An Russlands Grenze: Nato-Großmanöver deckt Norwegen als Schwachstelle auf
Die Nato wird im Februar ihr größtes Manöver seit Jahrzehnten abhalten. Ein Szenario rückt Norwegen und Russland in den Fokus.
Kirkenes – 90.000 Soldaten, tausende Panzer, viele Kampfjets: Das Verteidigungsbündnis Nato probt beim Großmanöver „Steadfast Defender“ im Februar den Ernstfall, um ihre Abschreckung gegen Kreml-Autokrat Wladimir Putin in Russland zu unterstreichen.
Die Bundeswehr wird sich Medienberichten zufolge mit 12.000 Soldaten, 3000 Fahrzeugen und 30 Flugzeugen beteiligen. Der Schwerpunkt der deutschen Streitkräfte wird darauf liegen, die 10. Panzerdivision nach Litauen ins Baltikum zu verlegen. Zeitgleich organisieren andere Verbände der Nato laut Bild die mögliche Verteidigung der norwegischen Grenze im äußersten Norden Skandinaviens.
Nato-Großmanöver: Grenze zwischen Norwegen und Russland rückt in den Fokus
Denn: Norwegen hat zu Russland eine 197,7 Kilometer lange Landgrenze sowie eine 23,2 km lange Seegrenze im Varangerfjord der Barentssee. Dass die Nato hier massiv übt, legt den Eindruck nahe, dass die Militärallianz den äußersten Nordosten Norwegens als mögliche Achillesferse einstuft. Das hat mehrere Gründe: Die Stärke der russischen Nordflotte, die überschaubare Größe der norwegischen Streitkräfte, und die geografische Lage.
Diese geografische Lage macht die Verteidigung der Landesgrenze zu einer gewaltigen Herausforderung. Zwar bilden die Fjorde mit ihrem Wasser und ihren Anhöhen natürliche Barrieren gegen potenzielle Angreifer. Aber umso schlechter ließen sich diese Fjorde verteidigen, wenn man die Barentsee nicht kontrolliert. Hier kommt die große Nordflotte Moskaus ins Spiel.
Russische Nordflotte: Moskau hat große Kriegsschiffe und viele U-Boote in der Barentsee
Diese hat zwischen dem Marinestützpunkt Bolschaja Lopatka im Fjord Sapadnaja Liza sowie der Großstadt Murmansk sieben Basen, inklusive der Hauptbasis in Seweromorsk. Lopatka liegt nur rund 55 Kilometer von der norwegischen Grenze entfernt. Dazu, wie groß die Nordflotte ist, gibt es aktuell nur Schätzungen. Mit der Admiral „Flota Sowetskogo Sojusa Kusnezow“ befindet sich Russlands einziger Flugzeugträger derzeit zur Instandsetzung im Trockendock von Murmansk.
Ferner sind der große Raketenschlachtkreuzer „Admiral Nachimow“ sowie der Raketenkreuzer „Marschall Ustinow“ Teil der Nordflotte. Letzteres Kriegsschiff gehört wie die im April 2022 durch die Ukrainer versenkte „Moskwa“ zur Typ-Klasse Projekt 1164. Die Raketenzerstörer „Admiral Tschabanenko“ und „Admiral Ushakow“ sowie drei etwas kleinere, aber moderne Fregatten der Schiffsklasse Projekt 22350 komplettieren einen schlagkräftigen Verband. Nicht zuletzt liegt in den Basen und Werften der Halbinsel Kola eine Gruppe mehrerer Atom-U-Boote des Projekts 22350.
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Norwegisch-russische Grenze: Norwegens Streitkräfte sind vergleichsweise klein
Auch zwei recht moderne Atom-U-Boote der Borei-Klasse (Projekt 955) gehören zum Bestand der Nordflotte, die „Juri Dolgoruki“ (2013 in Dienst gestellt) und die „Knjas Wladimir“ (2020 in Dienst gestellt). Bekannt ist zudem: Auf einer Militärbasis bei Murmansk sind Kampfjets des Typs MiG-31 stationiert, die über der Barentssee patrouillieren.
Und Norwegen mit seinen rund 5,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern? Die Skandinavier müssen ihr flächenmäßig riesiges Land mit einer vergleichsweise kleinen Armee sichern. Auf dem Wasser wäre die norwegische Marine mit ihren fünf modernen Fregatten der Fridtjof-Nansen-Klasse wohl unterlegen. Aktuell schafft das Land für die Königlich-Norwegischen Luftstreitkräfte indes 34 hochmoderne F-35-Tarnkappenjäger aus den USA an.
Norwegische Streitkräfte: F-35-Kampfjets sind in der Mitte des Landes stationiert
Diese sind jedoch am Hauptstützpunkt, dem Militärflughafen Ørland, in der Mitte des Landes stationiert. In der Luftwaffenübung Arctic Challenge Exercise (ACE) proben die Norweger alle zwei Jahre gemeinsam mit den schwedischen und finnischen Luftstreitkräften die Verteidigung Skandinaviens in der Luft. Die eigentliche Schwachstelle Norwegens ist aber wohl das Heer. Laut des Global Firepower Index (GFP) sind von nur 36 Kampfpanzern Leopard 2A4NO derzeit (Stand 22. Januar) gerade mal 29 einsatzbereit. Nach Bundeswehr-Verständnis würde das nicht einmal für ein geschlossenes Bataillon (46 Panzer) reichen. Bleibt die Frage, ob die Norweger ihre wenigen Kampfpanzer im Ernstfall allesamt an die nordöstliche Grenze werfen würden.
Die Brigade Nord bei Bardufoss ist zumindest die einzige norwegische Heeresbrigade. Wie aus einem Youtube-Video der Armee hervorgeht, dürfte sie den Großteil der Kampfpanzer und der knapp 110 Schützenpanzer CV 90 haben. Eine Brigade besteht in der Regel aus 4500 bis 5000 Soldaten. Insgesamt sollen die Landstreitkräfte gerade mal über rund 7800 Soldatinnen und Soldaten verfügen. Bezeichnend: Laut Website der Forsvaret, wie die norwegischen Streitkräfte in der Landessprache heißen, ist das Heer fast vollständig nahe der norwegisch-russischen Grenze stationiert.
Norwegisches Heer: Brigade Nord soll Grenze zu Russland sichern
Zur Brigade Nord gehören demnach eine unabhängige mechanisierte Brigade mit dem Brigadekommando, zwei mechanisierte Kampfbataillone (Panzerbataillon und Telemarkbataillon), ein leichtes Panzerkampfbataillon (2. Bataillon), ein Artilleriebataillon, ein Pionierbataillon und ein Aufklärungsbataillon. Zudem ist das Finnmark-Landkommando (Porsanger-Bataillon) für den Grenzschutz zuständig. Im Februar 2023 gab Oslo die Bestellung von 54 neuen Kampfpanzern Leopard 2 A8 NOR bekannt. Diese sind jedoch noch beim deutschen Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann in der bayerischen Landeshauptstadt München im Bau.
Wie die Bild berichtet hatte, stellen die Briten beim anstehenden Nato-Großmanöver einen Flugzeugträger. Die enge militärische Verbindung der Royal Navy und der Norweger seit dem Zweiten Weltkrieg sowie die örtliche Nähe Schottlands über die Nordsee lassen annehmen, dass dieser Flugzeugträger für eine mögliche Verteidigung Norwegens trainieren soll. Denn: Würde es den Russen in einem Ernstfall gelingen, über die norwegische Grenze vorzustoßen, könnten sie ihre Truppen auch im Rücken Schwedens und Finnlands in Position bringen. So zumindest die Theorie im Umfeld des Ukraine-Kriegs. (pm)