO₂-neutrale Wärme aus der Nachbarstadt zu beziehen, nicht nochmal komme. In seiner direkten Nachbarschaft komme immer wieder die Frage auf, wann es losgehen könne mit der Fernwärme.
Berchtold kritisiert Verwaltungsräte: Gegen den Stadtrat gestimmt
Gerlinde Berchtold (SPD) sah ein Politikum. „Trotz des Risikos haben wir im Stadtrat entschieden, dass wir das Projekt weiterverfolgen wollen. Ein paar Tage später entscheiden Stadträte im Verwaltungsrat, dass wir aussteigen. Ich sehe unsere Entscheidung als Auftrag an die Verwaltungsräte.“ Dr. Hans Schmidt sprach von einem „Geschmäckle“. Bürgermeister Klaus Heilinglechner erklärte, dass die Räte bei dieser Frage nicht weisungsbefugt seien.
Dr. Ulrike Krischke (Bürgervereinigung) hielt ein deutliches Plädoyer. Mit Blick auf weltweite Katastrophen sagte sie: „Die Zukunft ist Klimawandel. Wenn wir jetzt nicht handeln, wann denn dann?“ Unter den bereits angedachten Anschlüssen seien „Schulen, Firmen, Wohnblöcke“, und in der Zukunft können noch weitere Bereiche angeschlossen werden. „Es gibt ein konstantes Wachstum des Netzes.“ Krischke mahnte, die Verantwortung für die nächsten Generationen wahrzunehmen. Sollte die Geothermie in Gelting noch scheitern, „können wir immer noch aussteigen“. Die grundsätzliche Planung sei nicht umsonst: Man könne sie dann auch für Fernwärme aus anderen Quellen nutzen. „Das ist ein Projekt, auf das alle warten.“
Grünen-Rat Hans-Georg empfand die Chancen größer als die Risiken. „Vor unserer Haustür entsteht ein bombastisches Wärmeprojekt mit EU-Fördergeldern. Wir müssen die Türe aber aufmachen.“ Die finanziellen Erklärungen seien „ein Horroszenario“, das aufgebaut werde.
„So fahren wir die Stadt an die Wand“
Richard Kugler (Liste Wor) war gegen die Weiterplanung. „Die Kosten haben sich sehr erhöht. Wir haben mal von 16 Millionen insgesamt gesprochen.“ Er zweifelte an Zahlen und Zeitplan. Die künftigen Kunden würde vor allem eine Frage interessieren: „Die wollen wissen, was es kostet.“ Das Projekt weiterzuführen, sei unverantwortlich: „So fahren wir die Stadt an die Wand.“ Etwas weniger drastisch, aber in dieselbe Richtung drückte es Helmuth Holzheu (Bürgervereinigung) aus. „Aktuell ist so ein Projekt in meinen Augen Harakiri.“ Die Stadt könne sich diese Planung – gerade jetzt, wo der Haushalt 2025 noch nicht einmal ausgeglichen ist – schlicht nicht leisten.
Trotzdem fand Dr. Patrick Lechner, dass der Stadtrat auch aus finanziellen Grünen für die Geothermie sein müsse. „Das ist eine Investition, die rentabel sein wird. Das ist finanziell sinnvoll.“ Von den Ausgaben gerade zu Projektbeginn werde nicht jeder profitieren, „aber so funktioniert nun einmal das Solidaritätsprinzip“.
Dr. Manfred Fleischer fand die Zahl der Profiteure zu klein. „Die Bürger sollten diesen Trassenplan sehen. Dann würden sie sehen, dass der Slogan ,Fernwärme für Wolfratshausen‘ eine große Mogelpackung ist.“ Große Wohngebiete könnten im ersten Zug nicht angeschlossen werden. „Die Bürger werden feststellen, dieser Zug fährt ohne sie ab.“ Dazu kommt: Bis jetzt sei unklar, wie viele Wolfratshauser überhaupt einen Anschluss wollen, wenn sie den Preis kennen. An Zahlen aus Befragungen glaubt Fleischer nicht, solange sie nicht mit Preisen unterfüttert sind.
Vize-Bürgermeister mahnt zur Vorsicht
Planer Stefan Sendl sprach von einem wirtschaftlichen Risiko, das „kalkulierbar“ sei. Alle Investitionen, die die Stadt tätige, würden sich durch den Betrieb refinanzieren. „Darauf ist der Business-Plan aufgebaut. Das Geld ist nicht weg.“
Für Vize-Bürgermeister Günther Eibl sei klar, dass niemand im Gremium per se gegen Geothermie sei oder die fossilen Energieträger weiternutzen wolle. „Die entscheidende Frage ist aber, ob wir es uns angesichts dieser Situation leisten können. Uns muss bewusst sein, dass wir dann einen drastischen Sparkurs fahren müssen.“ Dann seien jahrelang nur noch Pflichtaufgaben zu bewältigen
SPD-Fraktionschef Fritz Meixner war der Meinung, dass die Zweifel in der Sitzung „entzaubert wurden“. „Die Sanierungen liegen in unserer Hand, das Netz kann wachsen, es geht auch um ein Projekt für die Wirtschaft. Ich habe den Eindruck: Es ist eigentlich ein gutes Projekt, aber für manche kommt's zum falschen Zeitpunkt.“ Er sah das nicht so. „Jetzt die Reißleine zu ziehen, wäre keine zukunftsfähige Entscheidung für unsere Stadt.“
Zu einer Abstimmung kam es am Dienstagabend nicht. In der Diskussion zeichnete sich eine knappe Mehrheit pro Weiterplanung ab. Abgestimmt werden muss im Stadtrat auch nicht. Entscheidend ist die Abstimmung des Verwaltungsrats der Stadtwerke in der nächsten Woche – er tagt wieder nichtöffentlich.
Zitate aus der Sitzung
„Es wäre eine Schande für Wolfratshausen, wenn diese Möglichkeit nicht genutzt wird.“ Hans Georg Anders, Grüne
„Ich warte darauf, dass einer von den Fachleuten aufsteht und sagt: Da habt Ihr falsch gerechnet.“ Dr. Manfred Fleischer, Liste WOR
„Es gibt keine guten und schlechten Stadträte. Es gibt Räte, die sich für das Wohl der Stadt einsetzen.“ Josef Praller (BVW)
„Für die Stadtwerke ist das Risiko gleich null. Wenn der Verwaltungsrat das ablehnt, wegen finanziellen Problemen, die die Stadt bekommen könnte, dann hat das ein Geschmäckle.“ Dr. Hans Schmidt (Grüne)
„Wir haben das Geld für die Geothermie noch nicht einmal im Haushalt eingeplant und haben schon eine Unterdeckung.“ Bürgermeister Klaus Heilinglechner
„Als Rätin, die das Wohl der Bürger im Blick hat, muss ich dafür sein, dass es in kommunaler Hand bleibt.“ Annette Heinloth (Grüne)