„Verbreitet Lügen“ über Russlands Wirtschaft – EU-Minister ziehen düstere Bilanz für Putin
Trotz Sanktionen geht es Russlands Wirtschaft gut. So jedenfalls der Tenor aus dem Kreml. Mehrere EU-Minister werfen Putin jetzt Lügen vor.
Moskau – Der Westen muss härter sanktionieren, finden die Finanzminister der EU. Schon seit 2014 liegen weitreichende Sanktionen auf Russland, eingesetzt von westlichen Industrienationen. Ihre Wirkung ist – mitunter künstlich – umstritten, und vonseiten des Kreml heißt es immer wieder, der Westen habe sich an den Sanktionen übernommen. Die Finanzminister fordern ein Anziehen der Daumenschrauben.
„Lügen“ über Russlands Wirtschaft – EU-Minister prangern Putin an
Die große Frage, die dahinter steht: Wie stark ist Russlands Wirtschaft tatsächlich? Wenn es nach den Finanzministern der EU-Mitgliedstaaten geht, ist es damit lange nicht so weit her wie vom Kreml propagiert. Russlands Präsident Wladimir Putin „verbreitet Lügen“, teilten Finanzminister aus acht EU-Mitgliedstaaten gegenüber dem britischen Guardian mit. Diese Lügen müssten widerlegt werden. Es gebe Anzeichen dafür, dass Putin die Wirtschaft mit vielen Merkmalen der ehemaligen UdSSR „sowjetisiert“ habe – das zuletzt kommunizierte Wachstum sei bedeutungslos, weil die zugrundeliegende Quelle nicht nachhaltig sei.

Unter anderem geht es um die Enteignung privater Vermögenswerte zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben, die „völlige Missachtung des sozialen und wirtschaftlichen Wohlergehens der Bevölkerung“ und eine Neuausrichtung der Wirtschaft auf den Ukraine-Krieg. „Wenn Putin auf diesem Weg bleibt, wird der langfristige Schaden für die russische Wirtschaft erheblich sein“, zitierte der Guardian die EU-Politiker. Die westlichen Demokratien müssten die Sanktionen unbedingt verschärfen, da Russland im Falle eines Waffenstillstands einfach wieder ein paar Jahre aufrüsten würde – um dann einen zweiten Angriff auf Europa zu starten.
Das Narrativ von einer starken russischen Wirtschaft sei falsch und müsse widerlegt werden. „Tatsächlich gibt es viele Anzeichen dafür, dass sich die russische Kriegswirtschaft verschlechtert. Die Sanktionen und andere Maßnahmen zur Schwächung der russischen Wirtschaft sind wirksam, aber es kann noch mehr getan werden. Wir müssen den Druck gegen Putins Regime weiter erhöhen und die Ukraine unterstützen“, erklärten die Finanzminister. Unter anderem waren die Minister verschiedener nordischer Staaten, des Baltikums und der Niederlande in das Schreiben involviert.
Sanktionsumgehungen helfen Russlands Wirtschaft – Minister fordern genauere Kontrollen
Allerdings, so führten die EU-Minister weiter aus, sei es genauso wichtig, ein genaueres Auge auf Putins Schachzüge zu haben, mit denen der die Sanktionen auszuhebeln versucht. Die G7-Vereinbarung vom Juni, bei der es um bis zu 50 Milliarden Euro an Krediten für die Ukraine geht, müsse schnell umgesetzt werden – wobei auch Gewinne aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten im Westen eine Rolle spielen sollen. Hier hatte Russland zuletzt angekündigt, rechtliche Schritte wegen des sogenannten Diebstahls seiner Bargeldreserven einleiten zu wollen.
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Dem Europäischen Rat zufolge sind in der EU und den G7-Ländern rund 300 Milliarden Euro an Geldern der russischen Zentralbank eingefroren. Estland hatte als erstes Land einen Gesetzesentwurf entwickelt, durch den es dieses Vermögen beschlagnahmen könnte.
Welche Wirkung westliche Sanktionen auf Russlands Wirtschaft haben – Unterschiede zur Sowjetunion
Sowohl in den sozialen Medien als auch in der nachrichtlichen Berichterstattung war seit 2022 verstärkt die Debatte darüber hochgekocht, ob Russland nun kurz vor dem wirtschaftlichen Ruin stehe oder ob die Sanktionen Putin nicht sogar noch stärker machen. Während Russland selbst großes Interesse daran hat, den Westen von Zweiterem zu überzeugen (wie zuletzt durch die Meldung des überraschenden Wachstums von Russlands Wirtschaft), hatte die EU schon früh kommuniziert, dass die Sanktionen auf einen eher langfristigen Zeitraum ausgelegt sind und die tatsächlichen Auswirkungen keineswegs spontan oder gar schnell in Erscheinung treten würden.
Das Carnegie Russia Eurasia Center sieht einige entscheidende Unterschiede zur Sowjet-Wirtschaft, die Russland vergleichsweise resilient machen. Erstens beträgt der Anteil der Kriegsmaschinerie an Russlands Wirtschaft noch lange nicht die kritische Masse von 13 Prozent, die damals die UdSSR zu Fall brachte, zweitens war die Sowjetunion nie so handelsoffen wie das heutige Russland. Was die westlichen Sanktionen dagegen durchaus schaffen, ist die technologische Kluft zwischen den Industrienationen und Russland zu vergrößern.
„Jeden Tag wird Russlands Wirtschaft weniger wettbewerbsfähig“, schrieb die Carnegie-Stiftung dazu. „Jeden Tag bleibt Russland technologisch weiter zurück.“ Das betreffe zum Beispiel Offshore-Energieprojekte, die Konstruktion moderner Öltanker, LNG-Züge und Themen wie AI und Quantum-Computer. Langfristig sollen die Sanktionen Russlands wirtschaftliches Potenzial drastisch einschränken.
Schon 2014 hatte der Westen sanktioniert – Und wollte damit Russlands Wirtschaft beeinflussen
Ein Blick auf die Auswirkungen der Sanktionen von 2014 lässt zumindest ansatzweise Rückschlüsse darauf zu, was Russlands Wirtschaft in den kommenden Jahren erwartet. Gleich nach der illegalen Annexion der Krim hatten westliche Industrienationen unter anderem Reisebeschränkungen vorgenommen, russisches Vermögen eingefroren und Geschäftsbeziehungen auf Eis gelegt.
Im Gegensatz zu den Sanktionen, mit denen unter anderem Nordkorea und der Iran belegt sind, sollten die Sanktionen gegen Russland nie dafür sorgen, dass Russland sich aus der Ukraine zurückzieht und die Krim zurückgibt. Stattdessen standen laut dem Ökonomen Iikka Korhonen, der für das Ifo-Institut eine Analyse aufgestellt hatte, drei andere Ziele im Vordergrund.
- Die Sanktionen sollten Russland davon abhalten, militärisch weiter zu eskalieren.
- Sie sollten klarmachen, dass ein Bruch internationaler Gesetze und europäischer Normen dazu führen würde, dass es keine normale Beziehung zu Gesetzesbrechern geben kann.
- Sie sollten Russland dazu bringen, eine politische Lösung zu finden, indem die Kosten für Russlands Verhalten sich verteuerten.
Erkennbare Auswirkungen auf Russlands Wirtschaft – Allerdings nur beschränkt
Das Ifo-Institut hatte 2019 festgestellt, dass es zwar kompliziert sei, die direkten Effekte der Sanktionen auf Russlands Wirtschaft festzustellen, da eine Vielzahl von Faktoren in diese Entwicklung herein spielen. Verschiedene Modelle waren jeweils zu anderen Schlüssen gekommen – ein Modell des Internationalen Währungsfonds (IWF) habe zum Beispiel gezeigt, dass die russische Wirtschaft ohne Sanktionen pro Jahr um 0,2 Prozent stärker gewachsen wäre.
Rückblickend ist jedoch offensichtlich, dass die früheren Sanktionen Russlands Aggression nicht stoppen konnten – und durch entsprechende Außenpolitik der Großen Koalition hatte Putin trotz der Annexion vergleichsweise erfolgreiche Handelsbeziehungen mit Deutschland unterhalten.
Sanktionen sorgen für Rückzieher bei Investoren – langfristiger Schaden für Russlands Wirtschaft?
Gleichzeitig aber hätten die Sanktionen einen „klaren negativen Einfluss“ auf den Wechselkurs des Rubels gehabt. Die russische Kaufkraft war gesunken. Außerdem hatten die westlichen Länder bei russischen Unternehmen, die direkten Sanktionen unterlagen, verstärkte Personalreduzierungen und ein höheres Risiko für den Bankrott erkannt.
Ein weniger diskutierter Effekt der früheren Sanktionen sei allerdings der fehlender ausländischer Investoren in Russlands Bankensektor. Viele internationale Banken hatten sich zunehmend besorgt gezeigt, auf der Schwarzen Liste der USA zu landen, und sich dazu entschieden, dass ein Investment ein zu hohes Risiko sei. Die Netto-Kapitalflüsse von Banken aus den sanktionierenden Ländern seien Korhonen zufolge pro Quartal um 700 Millionen US-Dollar mehr zurückgegangen als die Kapitalflüsse aus anderen Ländern.
Um die russische Wirtschaft zu stützen, hatte Wladimir Putin schon den russischen Wohlstandsfonds angezapft – dieser soll bis 2026 aufgezehrt sein. Aktuell stützt die Kriegswirtschaft des Kreml das Wachstum, wobei sich Experten weitestgehend darüber einig sind, dass es sich dabei nicht um nachhaltiges Wachstum handelt.