Gefangenenaustausch mit Russland: Dank dieses Paragrafen kommt der Tiergartenmörder frei
Der „Tiergartenmörder“ Krassikow kommt im Rahmen eines Gefangenenaustauschs frei. Die rechtliche Grundlage dafür berge allerdings Merkwürdigkeiten, sagt ein Strafrechtler.
Berlin – Es war eine brutale Hinrichtung, mitten im Berliner Tiergarten: Am 23. August 2019 ermordete der Russe Wadim Krassikow den Georgier Selimchan Changoschwili. Mehrfach schoss er auf sein Opfer. Das Gericht sprach später von „russischem Staatsterrorismus“ auf deutschem Boden. Krassikow, der sogenannte „Tiergartenmörder“, sollte nie mehr aus dem Gefängnis freikommen, der Strafsenat des Kammergerichts verurteilte ihn seinerzeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
Jetzt wird er nach nicht einmal fünf Jahren im Zuge eines Gefangenenaustauschs nach Russland abgeschoben. Der Deal: Politisch Gefangene in Russland und Belarus kommen im Gegenzug frei. Aber wie ist es rechtlich möglich, dass ein Mörder trotz Urteil vorzeitig entlassen wird?
Gefangenenaustausch mit Russland: „Tiergartenmörder“ gehört zu den Freigelassenen
„Das Gericht stellte damals die besondere Schwere der Schuld fest. Normalerweise ist damit ausgeschlossen, dass der Verurteilte, wie sonst, nach 15 Jahren verbüßter Freiheitsstrafe auf Bewährung entlassen werden kann“, sagt Erol Pohlreich. Der Strafrechtler lehrt als Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt am Main. Bei ausländischen Gefangenen gelte allerdings eine Besonderheit, erklärt der Experte: Für sie ermöglicht Paragraf 456a der Strafprozessordnung eine frühere Entlassung auf Bewährung, wenn sie aus dem Bundesgebiet abgeschoben werden.
„Der Zweck hinter dieser Vorschrift ist nicht ganz klar“, so Pohlreich. „Vermutlich steht dahinter die Idee, dass Gefangene nach ihrer Abschiebung ins Ausland keine Gefahr mehr für die hiesige Bevölkerung darstellen und dass die mit jeder Haft verbundenen hohen Kosten für den Fiskus an anderer Stelle sinnvoller investiert sind.“
Im Vorfeld hatte es in juristischen Kreisen überaus große Vorbehalte gegeben, Krassikow im Zuge des Gefangenenaustauschs abzuschieben, bevor er wenigstens zehn Jahre seiner Haftstrafe in einem deutschen Gefängnis verbüßt hätte. Doch rechtlich gibt es dafür keine Grundlage – kurios, wie Pohlreich findet: „Die Vorschrift verlangt merkwürdigerweise selbst für die lebenslange Freiheitsstrafe keine Mindesthaftdauer, die der Gefangene vor seiner Entlassung verbüßt haben muss. Sie setzt ebenso wenig seine Besserung voraus. Letztlich ist die Entscheidung eine Frage des Ermessens.“
Buschmann konnte Standpunkt beim Gefangenenaustausch dank Weisungsrecht durchsetzen
Man kann sagen: Letztlich sorgt der Paragraf dafür, dass wichtige diplomatische Erwägungen vor der sonst üblichen Rechtspraxis stehen können. So soll auch der Generalbundesanwalt gegen einen Austausch gewesen sein. „Zuständig für die Entscheidung über die Entlassung auf Bewährung war an sich der Generalbundesanwalt, allerdings verfügt der Bundesjustizminister über ein Weisungsrecht und kann seinen Standpunkt auf diese Weise durchsetzen“, erklärt Jurist Pohlreich.
Rechtlich sei die Entscheidung von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nicht zu beanstanden. „Bei der Ausübung dieses Ermessens durfte der Bundesjustizminister berücksichtigen, dass er mit seiner Entscheidung Menschenleben retten kann“, kommentiert der Strafrechtler.
Schutzpflichten gegenüber Freigelassenen aus den USA beim Gefangenenaustausch
Menschlich könne er aber nachvollziehen, wenn manche Menschen Schwierigkeiten damit hätten, diese Entscheidung zu akzeptieren oder gar einen schweren Schaden für den Rechtsstaat befürchten. „Allerdings begründet der Rechtsstaat erstens auch Schutzpflichten in Bezug auf die Gefangenen in Russland und Belarus, die im Zuge des Austausches wieder auf freien Fuß gekommen sind“, so Pohlreich. Die ersten Freigelassenen aus den USA sind derweil wieder in ihrer Heimat angekommen. „Zweitens ist die Entscheidung nicht im rechtsfreien Raum ergangen, sondern stützt sich auf eine Vorschrift der Strafprozessordnung.“
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Außerdem sei davon auszugehen, dass mit der Entscheidung über die Entlassung auf Bewährung auch angeordnet wurde, dass die lebenslange Freiheitsstrafe weiter vollstreckt wird. Heißt: Sobald der „Tiergartenmörder“ Wadim Krassikow nach Deutschland zurückkehrt, dürfte er sofort wieder inhaftiert werden.
Kritik von der CDU: „Ich halte das für problematisch“
Kritisch sieht die Vorgänge der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Günter Krings. Die Strafprozessordnung sehe zwar vor, dass von der weiteren Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bei einer Ausweisung abgesehen werden kann. Aber: „Üblicherweise geschieht dies nicht vor Verbüßung der Halbstrafe. Auch nach den von den Ländern erlassenen Richtlinien ist regelmäßig die Hälfte der Strafe zu vollstrecken.“ Die Weisung von Bundesjustizminister Buschmann an den Generalbundesanwalt, von der weiteren Vollstreckung der Haft abzusehen, „ist zumindest sehr außergewöhnlich“, so Kings: „Ich halte das für problematisch und es darf jedenfalls nicht zum Vorbild für andere Fälle werden.“